: Bolle billig zu haben?
■ Drohender coop-Konkurs: Gedrückte Stimmung in den Filialen / Lieferanten nehmen Ware zurück oder wollen Cash / Gewerkschaft: Schlechte Informationspolitik
„Totale Verunsicherung“ herrschte gestern unter den rund 2.500 Beschäftigten der Berliner coop. Denn es ist noch nicht klar, ob die 140 Filialen (coop, Bolle, condi, plaza) im Falle des Konkurses nicht selbst bald zum Sonderangebot werden - für die Konkurrenz. Gestern verweigerten einige große Lieferanten die Ware, kleine verlangten Cash. Gerüchte über Kündigungen von Geschäftsräumen und das Ausräumen der Lager geisterten durch die Regale. Informieren konnte sich die Belegschaft nur aus dem Radio, nicht besser erging es dem Betriebsrat, obwohl der einige Kollegen zur Frankfurter Konzernzentrale entsandt hatte. Die Geschäftsleitung erging sich in Dauersitzungen und ließ bis zum späten Nachmittag nichts raus, um dann pauschal jegliche Gerüchte über unterbrochenen Warenfluß und drohende Mietkündigungen zu dementieren. Die Versorgung sei „sichergestellt“, es bestehe „berechtigte Hoffnung, daß der Konkurs abgewendet werden kann“. Der Donnerstag werde ein „ganz normaler Arbeitstag“. Den versuchten die VerkäuferInnen auch gestern, doch das ging nur mit Fatalismus: „Wir lassen uns überraschen“, meinte eine Kassiererin im Bolle in der Blücherstraße. Dort wird die Milchtheke heute leerer sein, ein großer Lieferant rief die Aufträge nicht ab. Nervös reagierte eine Marktleiterin in der Karl-Marx-Straße: „Noch werde ich von der Firma Bolle-coop bezahlt, und ich halte diese vier Wände in Ordnung bis zur letzten Minute. Ansonsten keine Auskunft.“ Beim Bolle Hermannstraße hatte eine Tiefkühlfirma nicht geliefert, ein anderer Lieferant nahm Ware zurück. „Kein schönes Gefühl“, meinte der Marktleiter. Und die Frau an der Fleischtheke: „Was sollen wir machen, wir können den Laden ja nicht vernachlässigen.“
Wie die Geschäftsleitung den Großteil der Lieferanten ruhiggestellt hat, wollte sich der Absatzleiter, Ernst Vatter, nicht entlocken lassen. Er berief sich auf die „seit Jahren guten Kontakte“. Die Belegschaft sei auf „Rundgängen durch die Filialen“ beruhigt worden. Die stellvertretende coop-Betriebsratsvorsitzende Petra Altwilesch sprach von „totaler Verunsicherung“, die Gewerkschaft HBV von „schlechter Information“. Betriebsrat und Gewerkschaft haben für heute eine außerordentliche Betriebsratssitzung angekündigt, auf der die Geschäftsführer Stellung nehmen sollen. Dort wird auch eine Versammlung der gesamten Belegschaft beschlossen werden.
kotte
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