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Zur Kenntlichkeit entstellt

■ Shirley MacLaine als „Madame Sousatzka“ in John Schlesingers Film

„Ich heiße Sousatzka, Sou-satz-ka.“ Wer ihren Namen falsch ausspricht, hat schon verloren. Alleine ihr Blick - eine Züchtigung. Madame Sousatzka ist eine alte Klavierlehrerin, die ihre jungen Schüler mit scharfen Worten und autoritären Gesten drangsaliert, eine exzentrische Person, ein Reptil aus dem 19. Jahrhundert. Ihre Londoner Wohnung in einem verkommenen viktorianischen Haus ist vollgestopft mit schweren antiken Möbeln, Vorhängen und Kerzen, Nippes und Bildern und Fotos von den großen Pianisten aus vergangener Zeit. Eine Mischung aus Salon und Museum und mittendrin das Ungetüm, der Flügel.

Madame Sousatzka ist Shirley MacLaine. Ihr Alter: 65; ihr Mund: ein Kindermund. Spitz und frech und drumherum die fleckige Haut einer alten Frau, die sich schminkt, als habe sie nach wie vor die Porzellanwangen eines jungen Mädchens, und die sich das Haar zu Löckchen dreht wie seinerzeit mit siebzehn. Die Augen sind dick und dunkel bemalt, damit sie strenger blicken können. Aber die Schminke macht die Augen nur kleiner und mildert die Strenge: Was da blitzt, ist eher kindlicher Trotz. Shirley MacLaines Gesicht erzählt Romane die Geschichte einer alten Frau, die Mädchen geblieben ist. Ein gezeichnetes Gesicht: Es ist sanft und verhärmt, verliebt und unerbittlich, naiv und altersweise, verschlossen und doch jedes Geheimnis preisgebend. Es füllt die Leinwand wie selten ein Gesicht in Großaufnahme, läßt sich studieren wie eine Totenmaske und bleibt dennoch unfaßbar.

John Schlesingers Film hat einen entscheidenden Fehler: Die Geschichte dieses Gesichts enthält er uns vor. Dabei bemüht er sich um nichts mehr. Er beschwört alles, was da vergeht, das alte London, dem geschäftstüchtige Häusermakler mit der Abrißbirne zu Leibe rücken, die alten Leute, die auf ihre späten Tage in Altersheime verpflanzt und dort gebrechlich werden. Und er erzählt vom Niedergang einer Musik-Kultur, die von pfiffigen Managern für den Konzert- und Festivalbetrieb vermarktet wird. Im selben Haus, ein Stockwerk höher, wohnt Twiggy, die berühmte Twiggy der Swinging Sixties. Auch sie wird ihre Schlager nicht mehr los und muß irgendwann die Koffer packen. Auch sie ist längst nicht mehr so jung, wie sie aussieht: Twiggy wird dieses Jahr 40.

Sousatzkas junger Schüler Manek, der Sohn einer ehrgeizigen attraktiven Inderin, in den Madame sich zaghaft verliebt, spielt Chopin und Brahms, Mendelssohn und Schubert, Liszt und Skrjiabin: alleine die Tonspur ist eine Hommage an die Romantik. Aber Kinoton ist nicht live und hat meistens nicht mal die Qualität einer besseren Stereoanlage. Das scheppert schon mal oder dröhnt oder eiert, daß es wehtut. Und die Klavierstunden - wie aus dem Bilderbuch. Da wird kräftig in die Tasten gegriffen und tüchtig mit den Schultern gerührt, geübt wird nie. Keine Sekunde glaubt man dem jungen Schauspieler Navin Chowdhry, daß er wirklich spielt. Zu sehen ist nur, wie er gelernt hat, das Klavierspielen zu imitieren. Wenn er jedoch, entgegen Madames ausdrücklichem Verbot, rollschuhfahrend nach Hause flitzt, ist er genau der Junge, der es mit dem Pianistwerden nicht ganz so eilig hat und der sich mehr für Twiggy interessiert als für die Zuneigung der alten Lady.

Das alles wäre noch zu entschuldigen, wenn Schlesinger einfach Shirley Mac Laines (und auch Twiggys) Gesicht dagegen setzte. Aber er traut sich nicht, verrät in Rückblenden vergangene Dramen und reduziert Madame Sousatzkas Verwundbarkeit und Autorität auf eine unglückliche Liebesgeschichte und auf das Versagen der jungen Sousatzka beim ersten öffentlichen Konzert. Das Gesicht ist ein Traum, Schlesinger erzählt von einem Trauma.

Und macht den großen alten Star wirklich zum exotischen Tier, behängt sie mit Klunkern und altmodischem Kleid und taucht sie in kitschig-gelbes Kerzenlicht. Spielen darf Shirley MacLaine nicht. Dabei könnte sie es. Als Manek einmal kurz einen Boogie wagt, tanzt sie mit den Schultern dazu, einen Augenblick läßt sie sich gehen: eine winzige Bewegung nur und doch heftiger als jede denkbare Ausgelassenheit auf der Tanzfläche.

Hinterher überkommt einen die Trauer. Nicht die Trauer, die Schlesinger wohl bewegt hat, diesen Film zu drehen, sondern weil es solche Gesichter im Kino kaum mehr gibt. Weil die Alten selten Hauptrollen kriegen und Frauen auf der Leinwand immer jung und sexy sein müssen. Weil Shirley MacLaine, der Trotzkopf aus Hitchcocks Immer Ärger mit Harry, die Naive aus Irma la Douce, die Schauspielerin, die '68 in die Politik ging, die in den 70ern die erste Frauendelegation nach China führte, die Asien und Afrika bereist und Bücher darüber geschrieben hat - weil diese Frau ihr Gesicht hergeben muß für Schlesingers wehleidigen Abgesang.

Die Schminke hat MacLaines Gesicht zur Kenntlichkeit entstellt. Der Regisseur trägt bloß auf und kleistert zu.

Christiane Peitz

John Schlesinger: Madame Sousatzka, Drehbuch von Ruth Prawer Jhabvala und Schlesinger nach dem Roman von Bernice Rubens, mit Shirley MacLaine, Twiggy, Peggy Ashcroft, Navin Chowdry, Großbritannien 1988, 122 Min.

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