: Die Altruistin
■ Miss Jana, die mit Schlangen lebt und arbeitet
taz: Miss Jana, Sie sollen die einzige Frau auf der Welt sein, die alleine mit Schlangen arbeitet. Sind Sie Schlangenbändigerin oder wie heißt Ihr Beruf?
Miss Jana: Ich weiß nicht, ob es einen Namen gibt für das, was ich mache. Ich bin jedenfalls nicht die einzige Frau, die mit Schlangen arbeitet, ich bin aber die einzige Frau, die ihren Kopf in das Maul eines Alligators steckt.
Eigentlich steckt faßt jede Frau ihren Kopf in Alligatorenmäuler, aber nicht so konkret wie Sie. Dennoch: Was ist Ihr Beruf?
Ich weiß es wirklich nicht. Ich bin eben Zirkus -Künstlerin.
Warum sind Sie die einzige Frau, die ihren Kopf in Alligatorenmäuler steckt?
Erstens gibt es schon mal sehr wenige Alligatorennummern. Denn sie machen weniger Arbeit in der Manege als hinter der Bühne: Die Tiere warm halten, sie müssen in einer bestimmten Temperatur gehalten werden, sowohl die Schlangen als auch die Alligatoren. Das Wasser muß eine bestimmte Temperatur haben. Sonst werden sie krank und sterben. Die Kosten, sie bei dieser Temperatur zu halten, und die Arbeit, daß das Wasser immer sauber und warm ist, können sich wenige Leute leisten. Schon deshalb gibt es nicht viele von uns. Löwen muß man nicht wie Alligatoren bei 86 Grad Fahrenheit halten oder wie Schlangen bei 82 Grad Fahrenheit. Das ist wirklich ein Problem. Zweimal in der Woche muß ich Gas besorgen, um das Wasser zu heizen. Das Wasser muß jeden Tag gewechselt werden. Wir haben einen Dieselofen, der die Luft 24 Stunden jeden Tag warm hält, und wenn der kaputt geht... Es ist sehr schwierig, die Tiere so gesund zu halten. Und dabei jeden zweiten Tag herumzureisen. Wenn man Hunderte von Kilometern fährt, braucht man die Ausrüstung, um sie warm zu halten. Na ja, deshalb gibt es eben wohl so wenige. Außerdem ist das sehr harte Arbeit, und deshalb arbeiten die meisten Frauen mit einem Partner, einem Ehemann oder so etwas. Ich habe keinen und deshalb mache ich es allein. Genau wie ich den LKW fahre, weil es sonst niemand macht.
Was machen Sie, wenn die Tiere krank sind?
Dann kümmere ich mich um sie, wie um Menschen auch. Sofort zum Tierarzt, und dann versuche ich sie so bald wie möglich wieder hinzukriegen. Aber ich versuche um jeden Preis zu vermeiden, daß sie überhaupt krank werden.
Gibt es überhaupt Tierärzte, die sich gut mit Schlangen und Alligatoren auskennen?
Es gibt viele, die auf Reptilien spezialisiert sind. Wir haben aber einen in England, den ich Tag und Nacht anrufen, ihm die Symptome schildern und um Rat fragen kann. Er sagt mir dann, was ich tun soll, und schickt mir notfalls per Expreß Medizin.
Vorhin, als wir bei den Schlangen waren, sagten Sie, daß eine von ihnen ein bißchen nervös ist. Schlangen haben offenbar nicht nur physische Probleme, sondern auch psychische.
Sie sind wie Menschen. Jede einzelne Schlange ist unterschiedlich. Einige sind sanft und ruhig, andere sind etwas nervöser und mögen keine fremden Orte und Menschen, sie müssen sehr sanft behandelt werden. Jedes Tier hat seinen eigenen Charakter und seine eigene Persönlichkeit, und die muß man kennenlernen. Die Tiere müssen nichts über mich lernen, ich aber muß sie so genau kennenlernen, wie ich nur kann. Nur so kann ich sie gesund und glücklich machen. Wenn ich mit Tieren arbeiten möchte, ob das nun Hunde, Bären, Schlangen oder Alligatoren sind, muß ich mich mit ihnen beschäftigen und nicht umgekehrt sie sich mit mir. Schlangen haben zum Beispiel kein Gehirn. Sie haben ein Nervensystem, aber kein Gehirn, und das macht denen nichts aus, weil sie nun mal so sind, wie sie sind. Ich kann das auch nicht erklären, ich bin keine Psychologin - es geht eben nur darum, seine Tiere zu kennen. Ich habe mit vielen Arten von Tieren gearbeitet, und letztlich geht es immer wieder nur darum, sie zu kennen. Man muß fühlen. Wenn man nicht fühlt, weiß man nichts über sie. Fragen Sie den Löwenbändiger, er kennt sie genau, er weiß, daß jeder Löwe ein Individuum ist.
Gibt es Schlangen, die Sie mehr mögen als andere? Vorhin zeigten Sie mir eine und sagten, sie sei sehr nett.
Nein. Sie haben alle Namen und sind alle nett. Das ist, wie wenn Leute Hunde haben, die denken auch, ihre eigenen Hunde sind die nettesten. Aber ich habe keine unterschiedlichen Beziehungen zu den verschiedenen Schlangen. Ich behandle sie nur unterschiedlich: Wenn ich weiß, daß eine etwas unruhiger ist, behandle ich sie sanfter, leichter, langsamer. Man sollte sowieso niemals ein Tier einfach so packen. Und wenn man weiß, daß sie alle unterschiedlich sind, behandelt man sie auch entsprechend - so wie sie es brauchen. Schließlich verbringe ich all meine Zeit mit ihnen, alle. Ich bin zwanzigmal am Tag bei ihnen. Das heißt nicht, daß ich immer irgend etwas mit ihnen mache, ich bin nur bei ihnen. Anders kann man gar nichts über sie erfahren, wenn man nicht einfach viel Zeit mit ihnen verbringt. Das ist mit allen Tieren so.
Wie lange arbeiten Sie schon mit Schlangen?
Seit sechs Jahren, seit ich für Club Chipperfield, die Gesellschaft, der die Schlangen gehören, arbeite. Das ist eine englische Gesellschaft von Zirkusleuten, die alle Arten von Tieren und ein Winterquartier haben und alle möglichen Zirkusnummern produzieren. Ich arbeite für sie und stelle ihre Tiere vor. Ich bin aber schon seit zwanzig Jahren beim Zirkus und habe in allen möglichen Nummern gearbeitet, am liebsten aber arbeite ich mit Tieren. Eigentlich hatte ich keine besonderen Ambitionen, mit Schlangen zu arbeiten, das kam eben so. Mir sind alle Tiere gleich lieb. Mit Schlangen werde ich wohl so lange zu tun haben, wie es dafür Arbeit gibt. In dieser Zeit entwickelt sich das. Irgendwann ist es wieder zu Ende, aber im Moment ist es das Richtige für mich, im Moment habe ich mich für Schlangen entschieden. Im Zirkus muß man sich an die Umstände anpassen, muß man sich verändern.
Sind die Alligatoren nicht furchtbar schwer?
Ja sehr, das ist hart für mich. Sie wiegen mindestens 100 Kilo und sie bewegen sich ständig: Sie sind schwer zu tragen. Ich muß sie hochheben, in die Käfige legen und wieder heraus, in die Manege, aus dem Wasser heben. Und sie haben einen kräftigen Schwanz, mit dem sie einem sehr heftig an die Beine schlagen können, so daß man umfällt. Das ist mir auch schon passiert. Sie sind ja nicht immer ganz friedlich, schließlich haben sie auch schlechte Tage. Da muß man sie halt lassen und warten, bis es ihnen besser geht. Das ist ganz normal. Man muß sie ein bißchen kämpfen lassen, dann hören sie von allein auf, wenn ihnen das langweilig wird. Da kann man sowieso nichts machen, sie sind die faulsten Tiere. Sie haben überhaupt keine Probleme. Sie essen nur, wenn sie Hunger haben, sie laufen nur, wenn sie müssen oder wollen, sonst schlafen sie. Sie liegen im warmen Wasser herum, draußen in der Wildnis schlafen sie darin. Wenn es ihnen dort zu warm wird, gehen sie an Land und schlafen in der Sonne. Wenn es ihnen dort zu kalt wird, gehen sie zurück ins Wasser: Das ist ihr Leben. Sie müssen nicht denken. Sie haben wenige Feinde - auch daran müssen sie nicht denken. Es sind Raubtiere und Kaltblüter, weshalb sie warmes Wasser brauchen, und wenn es kälter wird, erstarren sie.
Wenn die Tiere so faul sind, macht es ihnen dann nichts aus, im Zirkus zu arbeiten?
Nein, das macht denen nichts aus. Ich mache ja nichts, was ihnen weh tut. Außerdem müssen sie ja nichts Schwieriges machen. Sie machen nur genau das, was sie von selbst machen. Sie können gar keine schwierigen Tricks. Man kann sie laufen lassen, und wenn sie laufen wollen, dann laufen sie. Wir stellen sie eigentlich nur aus. Mit Schlangen ist das ähnlich. Denen kann man auch keine Tricks beibringen. Die springen nicht durch Reifen, die kann man auch nur zeigen. Die machen eben nur ihre eigene Sachen. Das ist nicht wie mit den Löwen.
Handelt es sich da nicht sogar um einen extremen Gegensatz, vergleicht man die Arbeit mit Löwen und mit Schlangen? Die Löwen machen, was Sie wollen, während es bei den Schlangen umgekehrt ist: Da müssen Sie machen, was die wollen.
Ja, bei Schlangen geht es eigentlich nur um den Kontakt. Sie kennen meine Stimme, sie kennen mich, manche Alligatoren kommen, wenn ich sie rufe - nicht alle, aber manche, die freundlicher sind, heben den Kopf und kriechen über mich hinweg. Wenn sie einen nicht kennen würden, würden sie das nicht machen, sonst hätten sie Angst und würden sich verstecken. Aber das ist auch schon alles. Wenn jemand anderes käme, wäre ihnen das egal. Sie würden mich nie vermissen, sie würden nicht nach mir schmachten, wenn ich nicht da wäre. Sie wären nicht unglücklich, solange sie die selben Lebensbedingungen hätten. Andere Tiere, die mehr Gehirn haben, denken und sehen, daß da ein Unterschied ist. Zu denen hat man einen intensiveren Kontakt.
Würden Sie um Ihre Tiere weinen?
Natürlich, ich bin ja ein menschliches Wesen. Ich liebe sie, auch wenn sie mich nicht lieben. Es sind ja meine. Und ich mache mir Sorgen um sie, wenn ich denke, es geht ihnen nicht gut. Die Tiere müssen immer zuerst kommen. Wenn z.B. die Heizung ausfällt, dann muß ich sie warm halten. Sonst sterben sie. Egal, ob das jetzt mitten in der Nacht ist, oder ob es draußen regnet, muß ich ihnen Wärmflaschen machen. Ich nehme sie mit in meinen Wohn-Caravan und stecke sie in Säcke, hülle sie in Decken und lege sie vors Feuer, um sie warm zu halten. Man muß sich um die Tiere kümmern, denn sie können sich nicht um sich selbst kümmern. Das ist meine Verantwortung, und wenn ich die nicht übernehmen will, dann werden sie krank, und ich kann auch nicht mit ihnen arbeiten.
Das Wort „Schlangenbändigerin“ transportiert im Deutschen ja eine gewisse Macht. Was Sie erzählen, scheint aber gar nichts mit Macht über Tiere zu tun zu haben. Das hört sich im Gegenteil alles ziemlich altruistisch an.
Ja, ich pflege die Tiere eigentlich nur. Ich könnte auch eine andere Arbeit im Zirkus machen, wo ich nur für mich selbst verantwortlich bin, aber ich ziehe dem die Arbeit mit Tieren nun einmal vor, sie bedeutet mir alles. Manche Leute wollen unbedingt Löwenbändiger werden, aber sie wollen es nur um ihrer selbst Willen, weil sie der Star sein wollen, weil das eine Herausforderung ist, weil sie Herr über die Tiere sein wollen. Aber ich fühle nicht so - denn es geht nicht darum, was ich Tolles gemacht habe, sondern was die Tiere gemacht haben. Ich kann nicht rausgehen und nur mich präsentieren. Vielleicht liegt das daran, daß ich Engländerin bin, während der Löwenbändiger hier z.B. Amerikaner ist.
Haben Sie sich niemals vor den Tieren gefürchtet?
Nein, Angst hatte ich nie - Respekt. Wenn ich Angst hätte, würde ich es nicht machen. Aber ich respektiere die Tiere so, wie sie sind. Und wenn man mit Tieren arbeitet, muß man eben damit rechnen, daß man sich auch mal dabei weh tut. Sie verletzen einen ja nicht mit Absicht. Sie denken ja nicht wie Menschen. Dann kann man auch nicht von ihnen erwarten, daß sie einen respektieren. Außerdem könnte ich ja auch von einem Bus überfahren werden, das ist überhaupt kein Unterschied. Wenn etwas passiert, dann passiert es eben. Ich kann das auch nicht richtig erklären.
Stellt man diese Fragen als Außenstehende nicht ganz automatisch?
Ja schon, aber ich kann keine Antwort geben, weil ich nun mal nicht außenstehend bin und mir nicht vorstellen kann, wie das ist, wenn man außenstehend ist. Ich kann meinen Blickwinkel nicht so einfach verändern. Sie könnten mir ja auch nicht erklären, warum Sie so oder so fühlen.
Womit haben Sie im Zirkus begonnen?
Ich wollte als Tänzerin arbeiten und zufällig bin ich dann beim Zirkus gelandet und hier kleben geblieben. Dann habe ich in verschiedenen Nummern gearbeitet: Jongleuren, Trapez und so weiter und dann mit Tieren, was ich von Anfang an wollte. Sie sind besser als Menschen, sie schreien nicht zurück. So ist das - ich ziehe dieses Leben vor, das kam eben so, und jetzt bin ich hier.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen