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Einsam und allein mit den Sekundärrohstoffen

■ SERO-Läden sammeln in Ost-Berlin Altmaterial gegen Geld / Einkommensquelle für Ost-Berliner Randexistenzen und arme Leute / Außer Batterien und Lumpen nehmen die SERO-Läden fast alles an / Honecker-Route verhinderte Expansion

„Mit meinen Stammkunden bin ich per Du, doch wenn sie stänkern wollen, weil ich ihnen die Bettfedern nicht mehr abkaufen kann, mach‘ ich den Laden einfach für 'ne Stunde dicht.“ Der da so burschikos auftritt, ist Ed, dreißig Jahre alt und SERO-Aufkäufer in Berlin-Prenzlauer Berg. SERO, das Kürzel für VEB Sekundärrohstoffe, steht für die flächendeckende Erfassung wiederverwendbarer Materialien der sich anbahnenden Konsumgesellschaft, wie Glas, Papier, Metall- und Plastikschrott. Eigentlich eine entwicklungsfähige Idee, nur, es funktioniert wie alles in der DDR: stockend, schlampig, bürokratisch, uneffektiv. Ed weiß da ein Liedchen zu singen.

Um zehn Uhr schließt er seinen dunklen, nur durch kalte Neonröhren beleuchteten Parterreladen auf. Unter den Stuckdecken aus dem vorigen Jahrhundert stapeln sich zusammengefaltete Pappkartons, viele von Westeinkäufen, tausende von Flaschen, Gläser, zwei ausgediente Kupferkessel, Bleirohre, Kabelreste, dazwischen ein großer Kachelofen für alle drei Räume. „Wenn es erst mal richtig kalt ist, dann fahr‘ ich hier Schlittschuh.“ Doch bis jetzt ist der Winter gnädig, nur der Regen stört ihn, weil bei diesem Wetter die Kunden ausbleiben. Zu Ed kommen die „Sammler“. Allein oder in Grüppchen ziehen sie morgens von Hof zu Hof. Die Straßenzüge sind, ähnlich wie bei den Huren in Sankt Pauli, streng unter ihnen aufgeteilt. Wer da wildert, muß damit rechnen, daß sein Leiterwagen eines Tages fehlt oder in Trümmern liegt. Revier bedeutet Geld, dort ist kein Platz für Freundschaften.

Doch echte Not treibt sie bis auf Ausnahmen nicht zum Sammeln, eher eine mit Alkohol verbundene Lebensart, die in keinen Acht-Stunden-Arbeitsrhythmus einzuordnen ist. Und wozu auch, bis mittag haben sie so um die 50 bis 60 Mark beisammen, das reicht im Osten allemal, auch für den klaren Würger. Ed, der SERO-Statthalter, dagegen bringt es bis 19 Uhr, plus Abrechnungszeit, auf etwa 40 Mark, steht dafür die ganze Zeit mutterseelenallein in dem Geschäft, das nur Geld ausgibt, aber keins einnimmt. Doch freundlich sind die Kunden wenigstens, denn sie können sich's mit Ed nicht verderben.

Kommt nun jemand mit einem Handwagen voller Sekundärrohstoffe, zählt Ed seine „Einheiten“ zusammen. Sieben Flaschen a 30 Pfennig, zwei a fünf Pfennig, so wird es in die Liste eingetragen. Der Kunde unterschreibt, wie bei einem Kaufvertrag, dann gibt es Geld. Zum Beispiel 60 Pfennig für drei Kilo gebündelte Broschüren - zur Zeit gibt es davon eine Schwemme, weil für's SED-Parteilehrjahr nun kein Studienmaterial mehr gebraucht wird. Plastikflaschen, Spraydosen und Alttextilien - keine Lumpen, die nimmt er nämlich nicht - kann man auch zu ihm bringen. Mit alten Batterien sieht es dagegen schlecht aus. Für sie gab es auch bislang wegen ihrer Giftigkeit kein Geld. Jetzt, „wo alles auf's Ökonomische umgestellt wird, kann SERO keine mehr abnehmen“. Wiederverwendet wurden sie ohnehin nicht, verursachten also bloß Lagerkosten. „Wenn sie den Plastesack nächste Woche nicht abholen, schmeiß ich die Batterien selber auf den Müll“, grollt der SERO-Händler. Dann würde er aber seinen Stammkunden vorher Bescheid sagen, damit sie nicht umsonst kämen. Von ihrem Fleiß hängt schließlich seine Lohntüte ab. Gern würde er die noch etwas praller füllen, hat auch in Eigeninitiative Werbezettel mit den Öffnungszeiten gedruckt, aber seine Lagerkapazität ist begrenzt. „Beräumt“ wird nach Plan, von der SERO-Zentrale und zu selten. Neulich wollte Ed einen Container für Eisenschrott auf die Straße gestellt haben. Eisen bringt Einheiten. Das war aber nicht möglich, weil sein Laden an der Protokollstrecke von Erich Honecker lag.

Wenn Ed so gegen 20 Uhr seine Aquarienfische füttert, den Ofen das letzte Mal zuschraubt, und endlich seinen Laden abschließt, liegt ein Tag voll Schmutz und Einsamkeit hinter ihm. Auf dem Heimweg in seine Hellersdorfer Neubauwohnung träumt er dann schon ein wenig von den 19 Tagen Jahresurlaub, an der Ostsee, mit Frau und Kind.

H. Johannis

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