: Sozialer Rechtsstaat - nicht für Ausländer
■ Eine Stellungnahme des Professors für Öffentliches Recht an der Universität Hamburg Helmut Rittstieg zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Neuregelung des Ausländerwahlrechts vom 5.1.1990 / Am Freitag dieser Woche findet im Bundestag die erste Lesung des vom Kabinett beschlossenen Entwurfs statt
Der vom Bundeskabinett im Dezember 1989 beschlossene Entwurf baut auf den Referentenentwürfen vom April 1988 und September 1989 auf. Er enthält Korrekturen, setzt aber die in den Referentenentwürfen eingeschlagene Grundlinie fort.
Zentraler Inhalt des Entwurfs ist eine vollständige Neufassung des Ausländergesetzes (EAuslG). Nach dem Entwurf wird das neue Ausländergesetz ein kompliziertes Juristengesetz mit zahlreichen unübersichtlichen Verzweigungen. Es perfektioniert das ausländerbehördliche Instrumentarium, ohne den Betroffenen Rechtssicherheit zu bringen.
Zu abschließender Beurteilung bedürfte es eines Planungsspieles unter Einbeziehung der verschiedenen Ausländergruppen, der Behördenvertreter und der Richter. Mangels dieser Vorarbeit kann die nachfolgende Stellungnahme nur vorläufig sein.
Der Entwurf verbessert in einigen Punkten die Rechtslage der Ausländer gegenüber dem gegenwärtigen Ausländerrecht. Zu den Verbesserungen gehört, daß der Entwurf
-nach dem Aufenthaltszweck differenzierte Aufenthaltsgenehmigungen vorsieht, gesetzliche Rechtsansprüche auf Erteilung und Verlängerung von Aufenthaltserlaubnissen und Aufenthaltsberechtigungen schafft und damit den Einwandererstatus gesetzlich verankert,
-die Ehebestandsfrist als Voraussetzung des Ehegattennachzuges streicht (§ 18),
-der dritten Generation einen Wiederkehranspruch (§ 16) und einen Einbürgerungsanspruch (§ 85) einräumt,
-den Bestand der Aufenthaltserlaubnis nicht mehr vom Besitz eines gültigen Passes abhängig macht (§§ 43, 44 Abs.1),
-die nachträgliche Befristung der Aufenthaltserlaubnis nur noch ausnahmsweise zuläßt (§ 24 Abs. 2 Satz 2).
Die Bedeutung dieser Verbesserungen auch als Signal in der gegenwärtigen, für die Rechtssicherheit von Ausländern in diesem Land nicht gerade günstigen politischen Situation soll nicht unterschätzt werden.
Die im Entwurf enthaltenen Verbesserungen kommen allerdings überwiegend den Ausländern zugute, die auch gegenwärtig schon eine gefestigte aufenthaltsrechtliche Stellung haben und die entsprechend wirtschaftlich abgesichert sind.
Massive Verschlechterungen enthält indessen der Entwurf für Ausländer, die bisher noch keine Aufenthaltsverfestigung erreicht haben und die nicht die Voraussetzungen eines Anspruchs auf unbefristete Aufenthaltserlaubnis oder Aufenthaltsberechtigung erfüllen. Ihre Aufenthaltserlaubnisse werden gemäß den §§ 92 Abs. 3 Nr. 4, 13 Abs. 1 EAuslG nach den Vorschriften über die Ersterteilung einer Aufenthaltserlaubnis im Ermessenswege zu verlängern sein. Die bisherige Verfestigungsregel für ausländische Erwerbstätige, ihre Ehegatten und Kinder nach der Verwaltungsvorschrift zu § 7 AuslG fällt daher weg.
Es gilt die Ermessensnorm des § 7 EAuslG, die anstelle der bisher vorgeschriebenen Abwägung der Belange eine einseitige Berücksichtigung der Interessen der Bundesrepublik Deutschland vorschreibt (§ 7 Abs. 2 Nr. 3) und einen Anspruch des Ausländers auch bei langjährigem Aufenthalt und bisher fester Verlängerungspraxis ausschließt. Der Schutz des sozialen Rechtsstaates für das Vertrauen auf erworbene Rechtsstellungen soll offenbar nicht für Ausländer gelten.
Die im Entwurf vorgesehenen Rechtsansprüche für den Nachzug von Ehegatten und Kindern verschleiern, daß nach seinem Inkrafttreten die Rechtslage insbesondere junger Familien entscheidend verschlechtert wird. Die Visumpflicht für nachziehende Kinder wird sich in vielen Fällen wegen der Unzugänglichkeit der Konsulate und der notwendigen Zustimmung der Ausländerbehörden schon verfahrensrechtlich als unüberwindliches Hindernis erweisen. Werden Kinder in der Bundesrepublik geboren, ist die Aufenthaltserlaubnis innerhalb von sechs Monaten nach der Geburt zu beantragen (§ 69 Abs. 1 Satz 2).
Sie darf aber ebenso wie beim Familiennachzug nur erteilt werden, wenn ausreichender Wohnraum zur Verfügung steht und der Lebensunterhalt der gesamten Familie gesichert ist (§ 17 Abs. 2). Angesichts der vorrangigen Unterbringung von Aus und Übersiedlern ist ausreichender Wohnraum für ausländische Familien gegenwärtig und in den nächsten Jahren eine Ausnahme. Die noch mit ausreichendem Wohnraum versorgte junge Familie wird daher bei der Geburt eines (weiteren) Kindes in die Illegalität gedrängt (trotz § 3 Abs. 3 Satz 2 in Verbindung mit § 94 Abs. 3 Satz 2 EAuslG).
Da der ausreichende Wohnraum Voraussetzung sowohl für Familienaufenthaltserlaubnisse wie für die Aufenthaltsverfestigung ist (§§ 17 Abs. 2 Nr. 2, 24 Abs. 1 Nr. 5, 27 Abs. 2 Nr. 5), wird der Wohnungsmangel das Instrument zur Ausgrenzung auch hier geborener Ausländer. Für junge Familien, in denen Kinder geboren werden, wird die Forderung ausreichenden Wohnraums zum aufenthaltsrechtlichen Fallbeil.
Selbst wenn der Bundesminister des Innern von seiner Befugnis gem. § 3 Abs. 1 Satz 2 EAuslG, Kinder und Jugendliche durch Rechtsverordnung von der Aufenthaltserlaubnispflicht auszunehmen, großzügig Gebrauch macht, ist jungen Familien damit nicht wirklich geholfen, weil die Kinder eine Aufenthaltserlaubnis haben müssen, um in die Verfestigungsregelung nach § 26 hineinzuwachsen. § 26 stellt nämlich auf den achtjährigen Besitz einer Aufenthaltserlaubnis ab und stellt damit strengere Anforderungen als die Einbürgerung, die nach § 85 Abs. 1 Nr. 2 den rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt genügen läßt. Damit soll offenbar die Einbürgerung nahegelegt werden.
Der Entwurf setzt die Politik der Diskriminierung und Ausgrenzung von Ausländern fort und verschärft sie. Die leidvollen Erfahrungen aus 35 Jahren Einwanderungsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland werden nicht berücksichtigt.
Neben den bereits genannten Mängeln sollen folgende Mängel des Entwurfs zusätzlich herausgestellt werden:
1. Die Ausweisung soll möglich sein bei Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung oder sonstiger erheblicher Interessen der Bundesrepublik Deutschland (§ 45). Diese Tatbestände sind ebenso unbestimmt wie weit und daher den jeweiligen ausländerpolitischen Zielsetzungen unbegrenzt offen. Die Ausweisung muß von dem Ausländer nicht verschuldet sein, so daß nach dieser weiten Fassung des Ausweisungstatbestandes auch verschärfte Konflikte zwischen Deutschen und Ausländern oder eine Verknappung von Raum und Ressourcen im Inland das Interesse der Bundesrepublik Deutschland an der Ausweisung begründen können. Unerträglich weit sind auch die als Beispiel genannten Ausweisungsgründe des § 46. So kommt es nach § 46 Nr. 2 nicht mehr auf die Verurteilung wegen einer Straftat an; es genügt vielmehr jeder nicht nur vereinzelte oder geringfügige Rechtsverstoß und jeder Verstoß gegen gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen. Von Ausländern werden die vollständige Kenntnis und die vollständige Befolgung der Rechtsordnung erwartet. Ausweisungsgrund soll nach § 46 Nr. 6 auch die - im Interesse des Kindes anzuordnende - Hilfe zur Erziehung sein. Der bisherige Ausweisungsdekalog des § 10 Abs. 1 AuslG ist in der Tat liberal.
Die alle Lebensbereiche umfassende Weite der Ausweisungstatbestände hat deshalb besondere Bedeutung, weil ihr Vorliegen der Verlängerung von Aufenthaltserlaubnissen und den Ansprüchen auf Aufenthaltsverfestigung entgegensteht (§§ 7 Abs. 2 Nr. 1, 24 Abs. 1 Nr. 6, 27 Abs. 2 Nr. 5 EAuslG). Bei jedem Konflikt, bei jeder außergewöhnlichen Situation wird sich ein Ausländer fragen müssen, ob nicht sein Verhalten die öffentliche Ordnung nach dem Verständnis „seiner“ Ausländerbehörde oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik verletzt. Das rechtsstaatliche Gebot der inhaltlichen Bestimmtheit von Eingriffsermächtigungen bleibt völlig auf der Strecke.
2. Als Voraussetzung der Aufenthaltsverfestigung wird der Besitz der Aufenthaltserlaubnis über einen Zeitraum von fünf oder acht Jahren gefordert (§§ 24 Abs. 1 Nr. 1, 26 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1, 27 Abs. 2 Nr. 1); anders der für die Einbürgerung geforderte achtjährige rechtmäßige Aufenthalt (§ 85 Abs. 1 Nr. 2). Das führt zu Schwierigkeiten, wenn die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis zwar rechtzeitig beantragt, aber nicht rechtzeitig vor Ablauf der Aufenthaltserlaubnis gewährt wird. In diesem Fall endet die bisher aufgelaufene Bewährungsfrist und eine neue beginnt. Das setzt Ausländer behördlicher Willkür durch nicht rechtzeitige Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis aus. Darüber hinaus werden die Behörden unnötig unter Zeitdruck gesetzt. Es sollte daher wie bisher bei dem fünf- oder achtjährigen rechtmäßigen Aufenthalt als Voraussetzung der Aufenthaltsverfestigung bleiben. Die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts wird auch weiterhin durch den rechtzeitigen Verlängerungsantrag bewirkt. (§ 69 Abs. 3 Satz 1).
3. Der Entwurf hält trotz der schlechten Erfahrungen weiter an der doppelten Reglementierung der Erwerbstätigkeit durch Auflagen zur Aufenthaltserlaubnis und durch die Arbeitserlaubnis fest. Nur die Aufenthaltserlaubnis befreit von aufenthaltsrechtlichen Beschränkungen der Erwerbstätigkeit. Alle anderen Formen der Aufenthaltsgenehmigung können mit Beschränkungen der Erwerbstätigkeit bis hin zum Verbot verbunden werden. Angesichts des menschenrechtlichen Charakters des Rechtes auf Erwerb ist dies unerträglich. Für den Familiennachzug wird an der geltenden Wartezeitregelung für den Zugang zum Erwerb von vier Jahren festgehalten. Das drängt nachziehende Ehegatten angesichts der Lebenshaltungskosten und der Wohnungsprobleme in den illegalen Erwerb.
4. Der Entwurf enthält zahlreiche Abweichungen vom allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht zu Lasten von Ausländern, obwohl dem sozialen Rechtsstaat gerade der besondere Schutz gesellschaftlich benachteiligter Menschen obliegt.
So werden die Voraussetzungen der auch in Zukunft häufigen Ermessensentscheidungen in § 7 einseitig zu Lasten der Ausländer gewichtet. Ermessensbindungen sollen jenseits der gesetzlich geregelten Ansprüche nach § 7 Abs. 1 auch bei ständiger Verwaltungspraxis oder absolut schutzwürdigen Belangen der Ausländer nicht eintreten. Damit wird die rechtsstaatlich geforderte Bindung des Verwaltungsermessens vernachlässigt.
Die im Verwaltungsverfahren geltende Amtsaufklärungspflicht wird für solche Umstände ausgeschlossen, die dem Ausländer günstig sind, darüber hinaus können dem Ausländer Nachweisfristen auferlegt werden (§ 70 Abs. 1, 2). Versäumt er die Frist, können diese Umstände nach Verwaltungsprozeßrecht auch nicht mehr vor Gericht berücksichtigt werden, wenn sie nur den Ermessensbereich betreffen.
Die aufschiebende Wirkung bei Widerspruch und Klage soll nach § 72 Abs. 2 anders als bisher nur den Vollzug hemmen, aber nicht den Aufenthalt legalisieren. Damit wird der Aufenthalt trotz eingelegter Rechtsmittel und aufschiebender Wirkung strafbar (§ 90 Abs. 1 Nr. 1), und die Arbeitserlaubnis erlischt (§ 8 Abs. 1 Nr. 1 AEVO). Mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4 GG ist dies nicht zu vereinbaren.
Auch die Beschränkungen der Begründungspflicht für ablehnende Bescheide gemäß § 66 Abs. 2, 3 sind rechtsstaatlich unerträglich.
5. Die Erfassung und Übermittlung personenbezogener Daten des Ausländers ist in §§ 75 bis 78 AuslG im Sinne eines totalitären Überwachungswahnes geregelt. Nach § 76 Abs. 2 sollen alle „öffentlichen Stellen“ die Ausländerbehörde über Ausweisungsgründe unterrichten. Angesichts der Weite der Ausweisungsgründe umfaßt diese Unterrichtungspflicht jede Auffälligkeit von Ausländern einschließlich unregelmäßigen Schulbesuches, politischer Äußerungen usw. Die Sozial- und Jugendämter sollen noch zusätzlich nach § 76 Abs. 4 in die Ausländerüberwachung einbezogen werden.
6. Die politische Betätigung von Ausländern wird durch die Vielzahl gesetzlicher Verbote in § 37 Abs. 2 und durch die zusätzlichen Ermächtigungen in § 37 Abs. 1 weiteren Beschränkungen unterworfen, als sie nach geltendem Recht vorgesehen sind. Diese Beschränkungen sind einer freiheitlichen Demokratie unwürdig. Wie will man hier heranwachsenden jungen Ausländern oder ausländischen Studenten die Vorzüge einer freiheitlichen Demokratie mit solchen Verbotsvorschriften und den zugehörigen Überwachungsnormen nahebringen?
7. §§ 90, 91 des Entwurfs enthalten weit überzogene Straf und Bußgeldvorschriften. Ausländer unterliegen dem Strafrecht in jeder Hinsicht wie Deutsche. Darüber hinaus unterliegen sie aufenthaltsrechtlichen Sanktionen nach dem Ausländergesetz, wenn sie gegen ausländerrechtliche Vorschriften verstoßen. Verstöße gegen das Ausländerrecht bedürfen daher nicht zusätzlicher straf- und ordnungsrechtlicher Ahndung. Deren Androhung bedeutet vielmehr eine Doppelsanktionierung, die im Ansatz gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstößt.
8. Im Entwurf fehlt eine Bestimmung über den Vorrang völkerrechtlicher Verträge (bisher § 55 Abs. 3 AuslG). Damit wird unter anderem der Ausweisungsschutz des Europäischen Fürsorgeabkommens bei Sozialhilfebedürftigkeit in Frage gestellt. Auch die aufenthaltsrechtlichen Vergünstigungen aus Niederlassungs- und Schiffahrtsverträgen sollen offenbar verdrängt werden.
9. Der Gesetzentwurf weist dem Bundesminister des Innern an verschiedenen Stellen Weisungs- oder Mitwirkungsbefugnisse gegenüber den Landesbehörden zu (§§ 9 Abs. 2, 32, 45 Abs. 3, 54, 65). Die Innenminister der Länder werden damit dem Bundesministerium des Innern hierarchisch unterstellt, oder es entsteht eine Mischverwaltung. Beides ist verfassungsrechtlich unzulässig. Nach Art. 83, 84 GG führen die Bundesländer das Ausländergesetz als eigene Angelegenheit aus. Einwirkungen auf die Verwaltung der Länder stehen daher nach Art. 84 Abs. 2 - 5 GG nur der Bundesregierung als Kollegium (nicht dem Bundesminister des Innern) und nur durch allgemeine Verwaltungsvorschriften mit Zustimmung des Bundesrates (Abs. 2) oder durch Einzelanweisungen für besondere Fälle (Abs. 5) zu.
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