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Der Mord im Dom von Mogadischu

■ Somalias Generalspräsident hält sich nur noch mit Massakern an der Macht / Aus Mogadischu Knut Pedersen

Am Anfang stand der Mord an einem katholischen Bischof in der ehemaligen britisch-italienischen Kolonie am Horn von Afrika. Das war vor einem Monat, am 9.Juli. Einiges spricht dafür, daß Diktator Siad Barre selbst dahintersteckte, um anschließend „islamische Fundamentalisten“ zu verhaften und die folgende Protestwelle zu einem Massaker an über 400 Menschen und zu Massenhinrichtungen zu nutzen. Die Weltöffentlichkeit weiß bisher kaum etwas über die Ereignisse - das Land ist seit 18 Monaten für Journalisten gesperrt -, und die westlichen Verbündeten Somalias schweigen: Für Washington steht die Verlängerung eines Stützpunktvertrags an, Italien hat viel Wirtschaftshilfe investiert, und Bonn... fühlt sich vielleicht immer noch dem „Helfer“ von Mogadischu verpflichtet.

Es bedarf mehr als nur guten Willens, um nach Somalia zu reisen. Dafür sorgen die Regierung in Mogadischu und Leute wie Ismail Moussa. Die erstere hat das ehemalige „Aromatenkap“ in eine Terra incognita für Journalisten verwandelt, denen seit 18 Monaten die Einreise verweigert wird - auf ausdrückliche und persönliche Anweisung des Präsidenten Siad Barre. Man muß mithin schummeln, und das ist nicht leicht in einem Land, in das sich weder Touristen noch Geschäftsleute verirren. Als zweites Hindernis erwies sich - bereits im benachbarten Kleinstaat Dschibuti - jener Ismail Moussa. Der Vertreter der somalischen Fluglinie verkauft die wenigen Plätze nach Mogadischu meistbietend, vor allem an Pilger, die auf der Rückreise von Mekka sind. Vergangenen Samstag konkurrierten 30 Menschen mit gültigen Flugscheinen und bestätigten Platzreservierungen um sieben Sitze. Ein protestierend eingereichtes Ticket zerreißt Ismail Moussa genüßlich, um anschließend seinen „letzten Sitz erster Klasse“ zu verkaufen. Für rund tausend Mark...

In diesem Preis ist freilich das folgende Schauspiel gleich inbegriffen. Während anderthalb Flugstunden hat Jaama Abdurahman Barre, ein kleiner dicker Mann mit gepunkteter Fliege und etwas glotziger Rundbrille, die erste Klasse in seinen Hofstaat verwandelt. Aus dem Innenraum des Flugzeugs defilieren einfache Bürger, die „Seiner Exzellenz, dem Herrn Minister für Auswärtige Angelegenheiten“, ihre untertänigste Reverenz erwiesen. Außenminister James Barre ist im übrigen auch der jüngere Bruder von Präsident Siad Barre, dem über siebzigjährigen Big brother Somalias. Wenn man schon mit ihm reist, soll man sich gut mit ihm stellen. Auch wenn Jaama Barre in den Familienkabalen Mogadischus eher auf dem absteigenden Ast sitzt. Sein militärischer Verbündeter, der General Aden Abdillahi Nour, ist Ende Juli verhaftet worden.

„Willkürlich erschossen“

Das war sicher die umdramatischste Folge des blutigen 14.Juli. Während man in Paris und anderswo den 200.Geburtstag einer Revolution feierte, die „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“ auf ihre Fahnen geschrieben hatte, massakrierte an diesem Tag in Mogadischu General Maslah Mohammed Siad mehrere hundert Demonstranten. Maslah Mohammed Siad ist der große Rivale von Jaama Barre - und ein Sohn des Präsidenten, der ihm das Militärkommando in der Hauptstadt anvertraut hat... mit grausamem Erfolg: Am 14.Juli wurden bei „fundamentalistischen Demonstrationen“ in den Straßen Mogadischus nach offiziellen Angaben 24 Menschen erschossen und 59 verletzt. Über die Stadt wurde eine Ausgangssperre ab sechs Uhr abends verhängt.

„Nach zwei langen Nächten können wir mit Sicherheit sagen, daß zwischen dem 16. und 18.Juli mehr als 400 Menschen willkürlich erschossen wurden“, geben die ausländischen Botschafter vor Ort an. Sie haben, soweit das möglich war, alle Todesfälle dokumentiert und Namenslisten aufgestellt, denen zufolge vor allem Issaki erschossen wurden, das heißt Angehörige des nördlichsten Stammes, der seit Jahren im ehemaligen „British Somaliland“ einen Guerillakrieg gegen das Barre-Regime führt.

Die „Rotkappen“ des Präsidenten, die fast ausschließlich aus seinem Marehan-Stamm rekrutiert werden, haben in Mogadischu ein Blutbad bei den „Nördlern“ angerichtet. Politisch ist die Gewalt freilich bereits Tage zuvor entfesselt worden - im Dom von Mogadischu. Dort wurde am 9.Juli der seit über 40 Jahren im Lande lebende, in Italien geborene Bischof Salvatore Colombo erschossen. Mit einer Kugel mitten ins Herz, an einem Sonntag abend im Kreuzgang des Franziskanerklosters, auf dem Weg zur Vespermesse. Der Mörder ist entkommen. Nach Aussagen von Zeugen, die aus Angst ihren Namen verschweigen, hat er sich in ein wartendes Auto geflüchtet, einen von diesen Toyotajeeps ohne Nummernschilder, wie sie von der gefürchteten Militärpolizei des Regimes, den Hangash, benutzt werden...

Staatspräsident Siad Barre ließ keinen Zweifel an seiner Empörung aufkommen. Noch am Abend des Mordes verurteilte er das „schreckliche, aus dem Haß geborene Verbrechen“. Er setzte gleich ein Kopfgeld von umgerechnet rund 20.000 D -Mark aus. In der ehemaligen Kolonialmacht Italien schlug die Nachricht vom gewaltsamen Tode Salvatore Colombos wie eine Bombe ein. Aber immerhin konnte man sich im westlichen Ausland mit dem Eindruck trösten, daß eine politisch oder religiös motivierte Gewalttat in einem Lande, das zu 99 Prozent von sunnitischen Muslimen bevölkert wird, von der Regierung nicht ungesühnt bleiben würde. Die These von der „fundamentalistischen Gefahr“ in Somalia stieg rasch über die Leiche Salvatore Colombos...

Am frühen Morgen des 14.Juli wurden sechs muslimische Imame verhaftet - ohne offizielle Begründung, aber offensichtlich im Zusammenhang mit dem Tode Salvatore Colombos. Am Tage nach dem großen Fest Id el Adha, vierzig Tage nach dem Ende des Fastenmonats Ramadan, fanden sich die Gläubigen in den Moscheen ohne Wortführer wieder. Ihr Unmut verwandelte sich rasch in Zorn. Wollte die Regierung auf die Umma, die islamische Gemeinschaft, mit dem Finger des Anklägers zeigen?

Tatsache ist, daß an jenem Morgen des 14.Juli die Armee vor den größten Moscheen Stellung bezogen hat. In der Sinaistraße erschießt ein Uniformierter gar sein Magazin in der dortigen Moschee leer. Aus Angst vor einer zornigen Menge oder als Agent provocateur? Die Zeugenaussagen lassen ein sicheres Urteil nicht zu. Kein Zweifel hingegen besteht daran, daß die ausbrechende Panik kaltblütig ausgenutzt wird. Mit den auf die Dächer ihrer Toyotas montierten Maschinengewehren mähen die Hangash die aus den Moscheen strömenden Menschen nieder. Die Menge ihrerseits erschlägt oder steinigt alle Soldaten, derer sie habhaft werden kann.

Am Fuße des Präsidentenpalastes, in der großen Moschee gegenüber dem Sitz der sozialistischen Einheitspartei, rufen empörte Gläubige zum Sturm auf die „Regierung der schlechten Muslime“ auf. Ein erster Versuch, auf die „Villa Somalia“ hinaufzuziehen, scheitert. Am nächsten Tag versucht es ein Demonstrantenzug noch einmal. Palastwache und Armee eröffnen das Feuer, Dutzende bleiben getroffen liegen. In den darauffolgenden Tagen „durchkämmen“ die Sicherheitskräfte die Hauptstadt. In der Nacht vom 17. auf den 18.Juli werden ergriffene „Regimefeinde“ an den Strand von Gesira gekarrt, ausgeladen und füsiliert: 46 Menschen, zumeist Issaki, aber auch Äthiopier und wer sonst in der Eile mitgeschleppt wurde. Unter anderem ein somalischer Angestellter der US -Botschaft.

Doch die Proteste aus den westlichen Hauptstädten blieben aus. Die Vereinigten Staaten wollen - „trotz allem“ - ihren Verbündeten am Horn Afrikas nicht bloßstellen. Nach dem Debakel des von ihm angezettelten Ogadenkriegs vor zwölf Jahren schwenkte General Siad Barre über Nacht ins westliche Lager über, die strategisch wichtige, vormals sowjetische Militärbasis von Berbera am Eingang des Roten Meeres wurde von den Amerikanern übernommen. Der „Pachtvertrag“ muß dieses Jahr neu ausgehandelt werden - Grund genug für das Pentagon, auf „diplomatische Zurückhaltung“ gegenüber Somalia zu drängen.

Auch die italienische Regierung denkt nicht daran, Siad Barre fallenzulassen. In den vergangenen Jahren hat Rom zuviel investiert. Die bilaterale Wirtschaftshilfe Italiens, die mehr als 40 Prozent der Gesamthilfe an Somalia ausmacht, ist von 56 Millionen Dollar im Jahre 1985 auf 232 Millionen 1987 gestiegen. Knapp 2.000 italienische Entwicklungshelfer arbeiten in der ehemaligen Kolonie unter zunehmend schwierigeren Bedingungen: Am 17.Juli wurden drei Flugzeuge mit Frauen und Kindern ausgeflogen. Und der Agronom Alessandro will auch „mit dem nächsten Flugzeug abhauen“. In den vergangenen drei Monaten wurde ihm dreimal das Haus von Dieben ausgeräumt.

Alessandro ist nach Somalia gekommen, um Viehherden gegen Maul- und Klauenseuche zu impfen. Davon kann heute aber keine Rede mehr sein. Denn niemand fährt mehr ohne Begleitschutz ins Land, seitdem die Regierung nurmehr die Hauptstadt und drei anliegende Provinzen - Bakool, Hiraan und Bag - kontrolliert. Der lange Zeit ruhige Süden des Landes ist heute in offenem Aufruhr. Die Ogadeni, lange Zeit Verbündete des Regimes und mit rund 60 Prozent mehrheitlich im Staatsheer vertreten, revoltieren gegen das „Minderheitsregime der Marehan“, das unter anderem für die Verhaftung „ihres“ Generals Nour verantwortlich ist. Kismayo, die drittgrößte Stadt des Landes, in der sich auch die Offiziersschule des Heeres befindet, ist der Kontrolle der Regierung entglitten. Angesichts von ausgreifenden Rache - und Gewalttaten versucht die Zivilbevölkerung des Sü dens, ins benachbarte Kenia zu flüchten.

Im Norden verheert ein unbarmherziger Guerillakrieg bereits seit vierzehn Monaten Land und Leute. Widersprüchliche Quellen sprechen von 30.000 bis 150.000 Toten. Die lange Zeit von Äthiopien unterstützte Somalische Nationalbewegung (SNM) kontrolliert heute die gesamte Küste - mit Ausnahme von Berbera - und hat die wichtigsten Städte entweder umzingelt oder bereits erobert. Aus Hargeisa, der Hauptstadt des Nordens, wurden vor zehn Tagen die Regierungsakten evakuiert. Die Truppen Siad Barres halten hier nurmehr das Wasserloch im Ban-Viertel. Der Rest der einst 200.000 Einwohner zählenden Stadt ist leer und der militärische Ausgang der Belagerung nurmehr eine Frage der Zeit.

Opposition vereint

Kommt Siad Barre 20 Jahre nach seiner Machtübernahme ans Ende seiner Regierungstage? Das ein Jahrzehnt lang als „fortschrittlicher Musterstaat“ gefeierte Somalia wartet schon zu lange auf seinen Sturz, um noch an unvermeidliche Lösungen zu glauben. Zum ersten Male jedoch haben sich alle Oppositionsrichtungen unter einem gemeinsamen Banner vereint: „Alle Muslime gegen die Marehan“ ist zum Schlachtruf gegen die tribalistische Cliquenherrschaft geworden. Und Siad Barre zieht die letzten Register. Vor zehn Tagen hat er eilends die diplomatischen Beziehungen mit Kuba wiederaufgenommen - obgleich die Entsendung eines kubanischen Expeditionsheeres nach Äthiopien ihn 1978 um den militärischen Erfolg im Ogadenkrieg brachte.

Hofft der „alte Mann“ heute auf ein militärisches Eingreifen der kubanischen „Barbudos“ auf seiner Seite? Dem Wahnsinn des alternden Tyrannen sind offenbar keine Grenzen gesetzt. Mit Blick auf Bonn glaubt er, daß der „Beistand“ im Geiseldrama der 1977 nach Mogadischu entführten Lufthansa -Maschine noch immer politische Dividende verdient. Wäre es nicht an der Zeit, dem Mißverständnis öffentlich ein Ende zu setzen? Sicher,

eine Hand wäscht die andere - aber nicht vom Blut massakrierter Unter

tanen.

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