piwik no script img

„Verbaler Giftmüll“

■ Was Kohl-BesucherInnen von der Parolen-Poetik des Kanzlers halten / Kleine Umfrage unter Kohl-Freunden und Kohl-Verächtern

„Radikale und SPD - Zukunft und Wohlstand ade.“ In Bremen ist die geniale Wortschöpfung, mit der die CDU in den Europawahlkampf zieht, zwar noch gar nicht recht aufgetaucht. In Walle wurde eines der raren Plakate gesichtet. Der Streit über die Bemühungen, knapp links und rechts neben der CDU das Chaos beginnen zu lassen, erhitzt trotzdem schon Bremer Gemüter. Während Kanzler Kohl gestern seiner Freude über seine Gegenwart in Bremen Ausdruck zu geben sich mühte, erkundigte sich die taz bei seinen ZuhörerInnen nach ihrer Meinung zum Kohl-Kampf.

„Wie können Menschen sich soweit herablassen“, lautete der Kommentar einer 71jährigen ehemaligen Obst- und Gemüsehändlerin, „solche Machtkämpfe sind einfach traurig.“

Auf eher ablehnende Haltung stieß die umstrittene CDU-Parole ansonsten eher in den jüngeren Jahrgängen: „Ich find‘ das ja auch nich‘ okay“, meinte ein 19jähriger Wehrpflichtiger „in spe“. „Aber CDU wähle ich wohl trotzdem.“ Überhaupt scheinen sich viele CDU-Anhänger von der radebrechend gereimten Annäherung der Christdemokraten an Republikaner und DVU nicht schrecken zu lassen: „Kritik aus den eigenen Reihen ist ja legitim“, entgegnet ein 53jähriger Kohl-Ordner. Einen Grund, auf die Plakatierung zu verzichten, sah der Marktplatz-Ordnungshüter aber dennoch nicht: „Die CDU -Verbände müssen zu dem stehen, was von oben kommt“, spielte er auf Distanzierungen und Plakatierverweigerungen mancher CDU Ortsgruppen an. Ein Soldat - ebenfalls Ordner - zeigte sich zwar auch parteitreu, sprach den Ortsgruppen aber ein autonomes Entscheidungsrecht zu. Als einzige der befragten CDU-Anhänger zeigte sich eine 23jährige Bürokauffrau wirklich enttäuscht: „Das war 'ne Portion zu primitiv, die wähle ich erst wieder, wenn die mit sachlichen Argumenten kommen.“

Ob rot oder grün: Bei Nicht-CDU-Wählern zeigten sich durch die Bank empörte Reaktionen: „niveaulos“, „peinlich“ und „teilweise faschistoid“ lauteten die Wertungen für die politische Phantasie der christdemokratischen Werbemanager. „Damit hat sich die CDU erneut auf Goebbelssche Rethorik herabgelassen, aus Kiel haben die echt nichts gelernt“, konstatierte ein 20jähriger Abiturient. Ein gleichaltriger Arbeitsloser fügte hinzu: „Solch verbalen Giftmüll muß man verhindern“ - sein FDP wählender Nachbar reagierte da schon weniger vehement: „Das sollte einem schon zu denken geben.“ Was des Kanzlers PR-Mannen mit ihrer Poesie tatsächlich anrichten, wird am 18. Juni entschieden. s

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen