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Akrobat auf Piano

■ Jazztheater aus dem Raum München zeigt „Musenkuss“ im Packhaus

Da widmet sich weltfremd-schus selig-schüchtern, völlig den Tasten hingegeben, ein Pianist seinem Piano. Dann passiert ihm etwas, was auch für all die wacke

ren Klavierlehrer und -schülerInnen Bremens zu einem Horrortrip ausarten dürfte: Da robbt sich doch aus dem Hinterteil seines schönen schwarzen Flügels ein halbnacktes, bösartiges Wesen heraus. Ein Teufelchen. Ein Verwandlungskünstler. Einer, der soviel mimisches Genie in den Zehen wie in den Augäpfeln hat. Einer, der den Pianisten am Schopf packt und mit der Nasenspitze musikalisch auf die Tasten haut. Der ihm die Saiten wild auf den Boden schmeißt. Der ihn im Charleston-Kleid züchtig umgarnt und dann jeden zarten Kußversuch des romantisch-verliebten Klavierspielers eiskalt abblitzen läßt. Der ihn mit seinem Blasinstrument zu rasenden Jazz-Sessions hinreißt. Ihn aber wieder und wieder mit seinen brutalen Aktionen vom geliebten Klavierhocker reißt. Der ihn schließlich zu Selbstmord-Versuchen treibt.

Der Schauspieler und Akrobat Ulrich Kahlert in der Rolle dieses Teufels ist ein Faszinosum. Einem Sambainstrument entlockt er ein anrührendes Schluchzen und verzieht dabei den Mund, daß es ein Jammer ist. Gleich darauf läßt

er in Mundwinkeln und Instrument wieder schelmische Freude aufblitzen. Auch mitten in seiner weiblich-anmutigen Charleston-Nummer verwandelt er sich sekundenschnell, steckt plötzlich seinen Busen-Polster-Apfel in den Mund, schmatzt ausgiebig und tönt statt süßlich von einer Sekunde zur anderen brummbassig-verstimmt. Bei so einem Gegenspieler hat es der förder-preisgekrönte Jazzpianist Donato Deliano schwer, als Mime mitzuhalten. Der Brutalitäten des Bösen kann er sich zwar zeitweilig als Musiker erwehren, aber nicht als Schauspieler. Vergeblich wartet die Zuschauerin darauf, daß er dem Teufel endlich mal Saures gibt oder ihn sich mit erwachender Raffinesse vom Hals hält. Stattdessen eine mitleiderheischende Bravheit, ein widerstandsloses Mit -Sich-Machen-Lassen, das einer zwischendurch auch die Lust an den Gemeinheiten des Teufels nimmt. Der Zweikampf ist ungleich. Der Teufel aber - ein Bonbon.

Barbara Debus

„Thelema Breakpoint“ noch bis Sonntag, den 7.1., im Theater im Schnoor ab 2O h.

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