: TURMBAU ZU MANHATTAN
■ Architektur in New York / Mit postmodern-eklektizistischen Gebäuden wird munter um Geld, Ruhm und Rekorde gerungen
Vor nicht einmal 20 Jahren schien New York City, jene atemberaubende Megalopolis aus Stein, Stahl und Asphalt, dem Tode geweiht. Die Stadt stand vor dem Abgrund, nichts wollte mehr funktionieren: Bürotürme standen leer, die U-Bahn verrottete, und ganze Viertel verkamen. Die totale Pleite, sprich: eine förmliche Bankrotterklärung schien unabwendbar. Doch plötzlich, wie schon so oft in der turbulenten Geschichte New Yorks, tauchten sie wieder auf, die gerissenen Finanzakrobaten, Immobilienhändler und Bauspekulanten. Nur wenige ahnten anfangs etwas von den fetten Jahren, die da kommen sollten.
Zu den ersten, die in der Krise eine Gunst sahen, die sie rücksichtslos zu nutzen wußten, gehörte einer der heute mächtigsten Baulöwen der Stadt: Donald Trump. Gerade 28 Jahre alt, kaufte er 1976 von der bankrotten Eisenbahngesellschaft Penn Central das in der 42.Straße (gleich neben Grand Central Station) gelegene Commodore Hotel. Der arg lädierte Kasten war für zehn Millionen Dollar zu haben. Weitere 80 Millionen schwatzte er für die Sanierungsarbeiten einigen Banken ab, und die Stadt legte 120 Millionen an Steuervorteilen drauf. 1981 schließlich war das beinahe schon aufgegebene Gemäuer in ein erlesenes Luxushotel verwandelt. Unter dem Namen Grand Hyatt wirft es seitdem jährlich etwa 30 Millionen Dollar Gewinn ab. So ändern sich die Zeiten. * * *
Spekulanten vom Schlage eines Trump haben dafür gesorgt, daß sich seit gut zehn Jahren in Manhattan eine Bauwut austobt, die ihresgleichen sucht. Alles ist erlaubt, solange die Kasse stimmt. Denn längst ist auch die Stadt auf den Geschmack und in großem Maßstab ins Geschäft gekommen. New York, klagt die Architekturkritikerin Ada Louise Huxtable, veräußere sich durch den Verkauf oder langfristige Verpachtung stadteigener Grundstücke hemmungslos an private Bauunternehmer. Rücksichten auf urbane und soziale Gegebenheiten sowie auf Bauvorschriften bleiben in der Regel auf der Strecke.
Rund um den Times Square zum Beispiel sollen vier massige Bürotürme (entworfen von Philip Johnson und John Burgee) entstehen, mit denen zweifellos das ganze Viertel kahlschlagsaniert wäre. Was für die Stadt und die privaten Investoren ein glänzendes Geschäft zu werden verspricht, dürfte für die Infrastruktur des betroffenen Gebietes tödliche Folgen haben. Denn nicht nur wären Tausende von Anwohnern vertrieben und das Sündenbabel rund um die 42.Straße ausgehoben, auch der berühmte Theaterdistrikt würde einen solchen Schlag wohl kaum verkraften.
Ein weiteres Beispiel für die gegenwärtig grassierende Gigantomanie ist das (ebenfalls am Times Square) brutal hingeklotzte Marriott Hotel von John Portman. Von der Umgebung wie ein Gefängnis hermetisch abgegrenzt, wirkt diese Bettenburg, als sei sie hier versehentlich von einem gigantischen Kran abgesetzt worden. Von dem Versuch, das umliegende Bauensemble zu respektieren, ist nichts spürbar. Warum auch: die große Show - und nur darum scheint es, nicht untypisch für das Bauen in den postmodernen achtziger Jahren, zu gehen - wurde nach innen verlegt und kommt als eine aberwitzig inszenierte Lobby daher, die rund 30 Stockwerke in die Höhe steigt. * * *
Ein anderes Großprojekt, vielleicht die rühmliche Ausnahme des allerorts verbreiteten Baudeliriums, ist allemal einen Ausflug wert: Battery Park City, ein nagelneuer Stadtteil, der sich an der Südspitze Manhattans auf einem 37 Hektar großen Gelände am Ufer des Hudson erstreckt. Neben zahlreichen klug angeordneten und geschickt dimensionierten Apartmenthäusern für 30.000 Mieter und Eigentümer (Mieten ab 1.500 Dollar!) entstand ein aus vier Türmen bestehendes Bürozentrum für weitere 30.000 Beschäftigte: das World Financial Center. Seine Hauptmieter gehören zu den Giganten des internationalen Geldgeschäfts: die Börsenmaklerfirma Merrill Lynch, der Verlagskonzern Dow Jones und American Express. Architekt des Projektes ist Cesar Pelli, ein gebürtiger Argentinier, der durch so ungewöhnliche Werke wie den 1984 über dem Museum of Modern Art errichteten Apartmentturm aufgefallen war.
Pelli widerstand der Versuchung, dem wieder in Mode gekommenen Verlangen nach grellen und möglichst unverwechselbaren architektonischen Gesten nachzukommen. Das Design seiner vier Gebäude in Battery Park City besticht durch eine schlichte Eleganz und selten anzutreffende Ausgewogenheit. Luft und Licht übrigens haben zu dieser bemerkenswerten „Kleinstadt“ nahezu ungehindert Zugang: Fast 50 Prozent des Areals sind unbebaut geblieben und stehen nunmehr der Bevölkerung als Erholungsraum zur Verfügung. Die New Yorker wissen es zu schätzen: in Scharen strömen sie downtown, um den palmenbepflanzten, 38 Meter hohen Wintergarten zu besuchen oder an der Uferesplanade mit Blick auf den Hudson zu promenieren.
In unmittelbarer Nachbarschaft liegt, unübersehbar, eine andere Stadt in der Stadt, die in zwei silbern schimmernde Türme, die höchsten Gebäude New Yorks, gepfercht und mitten in den Krisenjahren erbaut wurde: das World Trade Center (Architekt: Minoru Yamasaki). Der Welt größtes Handelszentrum mit eigener Postleitzahl und rund 2,5 Millionen Quadratmetern vermietbarer Bürofläche setzte schon bei Baubeginn neue Maßstäbe. Um die 110 Stockwerke hohen Vierkantdosen im Boden zu verankern, wurden eine Milliarde Kubikmeter Erdreich und Gestein ausgebuddelt und in den Hudson gekippt: ein neues Stück Land entstand, das Gelände der heutigen Battery Park City. Doch während dort mittlerweile die Wege, Plätze und kleinen Parks dicht bevölkert sind, ist die weite „Plaza“ zwischen den Zwillingstürmen meist verwaist. Durch ihre Anordnung ist nämlich eine Art Windkanal entstanden, durch den allzu oft eine scharfe Brise pfeift, die Besucher wie Beschäftigte in das Labyrinth der unterirdischen Ladenstraßen oder auf die in 410 Metern Höhe eingerichtete Aussichtsplattform vertreibt. * * *
Einmal mehr hat unter den Bauherren New Yorks die Sucht nach Superlativen Hochkonjunktur. Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist der Größte im ganzen Land? Dies scheint die Schlüsselfrage für jene Unternehmen, Bauspekulanten und Architekten zu sein, die gegenwärtig mit dem Umbau von Midtown Manhattan beschäftigt sind. Dem neu erwachten, schier unersättlichen Repräsentationsbedürfnis der kapitalkräftigen Auftraggeber kommt dabei eine Architektur bereitwillig entgegen, die sich als Ausgeburt des postmodernen Zeitgeistes verkauft und je nach Bestellung das reichhaltige Arsenal historischer und moderner Stilrichtungen zu plündern versteht.
Helmut Jahn zum Beispiel, das aus Nürnberg stammende Wunderkind der zeitgenössischen amerikanischen Architektengilde, hat mit seinem Park Avenue Tower in die 55.Straße eine farbenfrohe Glasbox gestellt, auf der eine kleine Pyramide thront. Das „romantische High Tech“ (Jahn über Jahn), mit dem er vor allem Chicago, die eigentliche Geburtsstadt der modernen amerikanischen Architektur, seit gut zehn Jahren überzieht, zeitigt einen geradezu sensationellen Erfolg: auf den Zeichentischen der Firma Murphy/Jahn liegen gewöhnlich Projekte im Wert von rund zwei Milliarden Dollar.
Oder nehmen wir das in New York ansässige Duo Philip Johnson und John Burgee. 1984 wurde an der Madison Avenue ein von ihnen entworfenes Gebäude fertiggestellt, das schon in der Planungsphase Furore machte und als Pionierbau postmoderner Hochhausarchitektur galt: das AT&T Building. Für ihr neues Hauptquartier hatten die Bosse von American Telephone&Telegraph sich etwas Würdevolles und Solides gewünscht, und sie bekamen, wonach sie verlangten: einen augenfälligen, mit 13.000 Tonnen Granit verkleideten Prachtbau, in dem Zitate aus Romantik, Gotik und Renaissance zu einem wirkungsvollen Stilgemisch zusammengestellt sind. Das monumentale Eingangsportal etwa, dessen Bogen sich über sechs Stockwerke erstreckt, suggeriert die Dignität einer Kathedrale. In der Lobby indessen reckt sich, von Spotlights ins rechte Licht gerückt, ein geflügelter „Golden Boy“, der mit Funkenbündel und Telefonkabel eine Art Hermes des 20.Jahrhunderts abgibt. Hoch droben aber befindet sich das eigenwilligste Element des Gebäudes, das den lange verpönten Eklektizismus der historistischen Architektur in New York wieder salonfähig machte. Der Giebel nämlich, durch eine runde Aussparung markant gebrochen, ist nach dem Vorbild jener Schrankmöbel gestaltet, die im 18.Jahrhundert als „Chippendale“ in Mode waren.
Für Philip Johnson war das AT&T Building zweifellos der endgültige Bruch mit der Tradition des Bauhauses und seines wichtigsten Vertreters Mies van der Rohe, unter dessen Einfluß er drei Jahrzehnte gestanden hatte. Van der Rohes einziges Gebäude in New York, das zwischen 52. und 53.Straße in der Park Avenue gelegene Seagram Building von 1958, gilt längst als formvollendeter Klassiker der Architekturmoderne, als eine perfekte Verwirklichung seiner berühmten Forderung „Weniger ist mehr“. Hier wurde radikal auf Zierat und Ornament verzichtet, der Bau ist kaum mehr als ein Quader, dessen Konstruktionsprinzip offen zutage liegt. Das Stahlskelett ist nicht hinter einer historisierenden Verkleidung versteckt, sondern bewußt nach außen gekehrt; es stiftet geradezu die präzise Logik und strenge Symmetrie der Fassadengestaltung. * * *
Freilich begann die moderne amerikanische Architektur nicht erst mit den aus Europa immigrierten Bauhaus-Architekten. Schon um die Jahrhundertwende hatte sie sich formiert, im fernen Chicago, vor allem im Werk von Sullivan und Frank Lloyd Wright. Doch die Bedeutung ihrer Entwürfe spiegelt sich im Stadtbild von New York kaum wider: Einzig Wrights Guggenheim-Museum (1959), eine spiralförmige, schneeweiße Architekturplastik, fällt hier ins Gewicht.
Heutzutage aber wird mit postmodern eklektizistischen Gebäuden munter um Geld, Ruhm und Rekorde gerungen. Nicht um das Erbe von van der Rohe oder Wright, nicht um das Schicksal der Moderne geht es heute in New York als um den Profilierungskampf gigantomaner Investoren, die mit stets neuen Wunderbauten die Konkurrenz zu überbieten trachten. So schießt ein Turm nach dem anderen aus dem Boden und wächst in einen kunterbunten Wolkenkratzerwald hinein, der kaum mehr überschaubar ist. Schon bald mag sich ein neuer Wipfel zeigen, der alle anderen überragt, denn tolldreist plant Donald Trump den bislang größten Phallus seines privaten Geltungsdrangs, ein Haus mit 135 Geschossen.
Manhattan verändert täglich sein Gesicht. Die (post)moderne Steinzeit dort hat einen Takt, der nicht in Jahren oder in Epochen, sondern in Augenblicken zu bemessen ist. So ist ein jeder Gang durch seine Straßenschluchten denn auch ein rechtes Abenteuer, das nie zu Ende geht und immer wieder Neugier weckt.
Albrecht Thiemann
Beide USA-Texte sind ein gekürzter und leicht veränderter Vorabdruck aus: „LänderBilderLeseBuch New York und die Ostküste USA (I)“, Hrsg.: Till Bartels; Elefanten Press Verlag, Oranienstr.25, 1 Berlin 36, Preis: 29 DM.
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