: Schlamperei beim Memmingen-Urteil
■ Richter übersahen in 20 Fällen die Verjährungsfrist / Anwälte: Willkommener Revisionsgrund / Keine Stellungnahme der Justiz
Memmingen (taz) - Ein gravierender Fehler ist offensichtlich den Memminger Richtern bei dem Urteil gegen den Frauenarzt Horst Theissen unterlaufen, das jetzt in einer 327seitigen Fassung schriftlich vorgelegt worden ist. Einer der Verteidiger Horst Theissens, der Münchner Strafrechtler Dr. Wolfgang Kreuzer, sprach von einem „willkommenen Revisionsgrund, mit dem wir nie gerechnet hätten“.
Die Richter am Memminger Landgericht haben offenbar übersehen, daß in 20 Fällen bereits die Verjährung eingetreten war, als sie ihr drakonisches Urteil über den Frauenarzt Horst Theissen sprachen. Sie hatten Theissen im Mai nach einem bundesweit aufsehenerregenden Verfahren zu zweieinhalb Jahren Haft und einem dreijährigen Berufsverbot als Arzt verurteilt.
Dabei wurden nicht nur die Fälle des Abtreibungsparagraphen 218 für das Strafmaß herangezogen, sondern auch die mit einem geringeren Strafmaß bedachten Paragraphen 218b und 219 (Soziale Beratung). Bei diesen liegt die Verjährungsfrist für den Arzt aber nicht wie beim Paragraphen 218 bei fünf Jahren, sondern nur bei drei Jahren. Genau das haben die Memminger Richter jedoch übersehen und die verjährten Straftaten statt dessen berücksichtigt.
Eine offizielle Stellungnahme zu diesen Vorgängen wollte man weder beim Landgericht Memmingen noch bei der Staatsanwaltschaft abgeben. Und auch von der bayerischen Justizministerin Mathilde Berghofer-Weichner gibt es dazu bisher kein Statement. Ihr Sprecher machte noch einmal deutlich, daß sich das Ministerium erst nach Vorliegen eines rechtskräftigen Urteils äußern werde.
Hinter vorgehaltener Hand wird freilich gemunkelt, im Ministerium sei man empört über diesen erneuten Schnitzer beim Memminger Verfahren. Offensichtlich haben die Richter in Memmingen erst bei ihrer mündlichen Urteilsbegründung gemerkt, welcher Fehler ihnen da unterlaufen ist. Nachdem jedoch das Urteil verkündet war, konnte der Ausrutscher nicht mehr rückgängig gemacht werden.
Klaus Wittmann
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen