: Frauen leben länger, aber wovon?
■ Versichertenrenten der Frauen sind sechzig Prozent niedriger als die der Männer
Wo habe Frauen in den letzten zwanzig Jahren nicht schon überall das Patriarchat gewittert: Bei den Gynäkologen und bei den Schulbuchautoren, bei den APO-Studentenführern und bei den Wirtschaftsbossen. Um eine Berufsgruppe haben sie jedoch einen weiten Bogen gemacht: Um die Herren von der gesetzlichen Rentenversicherung.
Schon eine einzige Prozentzahl beweist, daß diese Berührungsangst unverzeihlich ist. Denn die Unterschiede zwischen Frauen-und Männerrenten sind weit eklatanter als die Unterschiede zwischen den Männer-und Frauenlöhnen: Die Versichertenrente einer Frau lag 1987 im Durchschnitt 60 Prozent unter der eines Mannes. Das heißt anders ausgedrückt: Eine Frau bekommt im Durchschnitt aus der Arbeiterrentenversicherung 469 Mark, ein Mann 1.230 Mark. Eine Frau bekommt aus der Angestelltenversicherung 787 Mark, ein Mann 1.684 Mark.
Eine der wenigen Spezialistinnen, die sich verstehen auf „Patriarchalische Strukturen in den Sy
stemen der sozialen Sicherung“, ist die Bremer Hochschullehrerin Susanne Schunter-Kleemann. Sie arbeitete mit am alternativen Wirtschaftsgutachten „Memorandum '89“ und informierte kürzlich eine kleine ZuhörerInnenschaft an der Universität (im Rahmen einer von der „WE Frauenforschung“ organisierten Vortragsreihe).
Schunter-Kleemann warnt Frauen davor, sich erst dann mit dem Thema „Rente“ zu befassen, „wenn es zu spät ist, wenn sie fassungslos und unter Tränen vor ihrem ersten Rentenbescheid sitzen.“ Als beamtete Hochschullehrerin brauche sie sich keine Sorgen Pensionärinnen-Zukunft machen. Doch müsse sie immer wieder feststellen, daß sich nur wenige Frauen in der gleichen beneidenswerten Lage befänden.
Die Riesenspanne zwischen Frauen-und Männerrenten erklärt sie so: Zum einen befinden sich Frauen auf dem Arbeitsmarkt in einer schlechteren „Entgeltposition“ (erhalten durchschnittlich 30 Prozent weniger Lohn als Männer, werden bei
Einstellungen diskriminiert, arbeiten Teilzeit...). Zum anderen sind ihre „Versicherungsverläufe“ lückenhaft (sie unterbrechen die Berufstätigkeit, um Kinder zu erziehen, um kranke Familienmitglieder zu pflegen...). Diese unbezahlte „Reproduktionsarbeit“ wird jedoch nicht von den Rentenversicherern honoriert (abgesehen von 28,20 Mark pro großgezogenem Kind), wird zur „Versicherungslücke“. Sprich: Das einzige, was in einem „patriarchalischen, lohnbezogenen Sicherungssystem“ deutlich zu Buche schlägt, ist das (möglichst dauerhafte, möglichst hohe) Einkommen - ist die männliche Erwerbsbiographie.
Einiges von der 60prozentigen Geschlechterdiffenenz können 2/5 aller RentnerInnen wieder wettmachen, weil sie zusätzliche noch eine Witwenrente beziehen. Untersuchungen ergaben jedoch, „daß auch die Summe einer durchschnittlichen Hinterbliebenen-und Versichertenrente, die eine Witwe bezieht, niedriger liegt als die durchschnittliche Versicherterente eines Mannes.“
Die kürzlich verabschiedete Rentenreform wird die Kluft zwischen Frauen-und Männerrenten noch vertiefen. Denn bei aller Benachteiligung hatte das alte Rentengesetzeswerk Frauen begünstigt: Zum Beispiel durften sie mit Rücksicht auf ihre Doppelbelastung in Haushalt und Beruf bereits mit 60 Jahren in Rente gehen, zukünftig wird es eine Altersruhegeld ohne Abschläge erst mit 65 Jahren geben. Nachteilig auf Frauen wirkt sich in den Rentenreform auch der neue Modus („Gesamtleistungsmodell“) aus, mit dem „Ausfallzeiten“ etwa für Ausbildung und Kindererziehung berechnet werden sollen. Auch das Bonbon, mit denen Frauen die Rentenreform schmackhaft gemacht werden sollte, erweist sich bei näherem Hinsehen als gallig: Zwar werden den Frauen zukünftig pro Kind drei Jahre anstatt bisher einem Jahr als „Kindererziehungszeit“ angerechnet - aber nur dann, wenn diese Frauen nicht gleichzeitig erwerbstätig waren. „Patriarchalischer Fundamentalismus“ nannte das eine Diskutantin.
Barbara Debus
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