: „Die volle Gleichberechtigung muß her“
■ Im türkischen Elternverein diskutierten ImmigrantInnen, PolitikerInnen und Polizei über die Hintergründe des Problems Jugendbanden / Der türkische Berufsverband forderte ein Sofortprogramm wie Hip-Hop-Feten und Graffitiflächen für Jugendliche
Wie groß die Enttäuschung der ImmigrantInnen über die AusländerInnenpolitik des rot-grünen Senats ist wurde am Mittwoch abend bei einer Diskussion im türkischen Elternverein offenbar. Thema der Veranstaltung, zu der Vertreter von AL, SPD, CDU, Polizei, GEW und eines türkischen Berufsverbandes geladen waren, war das Problem „Jugendbanden“.
Einig waren sich die meisten im Saal mit dem Vorsitzenden des türkischen Eltervereins Aydin, darin, daß die Frustration und Aggression ausländischer Jugendlicher auf die mangelnde Integration, das schlechte soziale Umfeld und und die fehlenden kulturellen Entfaltungsmöglichkeiten zurückzuführen ist. Der ausländerpolitische Sprecher der SPD, Barthel, verwahrte sich entschieden dagegen, daß die „Republikaner“ in einer großen Anfrage im Abgeordnetenhaus behauptet hatten, daß nur ausländische Jugendliche in den Banden seien, weil das „nicht stimmt“. Ebenso wie Barthel wollte der sozialpolitische Sprecher der Alternativen Liste, Haberkorn, den Begriff „Bande“ nicht verwenden, weil er so „negativ besetzt“ sei: „Der Begriff Bande“, so Haberkorn, „suggeriert, daß was Kriminelles passiert.“ Der AL-Poltiker fand, daß die Polizei „das Abziehen einer Jacke zu hoch hängt“ wenn dies „im Polizeijargon“ als „Straftat“ verurteilt werde. Haberkorn erntete damit den heftigen Protest der Kriminaldirektorin Karau, die seit kurzem Kripochefin der Direktion V ist. Wenn eine Jacke „in übelster Form“ mit Gewalt „abgezogen“ werde, sei „dies Straßenraub“, stellte Karau klar. Die Kriminaldirektorin beklagte, daß die Polizei in Kreuzberg so „kritisch betrachtet“ werde, äußerte aber „große Hoffung“, daß sich dies ändern werde.
Der CDU Abgeordnete Apel zog sich den Zorn der ImmigrantInnen im Auditorium zu, als er den türkischen Eltern vorwarf, mit für die Schulmisere ihrer Kindern verantwortlich zu sein. Apel hatte aus einem Interview mit dem Vorsitzenden des türkischen Elternvereins Aydan, in der taz vom Mittwoch, Honig gesogen. Auf die Frage wie türkische Eltern auf die Mitgliedschaft ihres Sohnes etwas bei den „SO 36 Boys“ reagierten, hatte Aydan geantwortet: „Die wissen das oft gar nicht. Die Herren Söhne kommen ja oft tagelang nicht nach Hause.“ In den zum Teil sehr emotional geführten Redebeiträgen verwarten sich die ZuhörerInnen entschieden dagegen, daß die ImmigratInnen und deren Kinder für Bandenbildungen verantwortlich seien. Ein junger Türke brachte die Meinung der ZuhörerInnen unter Applaus auf den Punkt als er feststellte: „Politiker und Polizei kämpfen alle gezielt gegen uns.“ Auch der rot-grüne Senat habe den ausländischen Jugendlichen nicht die „Perspektivlosigkeit“ genommen, geschweige denn ihnen das Gefühl gegeben, dazuzugehören. Andere äußerten große Angst vor der kommenden deutschen Einheit: „Die Poltiker sagen wir müssen alle Opfer bringen, auch ich, der ich noch nicht einmal das Recht habe zu wählen“, fragte ein junger Türke.
Dem Türken Baran - er ist Mitglied der GEW-Neukölln - war das „Mitleidsjammere“ seiner Landgenossen jedoch zu viel. Er forderte sie auf, statt zu jammern lieber für das Recht auf „politische Partizipation“ zu kämpfen, schließlich sind wir hier „eine Viertel Million“. Als der Vorsitzende des Psychosozialen Fachkräfte aus der Türkei, Barut, am Ende des Abends mit Lösungsvorschlägen aufwartete, schrieben Barthel und die AusländerInnenbeauftragte John immerhin eifrig mit. Barut forderte als Sofortprogramm, die Hausverbote in den Freizeitheimen für ausländische Jugendliche aufzuheben, Hip -Hop-Feten, Plätze für freies Graffiti und sportliche Wettkämpfe. Langfristig, so Baran, muß die „volle Gleichberechtigung“ her.
plu
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