: Eine strahlende Zukunft für die DDR
Neuer Energieplan gestern im Wirtschaftskabinett der DDR beraten / Vorliegender Entwurf setzt auf massiven Ausbau der Atomenergie und unverändert hohen Energieverbrauch bis zur Jahrtausendwende / Rauchgasbelastung und Braunkohleeinsatz sollen gedrosselt werden ■ Von Gerd Rosenkranz
Berlin (taz) - Mit der Teilstill legung energieintensiver Produktionszweige, dem massiven Ausbau der Atomkraft, einem erheblich verstärkten Einsatz von Erdgas und einer effizienteren Energieanwendung will sich die DDR bis zum Jahr 2000 aus der einseitigen Abhängigkeit vom Umweltkiller Braunkohle befreien. Die mit Spannung erwartete „Konzeption für eine neue Energiepolitik der DDR“ stellte der Minister für Schwerindustrie, Singhuber, gestern im DDR-Wirtschaftskabinett zur Diskussion. Singhubers Thesen, die wesentlich auf Vorlagen der Generaldirektoren der DDR-Energiekombinate und des Instituts für Energetik in Leipzig basieren, liegen der taz vor.
In den kommenden zehn Jahren soll danach der Gesamtenergiebedarf der DDR-Wirtschaft infolge weitreichender Eingriffe in die Wirtschaftsstruktur erheblich verringert werden. Dabei geht es zuallererst um die „höchstmögliche Reduzierung der Produktion von Karbidacetylen“ im Raum Halle/Leipzig. Weiter soll die Produktion von Zement, Schwefelsäure, Aluminium, Stahl, Chlor und Viskosefasern zurückgefahren und modernisiert werden. Gleichzeitig erwartet Singhuber aber einen erheblich wachsenden Energiehunger der Bevölkerung. Per saldo soll deshalb mit dem Singhuber-Konzept „ein geringfügiger Anstieg des Gebrauchsenergiebedarfes im Zeitraum bis 2000 bei gleichbleibendem Primärenergiebedarf abgedeckt werden“. Erst danach hofft der Minister auf einen Rückgang des Gesamtenergiebedarfs.
Wie ein roter Faden ziehen sich durch die Planungen der DDR -Energiestrategen erhebliche Zuwächse beim Stromverbrauch, die beispielsweise im Wirtschaftssektor dem Trend der allgemeinen Energieeinsparungen massiv entgegenlaufen. Zur Entlastung der Umwelt sollen „elektrotechnologische Produktionsverfahren“ etwa zur Bereitstellung von Prozeßwärme im Bereich der Metallindustrie ausgebaut werden. Die Modernisierung der Volkswirtschaft münde vorrangig in eine „Erhöhung des Elektroenergiebedarfs“. Um den Anteil kohlebeheizter Wohnungen von derzeit 65 auf 45 bis 50 Prozent im Jahr 2000 zu senken, will Singhuber nicht nur die Fernwärmeversorgung ausbauen und mehr mit Erdgas und leichtem Heizöl heizen, sondern auch mit einem stärkeren Einsatz von Strom zur Raumheizung - die denkbar ineffektivste Form - die Stube wärmen.
Dem Strukturwandel bei der Energienutzung stehen entsprechende Änderungen beim sogenannten „Energieträger -Mix“ gegenüber. Die Braunkohleförderung soll von derzeit etwa 300 Millionen Tonnen pro Jahr auf 180 bis 200 Millionen Tonnen im Jahr 2000 abgesenkt werden. Damit werde „den umfassenden Forderungen der Bevölkerung entsprochen, heißt es in dem Thesenpapier. Erkauft wird die Entlastung der Umwelt mit teuren Erdgasimporten und einem massiven Ausbau der Atomenergie.
Bis zur Jahrtausendwende halten die Energieplaner „den Aufbau weiterer Kraftwerkskapazitäten von ca. 7.000 Megawatt im Zeitraum 1990 bis 2000 für erforderlich“. Dazu sei es notwendig „daß die im Bau befindlichen Kernkraftwerkskapazitäten (KKW Greifswald und Stendal) fertiggestellt werden“. Damit stünden zusätzlich 4.700 Megawatt (MW) allein aus Atomkraftwerken zur Verfügung. Offenbar geht Singhuber davon aus, daß in Greifswald im angegebenen Zeitraum vier neue 440-MW-Blöcke und in Stendal drei 1.000-MW-Blöcke ans Netz gehen.
Zwar sei es prinzipiell auch möglich, mehr fossile Brennstoffe (Steinkohle, Erdgas, Heizöl) zu verbrennen oder Strom zu importieren, heißt es in dem Papier. Aus ökonomischer und ökologischer Sicht gebe man jedoch „der Deckung des wachsenden elektrischen Leistungsbedarfes aus Kernkraftwerken den Vorzug“.
Der über die Frage der Atomenergie gespaltenen Bevölkerung versuchen die Energiestrategen ihr Konzept mit einer rasanten Reduktion der Schweldioxid, Stickoxid und Staubemissionen schmackhaft zu machen. Bis zum Jahr 2000 soll die SO2-Belastung landesweit um 70 Prozent zurückgehen, im ökologischen Krisengebiet Halle/Leipzig wird eine Verringerung um zwei Drittel schon 1992 versprochen.
Wie sehr das Ministerium sich den Generaldirektoren der Energiekombinate und dem Institut für Energetik in Leipzig ergeben hat, geht aus den jeweiligen Grundlagenpapieren hervor. Das Institut für Energetik verlangt den Bau von insgesamt zehn 1.300-MW-Reaktorblöcken bis zum Jahr 2010. Als Standorte sind vorgesehen: Greifswald, Stendal, der „Raum Leipzig“ und Dresden.
1.300-MW-Reaktoren, wie sie der DDR-Energieplan vorsieht, werden derzeit in Frankreich und in der Bundesrepublik produziert. Die Reaktorbauer von Siemens/KWU erklärten in der vergangenen Woche, man sei in der Lage, sofort zu liefern. DDR-Minister Singhuber mahnt in seinen Thesen, wegen der langen Bauzeiten seien Entscheidungen über den Ausbau der Atomenergie „möglichst noch im Jahr 1990“ zu treffen. Kommentar Seite 10
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