: Die Monotonie der Entlarvung
„Tazsachen“: Ein Konkret-Buch versucht sich an zehn Jahren 'tageszeitung‘ ■ Von Michael Sontheimer
„Krallen zeigen - Pfötchen geben“ - der Untertitel verspricht einiges. „Wir haben eine Kritik versucht“, heißt es gleich im Vorwort. „Wenn sie schärfer ausgefallen ist, als wir anfangs dachten, liegt es nicht zuletzt am Gegenstand der Untersuchung.“ Der Gegenstand der Untersuchung ist die taz, und die Autoren stellen eines auch von Anfang an klar: „Die Kritik erfolgt aus einer linken Position, sie ist parteilich.“
Die Autoren, das sind Oliver Tolmein und Detlef zum Winkel. Oliver Tolmein war von Januar '86 bis Ende vergangenen Jahres Korrespondent der taz in Bonn; Detlef zum Winkel ist ein alter Kader des Kommunistischen Bundes. Beide schreiben heute für die Konkret in Hamburg und haben sich die Mühe gemacht, mehr als tausend Tage taz zu studieren, knapp die Hälfte aller bisher erschienenen Ausgaben. Sie haben sodann den Versuch unternommen, sich der Zeitung ideologiekritisch zu nähern, das heißt, aus dem Chaos, das rund 2.000 Menschen in zehn Jahren produziert haben, eine Linie herauszudestillieren.
Weiterhin wird die Geschichte der Zeitung abgehandelt, relativ genau die der Gründung, gerafft und oberflächlicher die weitere Entwicklung. Die Menschen, die in der taz arbeiten, tauchen dabei nicht als Personen auf, sondern lediglich als Vertreter politischer Positionen. Auch die interne Entwicklung des Projekts und ihre Auswirkungen auf Stil und Kurs der Zeitung werden immer wieder nur am Rande gestreift.
Es gibt einen anderen roten Faden, der sich durch die gesamte Untersuchung zieht: Das Buch ist durchsäuert vom Vorwurf des Verrates, obwohl dieser nie offen formuliert wird. Der „Bruch der taz mit linken Standards“ wird bitter beklagt, doch die Autoren halten es nicht für nötig, ihre Leser darüber aufzuklären, welche Standards das denn sein sollen, was sie überhaupt unter dem Begriff links verstehen, auf den sie sich berufen.
Lediglich sporadisch läßt sich eine Ahnung davon erhaschen, blitzt etwas zwischen den Zeilen auf: Etwa wenn der taz vorgeworfen wird, „rabiat“ oder „rücksichtlos in der Wahl der Mittel“ die Ausgrenzung der K-Gruppen bei den Grünen oder die „Kommentierung innergewerkschaftlicher Konflikte gegen die DKP“ zu betreiben. „Die taz“, heißt es dazu weiter, „trieb jedoch ihre Kampagnen unter jedes vertretbare Niveau, Stimmungsmache pur mit dem Image des linken Insiders, um von Anfang an klarzustellen, daß bei allen Wendungen Antikommunismus zu ihren Konstanten gehört.“
Die schwer verdauliche Suada gipfelt letztlich in der Behauptung: „Die Zeitung hat nicht nur frühere linke Positionen geräumt. Sie hat ihren Verstand aufgegeben.“
Die beiden Kritiker scheinen sich dafür nicht nur im Besitz des Verstandes zu wähnen, an dem es ihrer Meinung nach der taz so gebricht, sondern gleich im Besitz der Wahrheit schlechthin - wenn sie aus dem folgenden Zitat von Simone de Beauvoir das Wort „Rechte“ durch „taz“ ersetzen: „Die Wahrheit ist eins; der Irrtum vielfältig. Es ist kein Zufall, daß die taz den Pluralismus predigt.“ Nur stellt sich hier erneut die Frage: Was, bitteschön, sind die ewig linken Wahrheiten, mit deren Hilfe die arme taz-Leserschaft vor der Verwirrung durch unterschiedliche Meinungen gerettet werden könnte?
Sicher haben die Autoren recht, wenn sie konstatieren, daß die taz keine linksradikale Zeitung ist, aber sie irren schon mit der Annahmne, daß sie jemals ein pures linksradikales Blatt war. Die Arbeit in der taz bedeutete vielmehr für zahlreiche ihrer Gründer den Bruch mit Grundsätzen der linksradikalen Politik der siebziger Jahre, sei es die der K-Gruppen oder die der spontaneistischen Militanz bis hin zum bewaffneten Kampf.
Die taz war der Versuch, die Grenzen des eigenen Milieus zu sprengen, Einfluß auf die etablierte Öffentlichkeit, auf die Gesellschaft zu nehmen. Dies gilt für die Fraktion der sogenannten Profis und später der Realpolitiker in der Redaktion. (Letzter gehörte ich persönlich die ersten fünf Jahre der Zeitung auch an.)
Gleichzeitig gab es immer eine linke Opposition in der Redaktion, die gewöhnlich Unterstützung in der Technik und Verwaltung fand. Ihre Repräsentanten wechselten über die Jahre häufiger - wie alles in der taz-, und Oliver Tolmein war auch eine Zeitlang einer von ihnen. Diese linke Fraktion wollte mit der Forderung nach Betroffenenberichterstattung und Basisnähe in erster Linie Sprachrohr, Diskussionsort und Motor sozialer Bewegungen sein. Dies wiederum hätte - die taz-interne Dauerdebatte sehr verkürzt dargestellt - die Rückkehr in die Marginalität und den Dogmatismus der siebziger Jahre bedeutet.
Der gesamte Tonfall Tolmeins und zum Winkels erinnert auch fatal an die siebziger Jahre. Die Darstellung gibt sich zwar wissenschaftlich mit zahllosen Zitaten und zahlreichen Fußnoten, doch die Attitüde der Belehrung wird immer wieder durch die Freude an der Beleidigung und den Hang zur Häme komplettiert. Dann wird Mathias Bröckers als „Hausdichter“ etikettiert, oder Hans-Jürgen Syberberg wird attestiert, niemand habe mit so wenigen Buchstaben „eine solche Qualität der Lüge erreicht“.
Es ist der Kult der Entlarvung, dem von Tolmein und zum Winkel im Übermaß gehuldigt wird. Da „erschließt sich die Perfidie eines Textes erst beim zweiten Lesen“, oder es „offenbaren“ Zeilen, „wie die scheinbar militante, anarchistische Pose der taz ans Faschistoide grenzt“. Es „dokumentiert“ der Einsatz moderner Computertechnik „die Aufgabe des in der Praxis allerdings nie präzise gefaßten Anspruchs, anders zu produzieren“.
An dem Objekt der Untersuchung wird kein gutes Haar gelassen: Wichtige Themen wie Ökologie, in denen die taz von Anfang an bis heute eine Avantgardefunktion in der Öffentlichkeit ausübte, fallen nahezu vollständig unter den Tisch. Das gesamte Traktat hat den Charakter einer kleinlichen Abrechnung in Form eines verbrämten Betroffenenberichts; zu einer Erklärung der Entwicklung der taz trägt es wenig bei. Als Materialsammlung ist es brauchbar, als Anstoß zu der von den Autoren geforderten Generaldebatte über die Zukunft des Blattes nur bedingt. Auf die Dauer sind die Tazsachen mehr ermüdend als erhellend in ihrer Monotonie der Entlarvung.
Oliver Tolmein/Detlev zum Winkel: Tazsachen. Krallen zeigen - Pfötchen geben. Konkret Literatur Verlag, 254 Seiten, 24 Mark
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