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Musical gegen Heizung

■ Eine amerikanische Tourneeproduktion der „West Side Story“ in der Stadthalle

Es war schön warm und dafür muß man dem Hausmeister danken. Aber er kann nichts dafür, daß die Heizung so laut ist. Die Stadthalle ist nun einmal für Sechstagerennen, Catchen oder die Musikshow der Nationen konzipiert; und Veranstaltungenmit leiseren Tönen haben dort auch nach dem hochgelobten Umbau nichts zu suchen.

Kein Fastfood

Die gute Tntechnik der Tourneeproduktion errang zwar noch einen Punktsieg gegen die schlechte Akustik, aber das Brummen der Klimaanlage tat dem Genuß doch einigen Abbruch. Die armen Amerikaner sangen und tanzten tapfer dagegen an; und alle Befürchtungen, daß bei der „Wiederaufnahme einer Neuinszenierung“ eine ausgeleierte Secondhand-Version des Broadwayklassikers geliefert würde, waren schnell zerstreut.

Die meisten der Mitwirkenden

waren noch nicht geboren, als Leonard Bernsteins größtes Werk Premiere hatte, die Zeit ist da ein Prüfstein. Aber die Musik, das Drama, die Texte beweisen, daß sie immer noch zum besten gehören, was der Broadway hervorgebracht hat. Alle Katzen oder Opernphantome des Herrn Lloyd Webber sind dagegen nur modisches Fastfood.

Man merkte der Tourneeproduktion an, daß sie mit wenig Gepäck reiste. Mit 28 Sänger- und TänzerInnen ist bei der Besetzung nicht gespart worden, aber die von Bernstein sehr freigiebig eingesetzten Streicher wurden durch Synthesiser ersetzt. Nur drei Bläser wurden nicht wegrationalisiert, so daß die (immerhin noch) acht Musiker von der Partitur mehr als ein elektronisches Gerippe übrigließen.

Für ungewollt komische Effekte sorgte die Pappdekoration der mit Graffiti bemalten Hausfassaden, die etwas klapprig wa

ren, so daß bei der Balkonszene zwischen Tony und Maria alles arg zu wackeln anfing, und man nicht die angestrebten romanti

schen Gefühle verspürte, sondern gespannt darauf lauerte, ob sie wohl herunterfallen würden. Aber das war eher rührend als störend, und die schauspielerische, tänzerische und gesangliche Leistung des Ensembles war dann doch so überzeugend, daß an den richtigen Stellen die richtigen Emotionen beim Publikum geweckt wurden.

Ich bekomme jedenfalls immer feuchte Augen, wenn ich „Maria“ oder „Somewhere“ höre, und auch wenn ich gerade vom Kollegen des Weserkuriers erfahre, daß er im Laufe der Jahre die „West Side Story“ schon mindestens zweimal in der Stadthalle gesehen hat - ich meine, auch noch in 20 Jahren sollten die Amis mit diesem hohen Gipfel ihrer Kultur durch Europa tingeln. Willy Tau

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