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Die brüchige „Allianz“ der DDR-Konservativen

Die Allianz für Deutschland ist Wahlkampfverein für den Bundeskanzler / Die Vorsitzenden von DSU und Demokratischem Aufbruch unter heftigem öffentlichem Beschuß  ■  Von Brigitte Fehrle

Berlin (taz) - Der stellvertretende Vorsitzende der DSU, Hubertus Nowack, sagte es mit überraschender Deutlichkeit. Die „Allianz für Deutschland“ sei nur gegründet worden, um dem Bundeskanzler eine „Plattform“ für seine Auftritte im Osten zu verschaffen. Das mit soviel Mühe zwischen Bonn und München ausgehandelte und kurzfristig zusammengeschusterte konservative Wahlkampfbündnis in der DDR ist bloße Fassade. Das personelle Blackout der Führungsspitze offenbart dies eine Woche vor der „Freiheitswahl“ in aller Peinlich keit.

Der Vorsitzende des Demokratischen Aufbruchs, Wolfgang Schnur, hat sich, mit Kreislaufschwäche und vom Stasi -Vorwurf geschlagen, ins Krankenhaus gelegt. Hans-Wilhelm Ebeling, Vorsitzender der Deutschen Sozialen Union, ließ sich am Sonntag abend beim Talk im Turm von Sat1 entschuldigen: Er sei „angeschlagen“, hieß es. Der Pfarrer der Thomasgemeinde in Leipzig mußte sich in der letzten Woche öffentlich dafür rechtfertigen, daß die Türen seiner Kirche vor der Wende für Oppositionelle geschlossen waren. Bleibt derzeit nur noch der stille Lothar de Maiziere, CDU -Mann in Ost-Berlin - schon vor der Wende.

Die CDU-West tat sich von Anfang an schwer mit der Suche nach der Schwesterpartei in der DDR. Auf die CDU-Ost alleine wollte man sich nicht stützen. Als ehemalige Blockpartei war sie zu sehr als Mittäter und Mitläufer des gestürzten Systems angesehen. Eine andere starke konservative Gruppierung aber war nicht in Sicht. Und die Opposition stand zunächst links. Was sich im Süden im rechten Spektrum entwickelte, waren Splittergruppen, vom persönlichen Machtstreben einzelner Dorfmatadoren getragen. Theo Waigel (CSU) war der erste, der aus den Grüppchen in Thüringen und Sachsen ein Bündel schnürte. Ende Januar brachte er elf an einen Tisch - geboren war die DSU. Mit dabei auch der Vorsitzende der damaligen CSU-Sachsen, Hubertus Nowack, und Hans-Wilhelm Ebeling, der eine Organisation mit Namen CSPD (Christlich-Soziale Partei Deutschlands) anführte. Theo Waigel witterte dabei für die CSU die Chance, endlich aus der Enklave Bayern auszubrechen und über den Umweg DDR bundesweit salonfähig zu werden.

Für die CDU blieben die Reste. Die Namensschwester konnte man nicht ignorieren. Und als einzige weitere Organisation, mit der man ein Bündnis zimmern konnte, bot sich der Demokratische Aufbruch mit dem Anwalt Schnur an der Spitze an. Quasi in letzter Minute wurde dann in Leipzig die Allianz für Deutschland festgeklopft. Seitdem tourt der Kanzler mit Ebeling, Schnur und de Maiziere durch die DDR. Und seither ist die Allianz im Aufwind. Nach der Umfrage eines Leipziger Meinungsforschungsinstituts sollen immerhin satte 30 Prozent der DDR-Wahlberechtigten für die Konservativen stimmen, davon allein 20 Prozent für die CDU. Der Demokratische Aufbruch, der nach eigenen Angaben mehr als 55.000 Mitglieder hat, liegt bei nur einem Prozent Stimmen. Schon ist man in der CDU nicht mehr glücklich darüber, daß man den „Aufbruch“ mitschleppen muß. „Die haben doch mehr West-Schreibmaschinen als Mitglieder“, meint ärgerlich ein West-Wahlkampfunterstützer.

Der hohe Prozentsatz an prognostizierten Wählerstimmen für die alte Blockpartei CDU überrascht zunächst, doch die Erklärung ist einfach. Das Volk der DDR wählt im Geiste die West-Parteien. Die Stimmen für die Allianz werden nicht Stimmen für Schnur, Ebeling und de Maiziere sein, sie sind Stimmen für Kohl und Waigel. Der Blick richtet sich nach vorn, und vorn ist die Einheit. In naiver Gläubigkeit an die Segnungen des Westens soll alles möglichst schnell gehen. Das Denken wird solange abgestellt. Was in den Parteiprogrammen drinsteht, interessiert nicht. Als auf dem letzten Parteitag der DSU in der Leipziger Oper die 300 Delegierten das Grundsatzprogramm ihrer Organisation abstimmen sollten, mußte der Vorsitzende Ebeling feststellen, daß es nahezu niemand gelesen hatte. Ebelings Geständnis: „Wir haben es aus den Programmen von CSU und CDU zusammengestellt.“ Das Programm wurde einstimmig (!) verabschiedet.

Das Kalkül aus dem Adenauerhaus ist aufgegangen. Mit Erfolg konnte den DDR-Bürgern klargemacht werden, daß sie die Einheit sofort wollen müssen, und zwar um jeden Preis. Das konservative Wählerpotential in der DDR glaubt, daß nur das westdeutsche Kapital sie retten könne.

In einem internen Strategiepapier aus Bonn wird die Taktik plump offengelegt: „Von daher sind vorerst alle Maßnahmen und Äußerungen zu vermeiden, die eine Stabilisierung der politischen und wirtschaftlichen Lage in der DDR begünstigen“, heißt es da. Der Kanzler war konsequent. Keine Übergangshilfen für die DDR. Und Wirtschaftsminister Haussmann hat Anfang Februar mit geschickten Zahlenspielen den wirtschaftlichen Zusammenbruch der DDR herbeigeredet. Den Bürgern wurde im Wahlkampf eingepeitscht, daß man „für sozialistische Experimente“ der Regierung Modrow kein Geld verschenken werde. Der Warnung vor dem Ausverkauf, wie sie vom Neuen Forum oder auch von Gregor Gysis PDS vorgetragen wird, setzten die West-Politiker ein arrogantes: „Schauen Sie sich doch mal um, was gibt's denn hier noch auszuverkaufen?“ (CSU-Waigel) entgegen. Alle Diskussionen über eine neue gesamtdeutsche Verfassung wurden mit dem Zeitargument rüde abgebügelt.

Schon in den Wahlkampfauftritten der Allianz wird deutlich, daß es das traditionelle Nord-Süd-Gefälle in der Parteienlandschaft auch in der DDR gibt. Als Bundeskanzler Kohl am letzten Freitag in Rostock auftrat, mußte er sich mit Kohlköpfen und faulen Eiern bewerfen lassen. In Leipzig kaum vorstellbar. Die Hochburg der Rechten ist der Süden. Auch die DSU hat die Mehrzahl ihrer Mitglieder in Thüringen und Sachsen. Die CDU macht sich keine Illusion über die Stärke der Sozialdemokraten. Doch trösten sich die Konservativen: Die Partei, die nach dem 18. März regiert, wird für alle negativen Folgen der Einheit verantwortlich gemacht. Ergo: Wer die erste Wahl gewinnt, verliert die zweite.

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