piwik no script img

Mittelamerika - wenn Widerstand zur Kultur wird

■ Militanz gegen Mittelamerikas Elend kommt nicht von außen / Kulturelle Selbstbehauptung radikalisiert

Am Kampf um die Demokratisierung in Mittelamerika scheiden sich seit eh und je die Geister. Die einen, die Linken, halten den Widerstand für berechtigt, verweisen auf das materielle Elend und unterstützen den Widerstand. Die anderen, die Rechten, legitimieren ihre eigene Einmischung mit der Behauptung, die Linken hätten mit ihrer Unterstützung den Widerstand erst ermöglicht. So oder so ähnlich verlaufen die gegenseitigen Beschuldigungen seit dem CIA-Putsch in Guatemala 1954.

Die üblichen Erklärungen jedoch, warum der Widerstand überhaupt entstanden ist, sind ziemlich unzulänglich, denn: Weder gibt der Verweis auf das allgemeine Elend in Mittelamerika Aufschluß darüber, weshalb in anderen Regionen, wo die Misere gravierender ist, kein Widerstand entsteht, und erklärt somit auch die Existenz des Widerstands in Mittelamerika eigentlich nicht. Noch überzeugt die politisch motivierte Behauptung, die Revolution sei importiert, wenn die Beweise für den angeblichen Import so dürftig wie in diesem Falle sind.

In seinem kürzlich erschienenen Taschenbuch Aufstand der Kulturen verweigert sich Leo Gabriel dieser oberflächlichen Kontroverse und geht anders vor: Er untersucht den kulturellen Hintergrund und belegt, daß der Widerstand nicht nur aus diesem hervorgeht, sondern auch seinerseits auf diesen einwirkt - eine enge, keineswegs nur einseitige Beziehung also.

Sich zur Erklärung des Widerstands in Mittelamerika diesen Hintergründen zuzuwenden, leuchtet auch unmittelbar ein: Wie wäre sonst zu erklären, daß in Guatemala und El Salvador seit fast drei Jahrzehnten der Widerstand trotz bisweilen empfindlicher Niederlagen nicht ausgelöscht ist, ebensowenig wie es in Nicaragua bis zum Sieg der Sandinisten vor zehn Jahren der Fall gewesen ist?

Und andersherum: Beweist nicht im Gegenteil das Schicksal der Contra, die just in dem Moment zu existieren aufhört, in dem der Geldsegen aus den USA nachläßt, daß die autochthonen Bewegungen Mittelamerikas wohl doch tiefergehende Wurzeln als diese offensichtliche Intervention von außen haben müssen?

Welche das sind, ist Thema des Buches. Gabriel zufolge ist es die gelebte Kultur selbst, die ihren Ausdruck im Widerstand zu suchen gezwungen ist. In Anlehnung an das Kulturverständnis der französischen Strukturalisten gilt Kultur für ihn nicht als der „zur Kunst erhobene Ausdruck des Menschen, sondern die im Alltag sichtbaren menschlichen Organisationsformen“, so wie sie sich auf die Bevölkerung ganzer Regionen „mit ihren spezifischen Traditionen“, ihrer gemeinsamen Sprache und „ihrer Vorstellung von Zukunft“ beziehen. Diesen Zusammenhang kennzeichnet er als Volkskulturen. In Mittelamerika handele es sich um viel mehr als um politische Befreiungsbewegungen: um den Aufstand dieser Volkskulturen. Es liegt auf der Hand, daß sozialanthropologische Fragestellungen hier einen erheblichen Stellenwert haben können. Wie tragfähig eine solche Untersuchungsrichtung sein kann, zeigt der Autor mehrfach, so etwa, wenn er für Guatemala das so spannungsreiche Verhältnis zwischen Indio und Ladino beschreibt, um zu erklären, warum hierin so manches Problem für den Widerstand verborgen liegt.

Daneben enthält das Buch eine Menge bestinformierter journalistischer Darstellungen, wie beispielsweise die Begründung für die Schwäche der guatemaltekischen Guerrilla oder das Kapitel über Chancen und Verlauf der Dialogrunden in El Salvador.

Es handelt sich insgesamt um ein Buch, das für Leserin und Leser als Schlüssel für ein tieferes Verständnis der nationalen Eigenheiten und ebenso der von Land zu Land bestehenden Unterschiede dienen kann. Dabei zeigt sich immer wieder, wie sehr es des Rückbezugs auf die nationalen Volkskulturen bedarf, um die Verschiedenartigkeit der drei untersuchten Befreiungsbewegungen zu verstehen. Zwar bleiben dabei oft Methodik und begriffliche Klarheit des selbstgestellten sozialanthropologischen Anspruchs auf der Strecke, der Lesbarkeit allerdings tut das keinen Abbruch.

So ist das Buch zweierlei: ein origineller Versuch, die Konfliktregion angemessener zu interpretieren als die hierzulande bisher publizierte Literatur, und zugleich eine subtile und letztlich politischere Einführung in die „Konfliktregion Zentralamerika“.

Klaus-Dieter Tangermann

Leo Gabriel: Aufstand der Kulturen. Konfliktregion Zentralamerika: Guatemala, El Salvador, Nicaragua. München (dtv) 1988, 325 Seiten, 14.80 DM

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen