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Theatralische Aufklärung im Gefängnis

■ Ein Theaterstück über Vergewaltigung, gespielt in der Vollzugsanstalt Oslebshausen

Die Frauen haben sich hübsch gemacht. „Du glaubst gar nicht, was das für ein Aufwand ist, sich hier überhaupt schminken zu können“, sagt eine Blonde mit müden Augen, und ihre Nachbarin begründet: „Wenn du bei der Verhaftung nichts bei dir hast, kommst du so leicht nicht mal an einen Lippenstift“. Aber weil ihre Lippen so rosa und die Wimpern sehr schwarz sind, muß sie etwas dabei gehabt haben. Wir stehen zusammen mit anderen Gefangenen auf einer Art Feuerleiter, die zur Aula ganz oben im Knastschulgebäude führt. „Wir sind jetzt die Knackis“, hat eine meinen Annäherungsversuch kommentiert. Daß ich hier bin liegt daran, daß der pädagogische Dienst der Haftanstalt Oslebshausen, Erwachsenenvollzug, das Schnürschuh-Theater mit dem

Stück „Püppchen“ (Thema: sexuelle Gewalt) eingeladen hat.

Die Gefangenen haben von weitem wie Schulklassen ausgesehen, weil sie in Gruppen hergeführt wordesind. Groteskerweise paßt das zu einem Kinder- und Jugendtheater. Die Männer, viele totaltätowiert und in kurzen Hosen, beherrschen das Bild vor der überall aufschießenden ziegelroten Gefängniswucht. Das Hauptgebäude ist ein riesiger Kirchenkatamaran: in der Mitte ein hoch gehobenes Gotteshaus, und rechts und links davon, in zwei riesigen Auslegern, die Gefangenentrakte. Ein unsinkbares, monolithisches Gebilde, das aus Menschen gleichförmige Krabbeltiere macht.

Von den 17 inhaftierten Frauen nutzen fast alle das Ereignis, die Männer können sich auch mit an

deren Abwechslungen über Wasser halten. Auf einem großen, eingemauerten Platz im Hintergrund spielen viele lieber Fußball. Trotzdem ist der Theaterbesuch für die meisten etwas Außerordentliches: Er schafft die Möglichkeit, daß Männer und Frauen zusammentreffen und vielleicht sogar miteinander reden können. Ein Tabu hier im Gefängnis. Günther Grosche, der Lehrer und Gefängnistheater-Pädagoge, hat alle Augen voll zu tun, um die Übersicht zu behalten. Ungeübte hören erst später am verhaltenen Schlüsselklirren hier und da, daß (natürlich) auch Aufseher im Publikum verteilt sind. Man fürchtet bei derartig geballtem „kriminellem“ Zusammentreffen Munkeleien im Dunkeln.

Das Publikum ist verteilt und vorher eingestimmt worden auf's brisante Stück: Ulla, als Kind von ihrem Vater ständig sexuell mißbraucht, leidet in ihrer ersten eigenen Bude unter den (verdrängten) Schrecken der Vergangenheit, ist mißtrauisch und voller Scham- und Schuldgefühle. Noch nie hat sie mit jemand über ihre Albtraumkindheit gesprochen. Marion, ihre Freundin, der sie sich zum Schluß anvertrauen wird, will nicht mehr nett sein und

provoziert mit Fett und Wäscheklammern - im Haar Struwwelliese. Die beiden männlichen Gegenspieler sind Bowie und Skookie, der eine ein rocksingender Aufreißer, der andere ein Hängearmiger und zu spießig zur Anmache. Die Schnürschuh-Truppe, nach eigenen Angaben „Betroffenen -Theater“, will mit dem Stück das Tabuthema Vergewaltigung brechen. Ein Teil des Publikums geht heftig mit: „Schmeiß‘ den Typ raus!!“ ruft eine Frauenstimme. „Hau‘ ihm eine rein!“ skandiert ein Hintermann bei Machoszenen. Im Saal wird es immer unruhiger und heißer. Viele Männer unterhalten sich - still sitzen müssen sie schließlich den ganzen Tag. Die meisten von ihnen haben ein „Gewaltproblem“, erzählt Herr Grosche. Sind Sexualtäter dabei? Die er kennt, sind nicht da. Aber:„Wenn das hier rauskommt, daß einer wegen Sexualdelikte sitzt, hat er kein leichtes Leben mehr unter den Gefangenen“.

In der Pause lassen sich die, die geredet haben, wieder in ihre Zelle „rüberschließen“. Die Frauen rauchen eine Zigarette nach der andern. Es ist ihr erstes „kulturelles Ereignis“ seit einem dreiviertel Jahr, sagt eine, die je

den Tag acht Stunden lang Zahnstocher einpacken muß. Der zweite Teil des Stücks geht diszipliniert zu Ende. Es darf diskutiert werden, trotz eines kleinen Widerstands getrenntgeschlechtlich. Die Pressefrauen (kein einziger männlicher Journalist war da) werden zu den nun wieder „verwahrten“ Frauen gebracht. Wie man sich wohl fühlt, wenn man zu allem den Schlüssel hat? Die Frauen sitzen im Kirchenraum zusammen um einen derben Tisch, es riecht wie im Religionsunterricht. Die zwei Schauspielerinnen und Anstaltsangestellte sitzen da.

Alle sind sich einig: Die Männer müssen geändert werden. Bloß wie? Nach einer Stunde wird aus der Diskussion schrecklicher Ernst: Eine Frau bricht weinend zusammen. Unter Qualen erzählt sie ihre Geschichte. Sie ist mit 18 vergewaltigt worden, und ihr Lebensweg hat seitdem bergab geführt bis in's Gefängnis. Ihre Mitgefangenen trösten sie liebevoll. Vielleicht ist heute nacht ein „Umschluß“ möglich, so daß eine Frau bei ihr in der Zelle bleiben kann. Um 22 Uhr werden wir hinausgebeten, normalerweise wird um halb sieben eingeschlossen. Claudia Kohlhas

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