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Katastrophe Krankenhaus

■ In Ost-Berlin verwalten ÄrztInnen und PflegerInnen unter unzumutbaren Zuständen die Dauerkrise / Nachwuchs-Mediziner bringen keine Entlastung / „Sehenden Auges laufen wir ins Risiko“

„Das einzige, was wir nicht brauchen, sind Ärzte aus dem Westen, die zur Weiterbildung zu uns kommen!“ Damit spricht Hartmut Pahlig, Chefarzt der chirurgischen Klinik im Städtischen Krankenhaus Friedrichshain, das aus, was viele Ostberliner ÄrztInnen denken: Mit Skepsis betrachten sie die Initiative der Westberliner Ärztekammer, die rund hundert arbeitslosen West-Ärzten inzwischen ermöglicht, ihre Facharztausbildung „drüben“ fortzusetzen. Das Programm findet im Rahmen eines Kooperationsvertrages mit den DDR -Gesundheitsbehörden statt und wird unterstützt durch eine Qualifizierungsbeihilfe des Berliner Senats in Höhe von 1,14 Mio. Mark. Doch bereits jetzt wird deutlich, daß damit der wirklichen Katastrophe der DDR-Krankenhausversorgung in keinster Weise begegnet werden kann.

Eine der West-ÄrztInnen aus dem Kooperationsprogramm ist die 37jährige Eva Lange (Name geändert, Name ist der Redaktion bekannt, d. Red.), die am 1. Februar in einem Krankenhaus am Rande der „Hauptstadt“ ihre Weiterbildung zur Kinderärztin angetreten hat. Mit einer „Mischung aus Stolz und Peinlichkeit“ wurde sie dort aufgenommen: stolz, weil der medizinische Standard in der DDR trotz aller Schwierigkeiten sehr hoch ist.

Viele Schwestern haben die Koffer gepackt

Die vorhandenen Erfolge können jedoch nicht mehr darüber hinweg täuschen, daß das Gesundheitswesen in der DDR mehr und mehr auf verlorenem Posten steht: Das Fundament bricht weg, es sind weniger die fehlenden Ärzte als vielmehr die in den Westen strömenden Pflegekräfte, die dem DDR -Gesundheitswesen einen entscheidenden Schlag versetzen. Die Folge: Die Stationen arbeiten mit Minimalbesetzung und - so spürt es Eva Lange bei Gesprächen am Mittagstisch - immer mehr Schwestern sitzen bereits auf gepackten Koffern. Ein Teufelskreis, denn an Arbeitsmöglichkeiten mangelt es im Westen nicht: Aufgrund des auch hier herrschenden Pflegenotstands sind die Schwestern aus der DDR heiß begehrt. Ihnen fehlt meist nur noch die Wohnung, eine Stelle finden sie innerhalb von wenigen Tagen. Da nutzen auch die Appelle von Gesundheitssenatorin Ingrid Stahmer, möglichst keine Pflegekräfte aus der DDR mehr einzustellen, nur wenig. Das DDR-Gesundheitswesen geht immer weiter in die Knie.

Bettenreduktion ist vielerorts die Folge, damit die verbliebenen Schwestern die Arbeit überhaupt noch schaffen. „Auch wenn bislang noch nichts passiert ist“, gibt der ärztliche Direktor des Krankenhauses Friedrichshain, Joachim Berndt, zu bedenken, „der Schwesternmangel bringt uns in qualitative Not!“ In seinem Krankenhaus sind von 600 Planstellen im Pflegebereich mittlerweile 100 nicht mehr besetzt, durch Krankheit, Schwangerschaft und Urlaub fallen in der Regel noch einmal weitere 100 Pflegekräfte aus. Die „übriggebliebene“ Schwesternschaft, durch jahrelange Mangelwirtschaft im Improvisieren geübt, ist nun nicht mehr bereit, Kompromisse noch länger hinzunehmen. „Die politischen Veränderungen passieren rasend schnell“, beschreibt Berndt das derzeitige Dilemma, „doch für den Einzelnen sind Erleichterungen nicht spürbar.“ Um so mehr steigt die Ungeduld, das Klima ist härter, die Forderungen werden zunehmend unnachgiebig.

„Bei jedem Kind, das stirbt...“

Auf Unmut stoßen vor allem die katastrophalen Rahmenbedingungen, die Arbeits- und Therapiemöglichkeiten unverantwortlich einschnüren: Es fehlt an allen Ecken und Kanten, angefangen bei der Wäsche, über unzureichende Transportmöglichkeiten und dringend erforderliche Räumlichkeiten, bis hin zu Medikamenten, Material und medizinischen Geräten. „Bei jedem Kind, das stirbt, fragen wir uns, ob es mit entsprechenden modernen Geräten nicht hätte überleben können“, beschreibt Prof. Schneeweiß, Chefarzt der Friedrichshainer Kinderklinik, die tägliche Anspannung. Sein Kollege Pahlig kann ihm nur beipflichten: „Sehenden Auges laufen wir in ein therapeutisches Risiko nach dem anderen, ich weiß nicht, wie lange wir das noch verantworten können!“ Allein die technische Grundausrüstung in den Operationssälen - vier der insgesamt sieben Säle wurden wegen Kündigung von qualifizierten OP-Schwestern bereits geschlossen - ist eigentlich schon seit 1982 nicht mehr voll funktionstüchtig. Das schwere Röntgengerät besteht aus drei zusammengebastelten Teilen, die bei Bedarf vom Personal hin- und hergeschoben werden. Bei diesen permanenten Erschütterungen leidet das Gerät, die Bilder werden unscharf.

Blut im Westen bringt harte D-Mark

Lassen sie eine Blutung erkennen, wird ein weiteres Problem offenbar: Blutersatz ist in Ost-Berlin so gut wie nicht mehr vorhanden: „Die Blutspender gehen nach West-Berlin, weil sie dort DM dafür bekommen“, schimpft der chirurgische Oberarzt Joachim Schmidt, „sollen wir ihnen die Patienten vielleicht hinterherschicken?“ (nein, den 'spendern‘ im krankheitsfalle eine behandlung in ddr-krankenhäusern verweigern. sezza) Eine Alternative wäre es, den Kranken bereits vor der Operation Blut abzunehmen, um es hinterher als Konserve wieder zuführen zu können - „doch dafür brauchen wir Stabilisatorlösungen, Flaschen und Plastikboxen, und die werden nicht importiert!“ Hinzu kommen die unzureichenden Möglichkeiten der postoperativen Versorgung: Für die 300 Betten umfassende chirurgische Klinik stehen nur acht Plätze auf der Überwachungsstation zur Verfügung. Eine zweite Wachstation wurde zwar bereits im Frühjahr 1989 bewilligt, mit der Fertigstellung ist jedoch nicht vor Ende 1990 zu rechnen.

Überall Mangel

überall Müll

Bis dahin ist der linke Flügel des chirurgischen Bettenhauses eine einzige Baustelle und gleichzeitg Abladeplatz für den Klinikmüll. Der nämlich ziert jeden freien Platz im Krankenhaus - er wird nur einmal pro Tag abgeholt, und Abstellräume gibt es nicht. Und wo das eine, der Müll, überfließt, tritt der Mangel an alltäglichen Gebrauchsgegenständen noch deutlicher zutage: Ein Blick ins Materialanforderungsbuch beweist es - alle paar Zeilen prangt der Stempel: Nicht am Lager. In der Praxis heißt das: Gummihandschuhe werden so lange ausgewaschen, bis das Material brüchig ist, Einmalmaterial ist mehr als dürftig. In der Desinfektionslösung liegen Glasspritzen zusammen mit tausendfach genutzten Metallkanülen. Auf dem Flur steht ein Inhalationsgerät aus den 50er Jahren. Ungefähr genauso alt ist der Aufgabenkatalog des medizinischen Personals: „Wenn Schwestern und Ärzte nicht alles machen, dreht sich hier kein Rad“, kommentiert Oberschwester Christa das Fehlen von weiteren Hilfskräften. Die Folge: Putzen, Abfall wegbringen und Patienten transportieren müssen die Pflegekräfte und Ärzte selber. Diese Zeit fehlt wiederum den Patienten. Die jedoch akzeptieren die momentane Situation meist widerspruchslos - denn auch wenn das Krankenhaus Friedrichshain stellvertretend für viele der 28 Ostberliner Krankenhäuser steht, wissen sie doch, daß die ärztliche Versorgung in der „Hauptstadt“ relativ gut ist. Ost-Berlin war schon immer das Traumziel vieler MedizinstudentInnen, entsprechend gering ist der Bedarf an West-Ärzten. Nur etwa 20 konnten bislang unterkommen, sowohl in der Charite wie auch im Krankenhaus Friedrichshain und in der Klinik am Prenzlauer Berg ist das Ärztekollektiv „voll abgesättigt“.

West-Ärztin hilft für 1.100 Ostmark

Die 27jährige Westberlinerin Katrin Paul hat sich deshalb erst gar nicht in der „Hauptstadt“ beworben und macht ihren „Arzt im Praktikum“ (AIP) jetzt 120 Kilometer weit entfernt

-im Kreiskrankenhaus Stendal. Genauso wie Eva Lange verdient sie hier monatlich brutto 1.100 Ostmark, genauso wie ihre Kollegin muß auch sie erst einmal lernen, mit weit weniger Mitteln auszukommen, genauso wie Eva Lange hatte auch Katrin Paul nach westlichen Erfahrungen das erste Mal das Gefühl, willkommen und gebraucht zu sein.

„Gut gemeint, aber...“

Hilfe hat das Gesundheitswesen in der ganzen DDR tatsächlich bitter nötig. Doch fehlt es an Fachärzten, vor allem am Bereich Anästhesie, aber weniger an Medizinern, die während ihrer Weiterbildung noch weitere Kapazitäten binden. Es fehlt an qualifizierten Pflegekräften, an Ersatzteilen für vorhandene Geräte und an kontinuierlichen Lieferungen von Medikamenten und Einmalmaterialien. Und so läßt sich Katrin Pauls Kritik an den vereinzelt eintrudelnden Spenden auch auf die Initiative der Westberliner Ärztekammer übertragen: „Es ist gut gemeint, aber es geschieht vielfach, ohne darüber nachzudenken und sich zu erkundigen, was tatsächlich gebraucht wird.“ (Siehe auch Kommentar S. 25)

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