SPRÖDER ALS „DIE SCHWARZWALDKLINIK“

■ Außer Spesen nichts gewesen: Eine Touri-Tour durch Berliner Nachtclubs

Die Hände zwischen den Schenkeln eingeklemmt. An einem Sektglas nippend. Seine Gattin neben ihm harrt dem Kommenden mit im Schoß gefalteten Händen und hat ein Glas Orangensaft auf dem kleinen Tischchen vor sich stehen. Kostbares Naß, denn jedes weitere Getränk muß teuer selbst bezahlt werden, doch das erste ist im Preis der „Berliner Nachtclub-Tour“ enthalten. Mit 92 Mark kann man organisiert ein bißchen vom Nachtleben der Weltstadt schnuppern. Im „La Vie en Rose“ und im „Big Eden“ tanzen die Puppen für die Gäste.

Das Wormser Ehepaar neben mir, die Tour wird fast ausschließlich von reiferen Paaren wahrgenommen, ist seit fünf Tagen in Berlin, wohnt im Hotel Palace und hat sich die Reise anläßlich ihres 25. Hochzeitstages geleistet. Sie wirken noch recht befangen. Demgegenüber ist der zwölfköpfige Kegelclub nebst Frauen in der Reihe vor uns, Heidelberger wie wir später erfahren werden, schon ganz schön aufgetaut. Als der Vorhang die ersten Revuegirls entblößt, klatschen sie eifrig und begrüßen die Tänzerinnen mit Oh-Rufen.

Showtime im „La Vie en Rose“. Die zwanziger Jahre, Bauchtänzerinnen, amerikanische Musical-Motive, Lili Marleen und ein bißchen Witziges, viel Bein, viel Po und oben ohne aber so richtig lustig, anmacherisch wird's erst beim Can Can. Drei Herren aus dem Publikum werden auf die Bühne geholt und dürfen ein Can-Can-Solo aufführen. Einer der Kegelbrüder aus Heidelberg wird auserwählt. „Mutig, mutig“, ermuntern ihn seine Kollegen. Neckisch flüstert man seiner Frau zu: „Hilde, den siehste nie wieder.“ Doch Hilde schaut ganz optimistisch drein. Hermann, stellt er sich auf der Bühne vor, aus Heidelberg. Er besteht die Mutprobe, tanzt wie ein Bär Can Can. Seine Kumpels sind begeistert. Verschämt stolz nimmt Hermann seinen Platz bei der Clique wieder ein. Schulterklopfen und ein lobendes „Gut gemacht“ Hermann ist ein ganzer Mann. Das Programm klingt aus mit einer Polonaise zu Sambaklängen, bei der auch Gäste mitwackeln dürfen. Kaum fällt der Vorhang, ich schaffe es gerade noch, das zweite Glas teuer bezahlten Gin-Tonics auszutrinken, holt Peter, der Tourleiter, seine Schäfchen und führt sie im Bus zum „Big Eden“.

Das erste Getränk, die Bestellung hat Peter schon im Bus aufgenommen, wird hastig vor uns abgestellt. Dabei ist das „Big Eden“ kaum voll. Das ist eben echt Berlin: Schnellimbißatmosphäre selbst in den „exklusiven Clubs“. Vorhang auf. Renata Ravell, der üppig blonde Transvestit, begrüßt die Gäste. „Is that yours“, fragt sie die Japanerin und deutet auf den Herren zur Linken. Diese nickt. „Oh, nicht mehr lange“, schmatzt Renata. Souverän läßt sie ihre Schoten ab. Unter die Gürtellinie, Zielpunkt männliches Glied. „Och, sie mögen's doch sicher weich, meine Dame“, lächelt sie das ältere Ehepaar an, „aber nicht immer, nicht wahr“, fügt sie mit Wimpernklimpern und einen Ton tiefer hinzu.

Die Zahl der männlichen und weiblichen Stars auf der Bühne ist zwar wesentlich geringer als im „La Vie en Rose“, die Tänze sind anspruchsloser, dafür ist die Show nicht ganz so hölzern-abgeschmackt. Sie wirkt professioneller, genauso seicht, aber kurzweiliger. Die Krönung auch hier: die Herren auf der Bühne. Ob als Scheich verkleidet inmitten schmeichelnder Haremsdamen, oder der Japaner beim Blues mit dem 140 Kilo schweren Show-Clown: Der Lacherfolg bleibt nie aus. Für ihren Mut werden die Herren hier mit Champagner belohnt. Das Wormser Ehepaar - der Gatte hatte einen Walzer mit einer der Schönen vorgeführt - nimmt ihn als Erinnerung mit nach Hause. Die zwei türkischen Teilnehmer unserer Gruppe, von denen einer der Dame das Strumpfband lösen durfte, bieten dem japanischen Ehepaar neben sich ein Glas davon an. Nach einem Strip von Renata Ravell - sie ist tatsächlich ein Mann - ist die Vorstellung aus und Schwupp -die-Wupp müssen die Nightclubtourer nach Haus. Der Champagner bleibt halbvoll stehen, die Gattin aus Worms schafft's kaum noch auf die Toilette. Der Bus liefert die Berlin-Besucher sicher vor ihren Hotels ab. Sie haben einen raschen Blick aufs sündige Berlin geworfen. Amüsieren - es sind schließlich größtenteils Ehepaare - können sie sich ja nun zu Hause. Hoffentlich nicht genauso miefig!

Edith Kresta