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VOLK MIT FÜHRER

■ Ein Begehungsprogramm zum leichteren Lieben des Wissenschaftszentrums

Die Hamburger Welthafenbürger lieben ihre Stadt, ihr Wasser und was darin und darauf passiert. Also begeben sie sich auch, wenn ein bedeutender Ozeanriese im Hafen einläuft oder eine hochmoderne schwimmende Stadt vom Stapel gelassen wird, zur Stätte des Ereignisses, aufgerufen von den lokalen/patriotischen Zeitungen. Solche Inbesitznahmen haben - erstaunlicherweise immer noch - nachgerade Volksfestcharakter. Man kann ein weiteres Mal kollektiv stolz auf sich sein.

Nun aber Berlin mit seiner notorischen großmannssüchtigen Ich-Schwäche. Unsere neuerdings zur Metropole umgetaufte Frontstadt ist ein Restehaufen mit Neuimplantaten. Die werden von der Abteilung Berlin Corporate Identity des Senats dekretiert, von Weltstars der Sparte Architektur aufs Papier gemalt, vom nichtsahnenden Volke bezahlt. Und dann sollen sie aber unbedingt und sofort und vorbehaltlos geliebt werden.

Also ergibt sich von Zeit zu Zeit - nach Fertigstellung eben eines weiteren betonierten Bedeutungsträgers - die schwierige Aufgabe: Wie läßt sich Liebe herstellen? Weltweite und jahrhundertelange Erfahrungen der jeweiligen örtlichen Kulturabteilungen haben erwiesen, daß sich diese Liebesproduktion im Bereich Kunst quasi naturwüchsig, fast wie von selbst, einstellt. Zum Beleg mögen da die Stichworte Italienische Reise, Mona Lisa- und Goldener Helm -Wallfahrten, Kreml, Neuschwanstein und Tadsch Mahal reichen... Die Kunst-Stücke sind - wir kennen und lieben sie - Legion. Neuerdings greift übrigens, der Beschleunigung halber, der Kunstmarkt dem Unterfangen „Erhebung durch das Schöne“ ein wenig unter die Arme.

Wie alle Erscheinungen der Kultur, so ist, wie wir Gebildeten wissen, auch die Kunst sakralen Ursprungs. Zu dem Zeitpunkt, da Kirchen keine heiligen Bedürfnisanstalten mehr waren und Marien-Ikonen keine Wunscherfüllungs-TrägerInnen, setzte der Prozeß der Verkunstung ein. Die Leerstelle der Sehnsucht nach dem Erhabenen wollte ja weiter besetzt sein.

Einen zweiten logischen Schritt in dieselbe Richtung, dessen zukunftsweisende Bedeutsamkeit seinen Initiatoren sicher noch unabsehbar war, markierte der Eiffelturm. Wo das Heilige über den Umweg der Profanisierung verkunstet wird, läßt sich auch der umgekehrte Prozeß denken: der profane Funktionsbau wird, nachdem er seinen Dienst getan hat, zum ästhetischen Objekt erklärt und erhält so eine Aura säkularisierter Heiligkeit.

Auch Berlin ließ, und läßt sich immer noch, was diese Umwertung der Werte anbetrifft, nicht lumpen. Eines seiner ersten Projekte lautete: Umnutzung des Funkturms zu nutzfreiem Kult. Welche beiden Turm-Künste wiederum die Differenz zwischen dem weltstandardsetzenden Paris und dem Möchte-gern-Berlin allersinnfälligst vor Augen stellen.

Eines der Berliner Profanimplantate der jüngeren Zeit nun ist das Wissenschaftszentrum. Sowohl seiner Idee nach als auch in seiner Erscheinung stellt es geradezu ein Musterbeispiel des spätneuzeitlichen Säkularisierungsprozesses dar. Der Tempel der Wissenschaft hat den heiligen Ort des Glaubens ersetzt/besetzt. Nur - und das war bis vor ganz kurzem eben noch unbefriedigend: Es fehlt das Volk.

Ein Kunstereignis-Hersteller wird also angeworben für das Projekt: Wie wird das Volk zum Verehren gebracht? Der ist natürlich jung und dynamisch und guckt sich um, wie die andern es machen. Da hilft ihm nun einesteils das Vorbild unserer ostzonalen Brüder und Schwestern, andernteils das der Kunstsinn-Produktion.

Der Ostberliner Flughafen Schönefeld besitzt einen langen Korridor, der vom internationalen Bereich in den nationalen führt. Der ist zwar gewunden, biegt um Ecken, läßt aber keine Abweichungen und Nebenwege zu. Trotzdem läuft auf dem Boden dieses Ganges ein dicker weißer Pfeil entlang und weist in die Richtung, die ohnehin die einzige ist. Genau dieser Pfeil ist es aber auch, der aus dem beschränkten den Weltklasseflughafen macht; denn die übrigen terrestrischen Luftzentren der Welt haben ja auch solche sprachfreien Verweisungssysteme.

Und außerdem galt zu Pfeilmalzeiten noch die sozialistische Erkenntnis: Schön ist, was nützt. Im Westen ist es ja eher umgekehrt: Schön ist das Überflüssige.

Die Aufgabe für den jungen Corporate-Identity-Agenten des Wissenschaftszentrums war insofern nicht ganz einfach. Es galt gleichzeitig die Schönheit und den Nutzen des Komplexes nachzuweisen. Und da legte sich denn also, in genialischer Synthese quasi, der Ereignispromoter, Thomas Eller heißt er, selber - Tribut an die westliche Subjektverfallenheit - als Pfeil - Tribut an den östlichen Nutzgedanken - durch das Wissenschaftszentrum.

In fotografischer Ganzkörper-Abgebildetheit, auf standfesten Halthintergrund gebracht, steht er nun treppauf, treppab, ganghin, gangher im Gebäuderund herum: ganz serielles Kunstwerk. Dort wo kunstsinnige OrtsbegeherInnen an einen entscheidungsbedürftigen Kreuzweg geraten Cafeteria oder Bibliothek, prämoderner oder postmoderner Gebäudeteil, Denkzelle oben oder unten, hiernichts oder danichts - hat der Führer schon entschieden: Hierlang geht's! Das ohnehin Vorhandene, hier wird's Ereignis! (Im Interregnum zwischen Prä- und Postzeit übrigens hieß solch ein Vorgang noch bieder-sozialdemokratisch: Bürger lernen ihre Stadt kennen.)

Für uns geführte Kunstbedürftige nun ist es nicht weniger als beglückend, wie sich in diesem Falle alles so wunderbar zu einem vielstimmigen und doch einsinnigen Gesamtkunstwerk fügt: eine Kunstschicht spiegelt und bricht die andere. Da ist zum einen also die Idee des Wissenschaftshauses, das sich selber so beschreibt: „Unter dem Leitthema ‘Entwicklungstendenzen, Anpassungsprobleme und Innovationschancen moderner demokratischer Gesellschaften wird sozialwissenschaftliche Grundlagenforschung in ausgewählten Problemfeldern durchgeführt.“ Könnte das Thomas -Eller-Führungskonzept nicht selber wiederum Gegenstand eben dieser Forschung sein?

Da ist weiter die Gebäudehaut der Idee: ein Simulacrum heiliger antiker Stätten. Da sind zum dritten die wissenschaftlichen Früchte, die die Denkzellen dieses Gehäuses zeitigen. Sie lauten etwa: „Objektive Lebensbedingungen und subjektives Wohlbefinden“ oder „Wege zu einer effektiven Prävention“ oder gar „Komplizen oder Konkurrenten? Sieben Annäherungen an das Verhältnis von Wissenschaft und Kunst“. Sind diese Titel jüngster Hausveröffentlichungen von einsitzenden Brainstormern nicht wie rückbezügliche Schleifen über die Führungsperformance zur Fertigkunst?

Und schließlich die verwortete Kunst des Ereignisveredlers. Im Führungsbeiheft findet sich folgender schöner Hinweis: „Bei einem Vergleich mit Caspar David Friedrichs Bild Mönch am Meer kann man auf den Gedanken kommen, daß Thomas Eller das, was in diesem Bild angelegt, aber noch nicht ganz vollzogen ist, einlöst. Thomas Ellers Arbeit könnte man nennen: Mönch im Meer.“

Die Rezensentin schwamm denn auch während der Vernissage als interpretationsfreudige Novizin im Meer der Wissenschaft. Und siehe da, das Gebäude erwies sich als hübsch, der Führer als redundant und endlich war sie mal drinnen. Nur die beiden älteren Damen schienen ein anachronistisches Verhältnis zur Kunst zu unterhalten: Sie hatten sich für die Kunst schöngemacht und empörten sich nun über eine Einladung zu leeren Gängen.

Es steht allerdings zu vermuten, daß T.E., der - im kleinen Bieranzug - auch als originales Unikat anwesend war, den Auftritt der beiden zwecks Belebung des Ereignisses selber bestellt hatte.

Christel Dormagen

Weitere Führungen werden von Thomas Eller noch bis zum 2. März geleitet: Montag bis Freitag von 12 bis 14 Uhr sowie nach telefonischer Vereinbarung (Telefon: 25491311).

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