: BESCHÄDIGT, ABER VISIONÄR
■ Karl-Heinz Schäfer, Sprecher des „Schutzverbunds Künstler der DDR“ über das Brautgeschenk der DDR, den Kulturstaat
taz: Warum gibt es den „Schutzverbund Künstler der DDR“?
Karl-Heinz Schäfer: Wir haben uns zusammengetan - alle Künstlerverbände, die Musiker, die Theaterleute, Film- und Fernsehen, bildende Künstler, Unterhaltungskünstler, Bund der Architekten, aber auch die Akademie der Künste -, weil wir meinen, daß die Gesamtheit aller Berufskünstler sowohl verantwortlich ist für die Bewahrung zweifelloser Kulturwerte dieser Gesellschaft, als auch in der Gesamtheit Betroffener ist das ein historischer Akt, leider unter traurigen Vorzeichen. Diese Einigkeit hätte zu anderer Zeit sicher manches bewirken können.
Wer oder was soll denn geschützt werden?
Wir wollen die Gesellschaft schützen vor dem Ausverkauf der kulturellen Werte, die in diesem Land immer eine große Rolle gespielt haben. Natürlich kann man sich fragen, ob die ein Produkt dieser gewesenen Gesellschaft gewesen sind oder im Widerstand zu ihr errungene Qualitäten. Viele große Künstler sind aus unserem Land hervorgegangen. Diese Werte lassen sich natürlich nicht darstellen als ein Betriebsunfall der gewesenen Verhältnisse, sondern sie sind ihr Bestandteil, und den gilt es zu bewahren.
Eben weil sie neben anderem auch Bestandteil der gewesenen Verhältnisse waren, kann man sie doch nicht pauschal bewahren.
Das muß man im historischen Zusammenhang sehen. Ganz sicher ist die erste Etappe der Kulturentwicklung geprägt gewesen von der Heimkehr der großen Kulturemigranten, die Weltkultur in dieses Land gebracht haben und hier Weltkultur gezeugt haben. Zweitens gehört dazu eine ganze Kette von neuen Künstlern, die im Widerstreit oder im Dialog solche Werte weiterbefördert haben. Das war ja keine engsichtige Kunst, keine Kunst der Mode und der Schickness, keine Marktkunst, die sich Zeit- und Tagesbedürfnissen verpflichtet hat, sondern sie hatte, zumindest was ihre gedankliche Dimension anbetraf, eine humanistische Weltsubstanz: Völkerverständigung, Frieden, soziale Gleichberechtigung. Die große Realismustradition, wenn Sie jetzt nicht das Adjektiv sozialistisch davorsetzen, hat ja auch in diesem Land dazu geführt, daß eine bildende Kunst entstand, die durchaus eigenartige, unverwechselbare Züge hat.
Eine Eigen-Art, die nicht ganz freiwillig war.
Ja und nein. Das, was den Realismus ausmacht - der Mensch im Mittelpunkt, das ist sicher einerseits vom Staat gefordert worden, es ist in widersprüchlichster Weise zur Doktrin erhoben worden, die Entsetzliches bewirkt hat, nicht nur in der künstlerischen Praxis, auch in der Kunstwissenschaft und philosophischen Ausdeutung. Aber es hat eben auch Leistungen auf diesem Gebiet gegeben, die aus einem künstlerischen Bekenntnis entstanden sind.
Wie gehen Sie als Schutzverbund mit den bislang staatskonformen Künstlern um? Gibt es in dieser Richtung überhaupt Diskussionen?
Nein. Wir sind seit der kurzen Zeit unserer Gründung mit praktischen Problemen befaßt und natürlich nicht in der Lage, zu kulturtheoretischen und philosophischen Grundpositionen vorzudringen. Ich glaube, das wird auch nicht unsere Aufgabe für die nächste Zeit sein. Der Schutzverbund mischt sich nicht in die internen Angelegenheiten der angeschlossenen Fachverbände ein. Natürlich sind da auch Leute transportiert worden. Nur, wir versuchen, Motiv und Ergebnis auseinanderzuhalten, wenn wir nach dem kulturellen Wert der Dinge fragen. Damit wir nicht mit Demut in die neuen Verhältnisse gehen, sondern durchaus in dem Bewußtsein, auch etwas geleistet zu haben.
Wir haben einen Text ausgearbeitet, der es wert wäre, noch in letzter Minute ein Volkskammerbeschluß zum Schutz von Kunst und Kultur zu werden. Wir haben ihn Kulturpflichtgesetz genannt, das von der Prämisse ausgeht, daß der sich herausbildende konföderative Staat ein Kulturstaat zu sein hat, der eine Kulturgesellschaft zum Ziel hat, in der die Bürgerinnen und Bürger einen verfassungsrechtlichen Anspruch auf Kunst und Kultur haben. Und zwar sowohl an deren Schaffungsprozessen als an deren Ergebnis. Und wir sehen das - wenn Sie das große Wort gestatten - fast als unsere nationale Aufgabe an. Denn wenn schon auf ökonomischem und ökologischem Gebiet nichts in die Ehe gebracht werden kann, dann doch auf dem Gebiet der Kultur, die immer europäischen Ranges war und zur Weltkultur gehört.
Aber diese Kultur entwickelte sich in einem Reservat, und der von Ihnen eingeforderte Schutz der Künstler und der Kunst erinnert fatal an den Schutz einer vom Aussterben bedrohten Spezies.
Das ist ein falsches Bild. Wir haben uns natürlich nie als ein Reservat verstanden. Durch eine einseitige Informationspolitik ist in der Gesellschaft der Verdacht entstanden, Künstler wären samt und sonders privilegierte Bürger gewesen. Die Einkommensstatistik des Verbands bildender Künstler, dem 6.000 Berufskünstler angehören, besagt dagegen, daß 43 Prozent aller Mitglieder ein monatliches Durchschnittseinkommen von 600 Mark brutto hatten. Natürlich konnten einige Künstler relativ unbeschränkt reisen. Aber Schutz verstehen wir ganz sicher nicht als Schutz vor Abbau von Privilegien.
Der Begriff „Reservat“ meinte die Gesellschaft selbst, die eine geschlossene war und die Künstler bisher beschäftigte und behütete.
Wir haben einmal folgendes gedankliche Modell aufgestellt. Wenn die Künstlerverbände den Anspruch erheben, als gemeinnützige Vereinigungen anerkannt zu werden, und daraus ableiten, daß ihre Grundtätigkeit aus staatlichen Mitteln finanziert wird, dann beruht das auf der Überzeugung, daß Vereinigungen, die Kultur betreiben, gesellschaftlich ebenso wichtig sind wie solche, die Gesundheitspflege betreiben oder Ordnungshüterfunktionen, wie die Polizei etc.
Wir wollen nur verhindern, daß Kultur plötzlich zu einem Anhängsel wird, ausschließlich aus Sponsorentätigkeit lebt, einer Fülle von Zufällen ausgesetzt ist. Wir haben in unserem Verfassungsantrag formuliert, daß bei der Umstrukturierung der Gesellschaft in Richtung Marktwirtschaft soziale, ökologische und kulturelle Kriterien gleichrangige Bedeutung besitzen müssen. Wobei wir unter Kultur mehr verstehen als die Künste und das Zähneputzen.
Müßten nicht aus ökonomischen Gründen Subventionierungen eher abgebaut werden?
Wir wehren uns im Augenblick noch dagegen, das als eine notwendige Wahrheit anzuerkennen. Man muß vielleicht ganz andere Subventionen streichen als die für Kultur. Dieser Staat hat mit seiner Kulturautonomie, seiner kulturellen Machtausübung sicher viel Schaden angerichtet. Aus dieser Tatsache folgt aber doch nicht notwendigerweise, daß der nachfolgende Staat sich aus Kultur zurückziehen kann. Das wäre ein Rückschritt.
Was die Produktion von Künstlern betrifft, kann man dem Staat kein unökonomisches Wirtschaften vorwerfen, indem er Kunst proportional zu Arbeitsplätzen zeugen ließ: 6.000 bildende Berufskünstler in der ganzen DDR.
Nicht jeder Künstler, der Mitglied des Verbandes war, hatte einen gesicherten Arbeitsplatz. Er hatte ein gewisses Auskommen, wobei es horrende soziale Unterschiede gab. Und wenn ich die Zahl heute mit dem real existierenden Auftragsvolumen vergleiche, dann erscheint sie mir unglaublich hoch.
Wer nicht als Berufskünstler vom Verband der bildenden Künstler aufgenommen war, bekam keine legale Arbeitsberechtigung, keine Aufträge, keine Ausstellungsangebote.
Sicher hatten die Verbände auch eine Kontrollfunktion. Die Zulassungsbestimmungen werden übrigens ersatzlos gestrichen werden, in Zukunft kann jeder Bürger mit Kunst - was immer er dafür hält - seinen Lebensunterhalt bestreiten. Er wird dann auch alle Vorteile, die es möglicherweise im Steuerrecht gibt, in Anspruch nehmen können, er wird in bezug auf Honorare keinen anderen Bestimmungen unterliegen als die Verbandsmitglieder. Die Verbände müssen in Zukunft so attraktiv werden, daß die Mitgliedschaft zu einer wirtschaftlich förderlichen Ehre gereicht.
Wie sähe diese attraktivitätsfördernde Tätigkeit in Zukunft aus?
Wenn es Gesetzeswirklichkeit wird, daß die Verbände Mitgestalter sein können bei der Ausarbeitung jedweder Form von Gesetzlichkeit, können sie Einfluß nehmen auf Bedingungen, die künstlerische Produktion möglich machen. Daneben könnten die Verbände, und das wäre völlig neu, Mittel eigenerwirtschaften, indem sie Galerien betreiben, Ausstellungen organisieren, Agenturfunktionen übernehmen, als Herausgeber tätig sind, Atelierhäuser gründen. Auf diese Weise könnten die Verbände auf längere Sicht als Regulativ wirken. Sie könnten Mittler sein in der Beziehungspflege zwischen Künstler und Sponsoren. Sie könnten auch in ihren Landesverbänden Einfluß nehmen auf die Landesregierung. Und das wird nicht mehr auf dem Verordnungswege gehen.
Wenn es keine Zulassungsbestimmungen mehr gibt, wird sich auch der Charakter der Verbände verändern.
Ich weiß zum Beispiel nicht, ob es eine völlige Aufhebung von Bewertung geben sollte, eine völlige „Verdemokratisierung“. Was sicher keine Rolle mehr spielen wird, ist die Frage, ob die eine oder die andere die bessere Kunst sei. Es kann nicht Gegenstand einer zukünftigen Zulassungsbewertung sein, ob jemand tonal oder atonal komponiert. Die Struktur der Kollegien, die wir uns vorstellen, muß die sein, daß über einen atonalen Künstler nicht tonale Sachverständige befinden.
Und welche Rolle spielt das „Volk“ dabei - man kann ja viel befördern, aber wenn der Unterhaltungskünstler nicht konsumiert wird, wenn die Bilder nicht gekauft werden, was dann?
Auftritte ohne Volk, neue Absurditäten wollen wir nicht fördern. Ganz sicher geht der Kunst dieses Landes Publikum verloren. Das erklärt sich daraus, daß viel kulturelle Teilhabe staatlich finanziert worden ist: Wenn die letztendliche Triebkraft des Besuchers vielleicht die Scham war, einen Gratisplatz im Othello zu verschenken.
Die Herausbildung kultureller Bedürfnisse ohne diese Seite der Förderung wird eine große Aufgabe der Verbände, aber auch des Staates sein. Am Ende käme vielleicht ein höheres Kulturbedürfnis heraus, ein freiwilligeres, mehr auf dem Bedürfnis beruhendes Bedürfnis.
Interview: Dorothee Hackenberg
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