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KONKURRENZ FÜR DIE ZIMMERLINDE

■ „Sculptures de Chambre“ im Neuen Berliner Kunstverein

International, na klar! Den Ausstellungstitel wählte man französisch, (um das plumpe „Zimmerplastik“ zu umgehen), der Katalog erscheint in italienisch - denn aus Italien stammt die Ausstellung - und englisch - duch England ist sie gewandert. Schließlich landete die exquisite Pracht mitten am Kudamm in der Bel-Etage des Neuen Berliner Kunstvereins.

Vorprogrammiert wird das Jucken in den Fingern der Sammler. Gemein ist dem halben Hundert Skulpturen die Dimension zwischen der Größe einer Billardkugel und einem aufklappbaren Tischtannenbaum: Ganz eindeutig liebäugelt die Kunst diesmal nicht mit dem öffentlichen Raum, sondern gibt sich intim, lauert auf den Privatier. Doch daß sich darin nun eine entscheidende Bestimmung der modernen Kunst offenbare, nämlich zur intimen und subjektiven Auseinandersetzung herauszufordern, wie eine These im Vorwort des Katalogs lautet, scheint mehr die intellektuelle Verbrämung für das recht beliebte Auswahlkriterium, das erlaubte, von Duchamps und Man Ray bis zu Meret Oppenheim und Joseph Beuys einen Bogen zu schlagen und Gemeinsamkeiten zu behaupten.

Ein Schachbrett, diesmal nicht aus ordinärem Gold und Silber, sondern aus Eisen und Seidenpapier - erregender Gegensatz für die Material-Fetischisten - von Alighiero e Boetti gehört zu den wenigen notfalls mit einem Zweck zu belastenden Exponaten. Nicht mehr zu benutzen dagegen ist Jean Luc Vilmouth's im Lehmblock festgewachsene Axt, und bei Jean Tinguelys „Radio Piece“ mit dem offenen Transistor auf dem Rad einens Puppenwagens bleibt man dem von ihm bestimmten Hörprogramm ausgeliefert. In Meret Oppenheims „L'ecureil“ ist weder das Eichhörnchen echt, noch das gelbe, den Leib des Tieres simulierende Bierglas mit einer Krone aus Schaumstoff. Rebecca Horns Liebesthermometer scheint zwar eindeutig zweckbestimmt, allein die Anwendung bleibt ebenso rätselvoll wie der Gebrauch von Man Ray's „Enough Rope II“ - genug für was?

Die ironische Verfremdung des Alltäglichen gehört seit Duchamps Zeiten zu den Fingerübungen jeglicher in den dreidimensionalen Raum eindringenden Kunst. Oft aber kommt in dieser Ausstellung die Ironie nur noch auf Krücken daher, mühsam gestützt auf postmoderne Zitate. Wenn die Holländerin Niek Kemps auf einen mit vielen goldenen Holzleisten erhöhten Sockel in klassizistische Nischen Lippenstift, Kugelschreiber, Muschel und einen Eierbecher stellt, dann schockt der Kontrast zwischen der anachronistischen Würdeformel und den banalen Objekten längst nicht mehr, sondern geht glatt im Design der Produktwerbung auf. Ebenso müde beanspruchen Dokoupils schmelzende IGLO-Buchstaben aus eisblau bemalter Terracotta mehr zu sein als ein Werbegag. Kunstgeschichtliches und Reflexionen der Bedingungen und der heutigen Vermarktung von Kunst flochten viele Künstler zwar geschickt in ihre Arbeiten ein, doch ohne dadurch deren Status als Luxusobjekt zu beseitigen. Diese charmanten Skulpturen sind auf dem Niveau eines beim Dinner zum besten gegebenen Bonmots, einer geschwätzigen Anekdote angekommen, die um ihren Anachronismus weiß und mit ihrer eigenen Überflüssigkeit kokettiert.

Ein junger Berliner Künstler, Bernhard Garbert, zeigte mir in seinem Atelier einmal ganze Familien von verfremdeten Küchenschwämmen, Glühbirnen, Einmachgummmis und Kratzputzwolle. Die Serien dokumentieren seine Suche nach dem Knackpunkt, an dem ein Ding seine funktionalen Bestimmungen abstreift und auf einmal als ein fremdes Objekt in ästhetischen Dimensionen wahrgenommen wird. Doch für Garbert war klar, daß diese kleinen plastischen Arbeiten nicht in eine Galerie gehörten und keinesfalls die Erhöhung durch einen Sockel vertragen würden - gerade diese anspruchsvolle museale Inszenierung verdirbt im Kunstverein den Witz vieler Dinge.

Katrin Bettina Müller

Neuer Berliner Kunstverein: Sculptures de Chambre, bis 29.4.

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