„Die Menschen kommen auf die verrücktesten Ideen“

Auszüge aus einem Gespräch mit Professor Konermann, Veterinärmediziner zu Münster und Erfinder des demnächst legendären Mikrochips zur Identifizierung von Trabrennpferden  ■ I N T E R V I E W

taz: Herr Professor Konermann, wie sind Sie denn auf die Idee mit dem Sicherheits-Chip gekommen?

Professor Konermann: Man muß zu einer sicheren Identifizierung kommen. Gerade die Traberzucht bringt sehr viele Pferde ohne besondere Kennzeichen, damit wächst die Gefahr, daß es zu Unregelmäßigkeiten kommt...

Soll heißen: zur unzulässigen Beeinflussung von Renn- und Wettgeschehen?

So könnte man sagen, ja. Mit den Mitteln der elektronischen Datenverarbeitung ergeben sich neue Möglichkeiten der Kommunikation. Die Ziffernfolge, aus der das Herkunftsland, der Zuchtverband, der Geburtsjahrgang und die laufende Nummer des Tieres hervorgehen, ist mit Hilfe von implantiertem Chip und Lesegerät jederzeit ablesbar und kann quasi „on line“ weitergegeben werden in ein Computersystem. Der Verband wie die Rennleitungen, Besitzer wie Züchter haben damit jederzeit Zugriff auf die gewünschten Daten des Pferdes. Das heißt: Informationssicherheit und rasche Information sind besser gewährleistet, als das bisher möglich war.

Beschreiben Sie doch bitte die weitere Entwicklung - von der Idee bis zum Prototyp.

Die Idee ist im Grunde nicht neu, sondern wir haben ja diese Codifizierung bereits in weiten Bereichen. Da gibt es zum Beispiel die Erkennung in Kaufhäusern. Da gibt es, seit einiger Zeit schon, die Transponderfütterung bei Rindern oder Schweinen, bei der sehr viel größere Chips, als Halsband getragen, das Erkennen einzelner Tiere ermöglichen und somit deren spezifische Fütterung. Die Firma NEDAP, mit der wir zuletzt zusammengearbeitet haben, ist auf diesem Gebiet eine der führenden Firmen in der Welt. Bestimmte Erfahrungen waren also bereits vorhanden, und nun ging es nur noch darum, wie man zu einer Miniaturisierung kommen kann, da sich einem Pferd schwerlich dauerhaft ein Halsband umbinden läßt. Folgende Ansprüche sind dafür zu erfüllen: Das Material, das man verwendet, muß dauerhaft sein; es muß dicht sein, so daß nicht aufgrund der osmotischen Verhältnisse Gewebsflüssigkeit in den Responder eindringen und damit den Chip zerstören kann. Das Material sollte biokompatibel sein, das heißt gewebefreundlich, so daß es nicht zu Abstoßreaktionen kommt. Andererseits muß aber trotzdem eine Reaktion seitens des Gewebes dahingehend erfolgen, daß dieser Mikrochip an der Stelle, an der er implantiert wurde, durch eine bindegewebige Kapsel fixiert wird; man muß ja verhindern, daß er anfängt, im Körper zu wandern. All diese Ansprüche konnten umgesetzt werden, einschließlich der Lesbarkeit der sogenannten „Lebensnummer“. Soviel ist nach der ersten Versuchsreihe klar.

Gibt es denn gesundheitliche Risiken, die sich mit dem Implantieren des Chips verbinden?

Wir haben in dieser Versuchsreihe bei keinem der Pferde eine Reaktion entzündlicher Art gefunden und auch keine, die aufgrund der Manipulation, des Einspritzens, entstanden sein könnte.

Wie soll es nun weitergehen: Werden die Versuche fortgesetzt?

Ich werde wahrscheinlich nochmal Anfang dieses Jahres fünfzig bis hundert Pferde in einen Versuch hineinnehmen, um zu sehen, wie das dann unter Praxisverhältnissen routinemäßig läuft. Ich denke, daß wir etwa im April mit der Implantation beim Fohlenjahrgang 1990 beginnen können. Alle Fohlen, als Fohlen „bei Fuß“, also bei der Mutter, werden dann mit einer Lebensnummer versehen, die in das Abstammungspapier übernommen wird. Wichtig ist auch: Dieses ganze System sollte möglichst so gestaltet sein, daß es europaweit zum Tragen kommt.

Wie reagieren, Ihres Wissens, die Funktionäre?

Zum HVT, dem Hauptverband für Traberzucht und -Rennen, kann ich sicher sagen, daß da in der Zwischenzeit sämtliche Beschlüsse gefaßt sind. Das System soll so schnell wie möglich bundesweit eingeführt werden. Die hätten das am liebsten schon 1989 gehabt. Es hat auch schon mit der UET, der Europäischen Vereinigung der Traberzucht, Gespräche gegeben, das weiß ich zufällig. Auch dort ist man sehr interessiert daran, dies europaweit einzuführen.

Wer hat denn, außer der genannten Firma, Ihr Vorhaben unterstützt und gefördert? Mit welchen Verbänden oder Institutionen arbeiten Sie zusammen?

Rein geldlich ist das durch den HVT abgedeckt worden. Die haben meine Reisekosten bezahlt. Die für die Untersuchung notwendigen Pferde bzw. deren Versorgung hat die Firma bezahlt. Und damit ist Schluß. Mehr ist nicht geschehen.

Haben Sie den Chip mittlerweile zum Patent angemeldet?

Nein. Vielleicht ist das etwas, das Sie jetzt nicht verstehen: Dieses Geschäft und diese Arbeit habe ich gemacht, weil's mir Spaß gemacht hat. Ich bin wirtschaftlich weder daran beteiligt noch interessiert noch sonstwas. Etwas, worauf ich sehr viel Wert lege, das ist meine Unabhängigkeit; die will ich durch solche Dinge nicht auch noch belasten. Ich kann also jederzeit sagen: „Ich habe das gemacht, so gut es ging, so gut ich eben auf wissenschaftlicher Basis dazu beitragen konnte“ - und dann müssen andere was tun.

Wieviele Firmen können denn nun kaufen, Konstruktionspläne erhalten usw.?

Ich kann das nicht sagen. Ich bin nicht mal darüber informiert, habe mich auch nie darum gekümmert, ob es je zur Patentanmeldung gekommen ist.

Sie haben es also aus der Hand gegeben?

(Schweigen)

Um mal ein „Schöne neue Welt„-Szenario zu entwerfen: Wenn der Chip sich erst in den von Ihnen genannten sportlichen und züchterischen Bereichen bewährt hat, werden schon bald so es nicht schon längst geschehen ist - Menschen auf die Idee kommen, mit Hilfe dieser Entwicklung auch andere Lebewesen zu identifizieren oder identifizierbar zu machen zum Beispiel andere Menschen. Ist dies für Sie eine völlig unrealistische Horrorvision?

Ich habe ja was gegen Horrorvisionen. Grundsätzlich: Möglich ist alles. Denkbar ist auch alles. Aber, und vielleicht werden Sie jetzt sagen, das sei blauäugig: Ich denke, wenn die Vernunft der Menschen nicht ausreicht, die modernen Möglichkeiten, die wir haben, sinnvoll einzusetzen, und wenn die Menschen sie statt dessen mißbrauchen, (und wenn Wissenschaftlern heutzutage jeglicher gesunde Menschenverstand fehlt... d.S.) dann werden wir das - mit oder ohne solche Versuche - auch nicht verhindern.

Wie würden Sie denn reagieren, wenn Ihnen jemand sagte: „Wenn ich 1995 an einer Grenze stehe oder bei einer Personenkontrolle anderer Art mittels Detektor identifiziert werde und einen Mikrochip im Körper mit mir trage, dann ist der Herr Professor Konermann schuld“?

Das würde mich natürlich wundern, wenn es zu solch einer Entwicklung kommen würde. Also: Auszuschließen ist nichts, die Menschen kommen auf die verrücktesten Ideen. Aber da muß man einfach hoffen, daß die Gesellschaft vernünftig genug ist zu überlegen, wozu man solche Dinge einsetzt.

(Schweigen)

Fragen und Unterstellungen: Bibi Schrenk