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Kohl: Keine Garantie für Polens Grenze

Der Konflikt um die polnische Westgrenze geht auch wenige Tag vor dem Besuch des Bundeskanzlers weiter  ■  Aus Bonn Charlotte Wiedemann

Bundeskanzler Kohl will bei seiner Polen-Reise keine Garantieerklärung für die sogenannte „Oder-Neiße-Grenze“ abgeben, obwohl seine polnischen Gastgeber wiederholt darauf dringen. Drei Tage vor Beginn des Kohl-Besuchs, der nach offizieller Lesart auf „Versöhnung und Verständigung“ zielt, wurde gestern in Bonn und Warschau offenkundig, daß der Konflikt um die polnische Westgrenze und die Interpretation der entsprechenden Passagen des Warschauer Vertrags diesen Staatsbesuch überschatten wird. Nach einem Telefongespräch mit Kohl erklärte der polnische Ministerpräsident Masowiecki vor Journalisten: „Wir wünschen, daß er (der Warschauer Vertrag) eindeutig interpretiert wird als endgültige Entscheidung über unsere Grenzen.“ Dies sei ein „Standpunkt der ganzen polnischen Nation“. Und er hoffe, so fuhr Masowiecki fort, daß der Besuch Kohls „zu einer solchen Eindeutigkeit beiträgt“.

Das Kanzleramt weigert sich aber hartnäckig, über die bloße Erwähnung des Warschauer Vertrags in einer gemeinsamen deutsch-polnischen Erklärung hinauszugehen. Der stellvertretende Regierungssprecher Dieter Vogel gestern: „Wir gehen nicht hinter den Warschauer Vertrag zurück, aber auch nicht darüber hinaus.“ Für einen expliziten Verzicht auf Gebietsansprüche, wie ihn sowohl Bundespräsident Weizsäcker am 1. September als auch Außenminister Genscher Fortsetzung auf Seite 2

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vor der UNO ausgesprochen hatten, sieht der Regierungssprecher bei Kohls Versöhnungsreise „keine rechtlichen und auch keine politischen Möglichkeiten.“

Während in Bonn zunächst der Eindruck erweckt wurde, auch von polnischer Seite würden derartige Bekundungen ja gar nicht gefordert, sagte Vogel jetzt: „Das ist kein Thema, das Bonn sehr bewegt, son

dern möglicherweise die polnische Regierung.“ Es habe aber „nie die Absicht bestanden“, bei dem Staatsbesuch den Warschauer Vertrag „neu zu verhandeln oder neu zu interpretieren“.

Daß wenige Tage vor Beginn des Besuchs an der gemeinsamen Erklärung beider Regierungen immer noch gefeilt wird, wurde in Bonn gestern heruntergespielt. Es handele sich um „redaktionelle Änderungen“, die unter anderem die Gestaltung zweisprachiger Gottesdienste beträfen. In Warschau unterstrich

der polnische Ministerpräsident die „riesige Bedeutung“, die Bonn für Polen hinsichtlich der Annäherung an Europa habe. Allerdings seien noch längst nicht alle Fragen gelöst: Dabei nannte er die Entschädigung für ehemalige polnische Zwangsarbeiter, die von der Bundesregierung bisher abgelehnt wird. Während die Bundesregierung in der Grenzfrage die revanchistische Flanke offenhält, wird an anderen Stationen Versöhnung demonstriert: bei einem Besuch in Auschwitz und am Mahnmal des Warschauer Ghettos.

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