: Justitias neue Kleider
■ Streikspuren am Fachbereich Jura / In der „Mitlernzentrale“ wollen StudentInnen gemeinsam fürs Examen büffeln / Das „Institut für Autonome Rechtswissenschaft“ will dagegen Lehre und Studium verändern / Das Interesse der StudentInnen an Reformen ist wieder ziemlich erlahmt
Auch am Fachbereich Jura der FU - mit über 5.000 eingeschriebenen StudentInnen einer der größten an der Befreiten Universität - hat der StudentInnenstreik des letzten Semesters deutliche Spuren hinterlassen. Sichtbarster Ausdruck: die eher pragmatisch orientierte „Mitlernzentrale“ (MLZ) und das „Institut für Autonome Rechtswissenschaft“, das weitergehende Zielsetzungen verfolgt. Will die MLZ die aktuelle Misere in der Ausbildung mit Hilfe neuer Tutorien verbessern, so geht es den autonomen JuristInnen vor allem um ein anderes Verständnis von Recht, als das, was ihnen als „herrschende“, und damit einzig gültige Meinung während des Studiums vermittelt wird.
Die große Resonanz, die der Streik auch bei den traditionell konservativen JurastudentInnen fand, führen die MitarbeiterInnen beider Gruppen übereinstimmend auf die äußerst miserable Ausbildungssituation zurück. Neben völlig überfüllten Lehrveranstaltungen bemängeln sie ein fast durchgängiges Desinteresse der Professoren an der Lehre, die zudem von keinerlei didaktischer Fachkenntnis getrübt sei. Da verblüfft es dann nicht, daß an der Uni nichts gelernt wird und am Ende des Grundstudiums eine kollektive Massenflucht der StudentInnen aus dem Hörsaal einsetzt. Ihr gemeinsames Ziel: das Repetitorium, der Paukkurs (siehe nebenstehenden Bericht). In dieser Einrichtung, die auf eine zweihundertjährige Tradition zurückblickt, wird ohne wissenschaftlichen Anspruch gepaukt und nicht studiert. Das alles kostet natürlich: der 18monatige Kurs knapp 3.000 DM. Geboten wird dafür die Chance, zu den etwa 75 Prozent der zur Prüfung zugelassenen StudentInnen zu gehören, die das Staatsexamen bestehen.
Die Tutorien, deren Einrichtung jetzt auch vom Fachbereich befürwortet wird, verstehen sich, so Jens Terboven von der MLZ, nicht als Konkurrenz zu den Paukkursen. In ihnen soll es vielmehr darum gehen, nicht nur die sogenannte „herrschende Meinung“ zu büffeln, sondern auch „Recht zu diskutieren und zu hinterfragen“. Detlef Leenen vom Fachbereich für die Studienberatung bestimmter Hochschullehrer sieht in den Tutorien aber auch eine Gefahr. Aufgrund der bei JurastudentInnen verbreiteten Konsumhaltung könnten sie, so befürchtet er, von der Mehrzahl der StudentInnen mißbraucht werden, um die kostspieligen Repetitorien zu umgehen.
Dieser Zweckentfremdung will Leenen dadurch vorbeugen, daß die TutorInnen nicht nur nach fachlichem Wissen, sondern vor allem nach „didaktischen Qualitäten und persönlicher Motivation“ ausgesucht werden sollen. Dafür wurde eigens eine Tutorienkommission eingerichtet. Bei ihrer Besetzung gelang den StudentInnen an diesem stramm konservativen Fachbereich ein erstaunlicher Erfolg. Neben einer paritätischen Besetzung mit Hochschullehrern, StudentInnen, wissenschaftlichen und sonstigen MitarbeiterInnen führt ein Student in diesem Gremium den Vorsitz.
Ganz andere Ziele haben die InitiatorInnen des „Instituts für Autonome Rechtswissenschaft“ vor Augen. Ihnen geht es um eine grundsätzliche Veränderung der Juristenausbildung. Nach ihren Vorstellungen sollen die für Jura wichtigen Nachbardisziplinen wie Wirtschaftswissenschaft, Soziologie und Philosophie in den Ausbildungsplan miteinbezogen werden. Darüberhinaus fordern sie, daß ihre Ausbildung einen stärkeren Bezug zur Praxis erhalten soll, indem beispielsweise Anwälte und Richter in die Lehre integriert werden und aktuelle Rechtsfälle aufgreifen. Ob sie mit diesen Zielvorstellungen ihre KommilitonInnen auch über den Streik hinaus begeistern können, ist zur Zeit fraglich. Deren Interesse, so Pinus Fichtner vom autonomen Institut, ist seit Anfang des Semesters „ziemlich erlahmt“.
Die MLZ dagegen kann bereits auf erste Erfolge verweisen. Nach langen und zähen Verhandlungen hat der Fachbereich jetzt erste Zusagen gemacht und für die bisher mit eigenen Mitteln betriebenen etwa 30 Tutorien der MLZ die nötigsten materiellen Dinge zugesagt. Neben Portokosten, Zugang zu Kopierern und der Benutzung von Räumen hat er drei studentische Hilfskraftstellen für organisatorische Tätigkeiten bewilligt. Eine wichtige Funktion haben die Tutorien nach Ansicht der MLZ bereits erfüllt. Das „eisige soziale Klima“ am Fachbereich Jura konnte aufgebrochen werden, „man spricht jetzt miteinander“.
thol
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