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Dank der BRD: Brasilien kann die Bombe testen

Bundesregierung hält trotz heftiger Kritik am deutsch-brasilianischen Atomvertrag fest, obwohl mittlerweile feststeht, daß die Brasilianer mit deutschem Know-how die Bombe bauen / Die SPD räumt ein, daß der Abschluß des Vertrages 1975 ein schwerer Fehler war  ■  Aus Bonn Charlotte Wiedemann

„Die Bundesregierung hat nach sorgfältiger Prüfung entschieden, daß sie keine Gründe sieht, die langjährige Zusammenarbeit mit Brasilien zu kündigen.“ Irmgard Adam -Schwaetzer, Staatsministerin im Auswärtigen Amt, formulierte am Donnerstag abend im Bundestag ein wenig gewunden. Und gewunden muß auch argumentiert werden, um zu begründen, was die Staatsministerin meint: Die Bundesregierung steht beinhart zur Atom-Kooperation mit einem Land, Brasilien nämlich, dessen führende Militärs keinen Zweifel an ihren Absichten gelassen haben: „Brasilien muß die Bombe testen.“

SPD und Grüne hatten am Donnerstag abend mit ähnlich lautenden Begründungen die Kündigung des Nuklear -Kooperationsvertrags von 1975 verlangt. Diese Anträge werden zwar noch einmal in den Ausschüssen des Bundestags beraten. Doch die Entscheidung ist bereits klar. Der Vertrag wird bis zum 18.November nicht gekündigt. Und das heißt, daß er sich ab 1990 automatisch um weitere fünf Jahre erweitert. Damit sind zugleich die künftigen Exportgenehmigungen für sensitive Nukleartechnologien gesichert. Im brasilianischen Parlament wird heute übrigens ebenfalls ein Antrag auf Kündigung des Vertrags gestellt, und zwei Protestkundgebungen von Pazifisten und Ökologen unterstützen diese Forderung.

Noch vor wenigen Monaten verwies die Bundesregierung jegliche Behauptungen über militärische Ambitionen Brasiliens ins Reich der Spekulation. Nunmehr stellt sich die Lage nach den offiziellen Bekundungen so dar: Brasilien verfolgt zwar mit seinem eigenen („autonomen“) Nuklearprogramm eine militärische Zielsetzung, aber lediglich durch den Bau atomgetriebener U-Boote mit konventioneller Bewaffnung. Daß Brasilien erwiesenermaßen weitaus mehr will, nämlich Atomwaffen bauen, und dazu auch bereits technisch in der Lage ist, dafür hat die Bundesregierung hingegen „keine Hinweise“.

Nach monatelangen Verhandlungen mit den Brasilianern sei nun „sichergestellt“, so behauptet Staatsministerin Adam -Schwaetzer, daß eine „nachweisliche Trennung“ zwischen dem deutsch-brasilianischen und dem autonomen Programm Brasiliens „erhalten bleibt“.

Diese Äußerung ist doppelt bemerkenswert: Erstens räumt die Staatsministerin damit ein, daß die Zweifel an dieser Trennung also doch berechtigt waren. Zweitens ist diese Behauptung zumindest für den Bereich Know-how-Transfer eine ganz offensichtliche Lüge, und dafür ist der Bundeskanzler Kronzeuge. In einem Brief an den SPD-Vorsitzenden Vogel bekannte sich Helmut Kohl nämlich freimütig zu der Tatsache, daß brasilianische Wissenschaftler, die im Rahmen des Kooperationsvertrages in den Forschungszentren Karlsruhe, Jülich und Geesthacht in die militärisch bedeutsame Anreicherungs- und Wiederaufarbeitungstechnik eingeweiht wurden, in großer Zahl in das autonome Nuklearprogramm Brasiliens abwandern. Dies sei, so Kohl, „eine Selbstverständlichkeit für alle Länder, in denen Freizügigkeit und freie Wahl des Arbeitsplatzes zu den Grundrechten des Einzelnen gehören.“ In den Akten des Auswärtigen Amtes ist nachzulesen, daß die Genscher-Beamten gerade wegen dieser Abwanderung von Wissenschaftlern mehrfach schriftlich ihre „Besorgnis“ bekundeten - und zwar aus Gründen der Proliferation, also der Weiterverbreitung von Atomwaffen.

Die Sozialdemokraten, unter deren Regie das Nuklear -Abkommen 1975 geschlossen wurde, übten im Bundestag immerhin Selbstkritik. Der Abgeordnete Catenhusen: „Es war ein Fehler der deutschen Außenpolitik, die Non -Proliferationspolitik von Präsident Carter nicht zu unterstützen und einen deutschen Sonderweg zu gehen.“ Und: „Wir haben aus kommerziellen Interessen versucht, die Anforderung an Non-Proliferation zu senken.“ Nicht zuletzt aufgrund der bundesdeutschen Lieferungen sei Brasilien nun in der Lage, Kernwaffen zu produzieren.

Man kann nun Vermutungen anstellen über die Gründe, warum die Bundesregierung so beinhart zu einem angeblich friedlichen Abkommen steht, obwohl daraus noch keine Kilowattstunde Strom hervorgegangen ist. Ein Grund ist finanzieller Natur: Brasilien könnte eine Vertragskündigung zum Vorwand nehmen, ausstehende Zahlungen an die bundesdeutschen Firmen zu verweigern. Dann müßte die Bundesregierung mit ihren Hermes-Bürgschaften in Milliardenhöhe einspringen. Ein zweiter Grund ist militär -strategischer Natur: Nicht nur Brasilien, sondern auch die Bundesrepublik ist in technologischer Hinsicht ein Atomwaffenstaat auf Abruf.

Und der frei flottierende Know-how-Transfer, wie ihn Bundeskanzler Helmut Kohl bekennt, ist womöglich keine Einbahnstraße: In Brasilien kann erprobt werden, was in der Bundesrepublik als zu anrüchig gilt.

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