piwik no script img

Vieles bleibt noch im dunkeln

■ Prozeß wegen Mordes an einem neunjährigen Jungen / Der 29jährige Angeklagte soll das Kind sexuell mißbraucht und dann ins Wasser geworfen haben

Mit versteinertem Gesicht verfolgte die Mutter des kleinen Dawid P. gestern im Kriminalgericht, wie die Personalien des Angeklagten Frank Sch. aufgenommen wurden. Doch als der Staatsanwalt die nüchternen Sätze der Anklageschrift verlas, konnte sie die Tränen nicht mehr zurückhalten: Der berufslose Frank Sch., der vor einem Jahr aus der DDR nach West-Berlin gekommen ist, und seither in Spandau lebte, wird beschuldigt, den neunjährigen Dawid P. ermordet zu haben, als sich der Junge am 14. Dezember 1988 von Lichtenrade nach Spandau verirrt hatte. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, daß Frank Sch. sich an dem Kind sexuell verging, und es dann zur Verdeckung der Straftat tötete. Dawid war am 15. Dezember gegen 1 Uhr morgens tot aus dem Mühlengraben nahe der Havelmündung geborgen worden. Der Gerichtsmedizinische Sachverständige stellte in seinem Gutachten fest, daß Dawid ertrunken war, nachdem er zuvor durch einen Tritt auf den Kopf bewußtlos geworden war. Der Angeklagte, Frank Sch., machte gestern keine Angaben. Er selbst hatte in der Tatnacht die Polizei alarmiert und sich als Zeuge ausgegeben, wurde aber unmittelbar danach von der Kripo unter Tatverdacht festgenommen. Er soll in diesem Prozeß nun anhand seiner früheren Aussagen bei der Kripo überführt werden. Aus diesem Grund wurde der Kripobeamte M., der Frank Sch. im Beisein eines weiteren Beamten dreimal vernommen hatte, gestern als Zeuge gehört. M. berichtete, daß Frank Sch. bei den Vernehmungen ein bruchstückhaftes Geständnis abgelegt habe. So habe er zunächst unter „Schluchzen“ herausgebracht, daß er den Jungen getreten und ins Wasser geworfen habe, nachdem das Kind gedroht habe, „alles seinem Vater zu erzählen“.

In der zweiten Vernehmung habe Frank Sch. behauptet, es gebe noch einen Mittäter. Bei dem Verhör des namentlich Beschuldigten habe sich jedoch herausgestellt, daß jener für die Tatzeit ein Alibi in Westdeutschland habe. Bei der dritten Vernehmung Ende Januar habe Frank Sch. schließlich gestanden, daß er den kleinen Jungen am späten Abend in einem Bus in Spandau gesehen habe. Er habe mitbekommen, wie sich das in Lichtenrade wohnende Kind bei dem Busfahrer nach dem Weg nach Hause erkundigt habe und sei ihm in die U-Bahn gefolgt. Dawid fuhr mit der U-Bahn jedoch im Kreis, und gelangte zum Schluß wieder am U-Bahnhof Spandau an. Wie der Kripobeamte weiter berichtete, habe Frank Sch. das völlig übermüdete Kind vor dem Bahnhof angesprochen und zum Tatort am Mühlengraben geführt. „Er ist bereitwilig mitgegangen, er hat ja schon beim Gehen halb geschlafen“, habe Frank Sch. ausgesagt. Unklar ist weiterhin, warum sich Dawid nach Spandau verirrt hatte. Fest steht bislang nur, daß er sich am Nachmittag des 14. Dezember von seinem Vater 12 Mark geben ließ, um Schulhefte zu kaufen. Seine Eltern meldeten sein Verschwinden erst am folgenden Tag der Polizei, weil sie hofften, daß ihr Sohn - wie schon zweimal zuvor - am nächsten Tag nach Hause kommen würde. Der Prozeß wird am Mittwoch fortgesetzt.

plu

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen