piwik no script img

Heilige Paulis im Glück

Widersprüchliche mediale und sportliche Eindrücke von Borussia Mönchengladbach - FC Hl. Pauli Hamburg 2:2  ■  Aus Gladbach Bernd Müllender

Anläßlich der andauernden dichten Weihrauchschwaden um den zehnten Geburtstag dieses Blättleins liegt es nahe, der Leser Innenschar auch von einem Bundesligaspiel zunächst einmal mediale Eindrücke zu vermitteln. Die Rede sei von der Inflation im (insbesondere gefunkten) Medienwesen, die für eine Invasion von leibhaftigen Pressewesen sorgt. So auch im Journalistenblöcklein des Gladbacher Bökelbergstadions beim Gastspiel des Fußballclubs von der Reeperbahn.

Jeder kleinere Privatsender aus dem Norddeutschen schien da seine Reporterschar zur Borussia geschickt zu haben, merkwürdige Gestalten zumeist, die sich permanent irgendwelche obskuren Gedankenergüsse hin und her hanseatelten, schmerbäuchig über der Brüstung hingen und immer wieder, einen sendenden Walkman ins Ohr gekabelt, mit der umhergerufenen Kenntnis aktueller Zwischenstände von anderen Spielen Eindruck in der Kollegenschar zu schinden trachteten. Eine junge Frau vom berüchtigten „Radio Schleswig Holstein“ quasselte immer wieder Live-Reportagen von einer großartigen Schar ihrer Heiligen Paulianer ins Programm, auch wenn die gerade noch so unglücklich und minderwertig herumfußwerkten. Nun sind im Journalistengewerbe die Sportreporter - zu recht - seit jeher nicht gerade die bestbeleumundetsten, aber mit diesen neuen Kollegen wird das Genre weitere schwere Imageverluste hinnehmen müssen.

Machen wir es an dieser Stelle also besser und versuchen wir mit intellektueller Schärfe und fußballerischer Fachkunde von einem Kick zwischen dem nach wie vor einzigen Bayern-Bezwinger Gladbach und dem Hamburger Kleinverein zu berichten, der laut Stadionsprecher „größten Überraschung dieses Jahres“.

Schon vor dem Anpfiff zeigte Reservespieler Ottens beim Warmschießen seine ganze Klasse, als er das Kunststück fertigbrachte, dem scheinbar sicher hinter dem Tor stehenden taz-Analytiker den Ball irgendwie abgefälscht über die Bande ins Kreuz zu knallen. Wie kreuzgefährlich da erst die erste Elf ist, zeigte sie schon in den Anfangsminuten, als hübsche flinke Konter die etwa siebenfach ersatzgeschwächten Fohlen -Fußballer in arge Nöte brachten. Sie führten mit Golkes gekonntem Dropkick zum verdienten 0:1, was aber gleichzeitig schon das Ende aller Hamburger Fußballkünste war. Denn dann, so erklärte es hinterher ihr Coach Schulte gegen alle übliche Fußballphilosophie, „haben wir uns von der Heimmannschaft wie so oft schon einschläfern lassen“. Des Stürmers Criens schnelle Drehung plus schnellem Schuß muß er gemeint haben (das 1:1), ein knallharter Kullerball, der beim Ersatzpauli Thomforde, der für den Häuser- und Klassenkampferprobten Linienlinksaußen Ippig das Kästchen bewachte, ausgerechnet ins linke Eck schlüpfte.

Schon bei Halbzeit, Radio Schlecht Wie Hohlstein war schon wieder ganz sendungsbewußt auf Draht, schälten sich weitere Widersprüchlichkeiten heraus wie die Banane aus der Bananenflanke: etwa daß der Gladbacher mit der 8 Neun heiße. Oder daß ausgerechnet der hölzerne Tscheche Straka ein Nationalspieler sein soll, dem sein Landsmann Kocian auf der anderen Seite in Sachen technischer Kunststücke (Motto: der Platz ist kurz, aber hoch) wenig nachstand.

Das Fohlen Bruns wird allmählich mit Pässen in den völlig freien Raum zum alten Gaul, der Pauli Trulsen blieb braungebrannt blaß, und Kollege Jens Duve ist trotz seiner 194 Zentimeter der wohl kopfballschwächste Gegenspieler, den Borussias Mittelstürmer Criens je hatte.

Der weitere Spielverlauf bestätigte diese Ahnungen. Ausgerechnet Criens, ziemlich oberschenkelverletzt, traf ein zweites Mal, und die Borussia hatte Chancen satt gegen die immer schlapperen Hamburger. Doch irgendwann in der 65. Minute ließen alle Gladbacher den starken Flad käfermäßig laufen und laufen und laufen, Olck durfte fein flanken, und Rüdiger Wenzel, mit bald 36 Jährchen sozusagen der Burgsmüller vom Millerntor, torte per Flugkopfball zum Endstand von 2:2. Fohlendompteur Werner tief traurig: „Den einzigen Konter kriegen wir untergebracht.“ Oberpauli Schulte freute sich: „Endlich haben wir mal nicht so gut gespielt, aber einen Punkt geholt.“

Das ist gar nicht so leicht in Mönchengladbach, aber St. Pauli ist schließlich nicht Bayern München. Werner: „Das ist eben Fußball.“ Richtig: Das Spiel ist halt rund, und der Ball dauert 90 Minuten, und nach dem Spiel, was bekanntlich immer vor dem Spiel ist, ist man schlauer als vorher, also nachher.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen