piwik no script img

"Stalinismus"

■ Betr.: "Stalinismus" in der DDR - zum Gebrauch dieses Begriffs auch in der taz

betr.: „Stalinismus“ in der DDR - zum Gebrauch dieses Begriffs auch in der taz

Ist der Begriff „Stalinismus“ als Bezeichnung der politbürokratischen Herrschaft der SED in der DDR überhaupt zutreffend und also legitim? Ich möchte dies bezweifeln.

Zum Stalinismus gehört unabtrennbar der Massenterror, die Massenliquidierung, die Verfolgung, Versklavung und Ermordung von Millionen Menschen der UdSSR in der Zeit der Diktatur Stalins. Es hat in der DDR etwas damit auch nur entfernt Vergleichbares nie gegeben.

Wer die DDR eines Ulbrichts, einer Hilde Benjamin, eines Honeckers und eines Mielkes als „stalinistisch“ bezeichnet, betreibt die Verharmlosung des Stalinismus der stalinschen Sowjetunion, er verharmlost und unterschätzt aber auch die unsagbar mühevolle Arbeit der EntstalinisiererInnen in der UdSSR.

Wer von einer „stalinistischen“ SED und DDR spricht, betreibt aber auch Verschleierung in einem anderen Sinn. Er/Sie lenkt ab von den Leichenbergen der deutschen politischen Rechten; er/sie lenkt ab von den Gaskammern und Krematorien NS-Deutschlands.

Für welche von Deutschland produzierten Leichenberge sind eigentlich die deutschen KommunistInnen verantwortlich? Für die Leichenberge des Ersten Weltkrieges, für die die damalige SPD - Kriegskredite - voll und ganz mitverantwortlich war? Sind die deutschen KommunistInnen verantwortlich für die Leichenberge des Zweiten Weltkrieges und der Schoah?

Im Zentrum der sowjetischen Geschichtsaufarbeitung stehen die Verbrechen der Stalin-Zeit. Im Zentrum der deutschen Geschichtsaufarbeitung, einschließlich der von der DDR-Seite zu leistenden, stehen aber die Verbrechen in den Jahren 1933 -1945. (...)

Für den bürokratisch-repressiven Obrigkeits-„Sozialismus“ der DDR waren und sind die deutschen KommunistInnen verantwortlich. Es bedarf hier keiner Abschiebung von Verantwortung und Schuld - auch nicht im Begriff - nach Moskau und auf die Person Stalins. Was aber die Gesamtrechnung deutscher Schuld und deutschen Versagens in diesem Jahrhunbdert betrifft, da mögen sich vor den deutschen Ulbrichts und Honeckers noch andere melden.

Michael D.Düllmann, Bonn

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen