: Vorsätzlich in die 90er
■ Gute Vorsätze: Auch 1989/90 längst nicht out
Am Anfang eines Jahres teilt sich die Stadtbevölkerung regelmäßig und heimlich in zwei Hälften. Auf der einen Seite leben, lieben, wohnen, rauchen und krauchen diejenigen, die das neue Jahr mit guten Vorsätzen angehen lassen. Auf der anderen Seite die, denen eine solche Vorsätzlichkeit ganz abgeht. Sei es, weil sie einfach mit sich zufrieden sind oder weil sie, wie jene 16jährige gestern „Vor dem Steintor“, keine Veranlassung für neue Vorsätze sehen: „Ist doch jedes Jahr das gleiche.“ Oder aber sei es, weil sie die Erfahrung gemacht haben, daß Vorsätze „nur zu Enttäuschungen führen“. Und dann gibt es natürlich noch die, die sich lieber zu ihrem einschneidenden 30. Geburtstag was Programmatisch-Persönliches vornehmen oder dann, „wenn's anliegt und nicht am Jahreswechsel.“
Sie alle aber leben mit Menschen zusammen, die die Zeit zwischen Weihnachten und Neu
jahr für ein wenig Besinnlichkeit nutzen und mit mehr oder weniger hoffnungsvollen Vorsätzen ins Jahr 1990 gehen. Die Palette dieser Vorsätze ist breit, wie eine kleine, nicht -repräsentative Umfrage gestern zu Tage förderte; niemand allerdings bekannte sich zu dem klassischen Neujahrs-Wunsch, pünktlich ab dem 1.1. das Rauchen aufzugeben. Die jüngeren unter den Befragten wollen stattdessen „mehr lernen“ oder wollen „bessere Jobs“. Berufstätige Frauen über dreißig wollen schöner leben. Einige der Wünsche: „Mehr Zeit für mich zu haben. Darauf zu achten, daß mich niemand ausbeutet.“ - „Viel Zeit zu haben für mich, für meinem Liebsten und für meinen kleinen Liebsten. Mehr Mußestunden. Mich nicht mehr so von der Arbeit stressen lassen. Ich möchte sinnlicher leben, mir für jeden Tag überlegen, nicht nur was ich arabeitsmäßig vorhabe, sondern auch, was ich für meine
Körper und meine Seele tun kann. Außerdem möchte ich tanzen oder so.“ - „Ich hab mir vorgenommen, öfter mal schwimmen zu gehen. Bißchen mehr frische Luft zu tanken. Öfter mal ins Kino zu gehen. Geduldiger zu sein.“
Einige Zeitgenossinnen nehmen sich - quer durch die Altersstufen - vieles in Sachen „Liebe“ vor. Eine 60jährige unverblümt: „Ich möchte gerne eine neue Beziehung haben.“ Und ein 34jähriger will 1990 sein „wirres Privatleben beziehungsmäßig ordnen.“ Im vorgangenen Jahr hatte er sich dagegen „jobmäßig viel vorgenommen.“
Mit zunehmendem Alter rückt die „Gesundheit“ bei dem Vorsätzen immer weiter in den Vordergrund: Ein 52jähriger Mann: „Ich habe gesundheiiliche Schwierigkeiten. Stimmbandkrebs. Ich habe mir vorgenommen, in diesem Jahr zu tun, was der Arzt sagt. Ich muß operiert werden. Aber ich habe das bis
jetzt nicht getan, weil ich Angst habe.“ Eine 79jährige Frau mit Hund: „Ich werde bald 80. Ich habe schon soviele Schicksalsschläge mitgemacht. Mein Mann... Mein Sohn ist ertrunken. Ich wünsche nur, daß ich gesund bleibe und daß ich noch ein Augenblickchen mein Tierchen habe.“
B.D.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen