: „Die Mafia ist auf dem Weg nach Osten“
Mit der konservativen Ostpolitik steigen die Chancen für die Mafia, ihr System auf die osteuropäischen Staaten auszudehnen / Das Drogengeschäft wird den Clans zu heiß ■ Aus Palermo Werner Raith
Die Situation ist für die sonst an servile Annäherung gewohnten Bundesrepublikaner ziemlich neu: „Ma lei e tedesco dell'ovest o dell'est?“ fragt der Taxifahrer, der Portier beim Ausfüllen des Anmeldescheins im Hotel, der Verkäufer im Textilgeschäft und sogar mancher Straßenhändler; und noch verwirrender die Reaktion auf die selbstbewußte Antwort, man sei, „natürlich“, Westdeutscher: „Ah“, sagt der Gesprächspartner und verliert sichtbar jedes weitere Interesse am Dialog.
Galt bisher der Mensch aus der „Repubblica federale“ als der wegen seiner Moneten geschätzte Super-Tourist, so muß er plötzlich erleben, daß die Aufmerksamkeit, zumindest hier in Palermo, plötzlich viel mehr den Habenichtsen aus dem Osten gilt. Eine für das mafiaverseuchte Sizilien neue Ader für Arme und Schwache? Mitgefühl, Verständnis für die emporsteigende Demokratie? Oder schiere welthistorische Neugier, wie es unlängst der Korrespondent von 'La Stampa‘ für möglich hielt?
„Mal ganz hypothetisch gefragt...“
„Sollte es so sein, dann interessiert sich zumindest ein großer Teil der Neugierigen nur für einige sehr spezielle Aspekte der Entwicklung: Man bekommt sie heraus, wenn man sich probehalber mal doch für einen „tedesco di berlino-est“ oder „di Dresda“ ausgibt.
Wie denn das nun laufe mit den Krediten des Westens für den Osten, wollen die meisten wissen. Wieviel da zu verdienen sei und ob da eigene Banken gegründet würden, ob man auch italienische Lire oder - rein hypothetisch natürlich, man fragt ja nur mal - gar amerikanische Dollar beisteuern könne; ob es bald größere Aktiengesellschaften geben werde oder zumindest GmbHs, wo man die Teilhaber nicht ausweisen muß - und, vor allem, ob man mit einer größeren Bautätigkeit zu rechnen habe, schließlich seien „wir Italiener ja bekannt für unsere gute Qualität im Hoch- und Tiefbau„; Straßen müßte man doch neue haben, wo jetzt die West-Fabrikate hingeliefert oder gar noch produziert würden. Und daß es an Wohnungen mangele, wisse man ja seit langem - das ganze Arkanum von Spekulation und Ausbeutertricks, wie es Sizilien und Italien seit mehr als vier Jahrzehnten bis zur Perfektion entwickelt hat.
Daß der Appetit auf den Geldfluß von West nach Ost mächtig ist, haben mittlerweile auch Italiens Geldhüter und Mafia -Spezialisten bemerkt. Die Finanzpolizei hat über ihre Konfidenten erfahren, daß sich einzelne Subventionsschwindelexperten - bisher vor allem auf die Akquisition vieler Ecu-Millionen aus EG-Fonds angesetzt einen Batzen von 15 bis 25 Milliarden DM schon bis Mitte der neunziger Jahre aus den Ost-Investitionen herauszuschneiden hoffen.
Da „mag zwar vielleicht einigen Mafiaberatern nach dem Fall der Mauer in Berlin die Phantasie durchgegangen sein“, sagt der Finanzpolizei-General und Antidrogenkoordinator im Innenministerium, Pietro Soggiu, „und vielleicht haben die auch die Sizilien-üblichen Acquisitionshöhen von mitunter 60 Prozent öffentlicher Aufträge zugrundegelegt“. Doch daß „die nicht nur in Höhe von ein paar Dutzend Dollarmillionen absahnen“, hält auch er „für ausgemacht“.
Italiens bekanntester Antimafia-Experte Pino Arlacchi ließ Mitte Februar einen Alarmruf los: „Die Mafia ist auf dem Weg in den Osten.“ Und nicht nur sie: Auch aus Neapel und Calabrien melden die Konsulate der Exostblockstaaten immer mehr Anfragen von Italienern, die sich dort zur Arbeit verdingen wollen; ein Gutteil von ihnen, so ein vertraulicher Bericht der süditalienischen Carabinieri, besteht aus Gesandten wendiger Clans der Camorra oder der süditalienischen „'Ndrangheta“. Sie sollen die besten Anlagemöglichkeiten für „schmutziges“ Kapital sondieren und wie man die dortigen Behörden am besten zum Stillhalten bewegt. „Viel Überzeugungsarbeit werden sie gar nicht leisten müssen“, so Arlacchi zur taz: „Wenn der Westen so weitermacht wie bisher - daß er einerseits mächtigen Konsumappetit bei den dortigen Bürgern weckt, andererseits aber ständig politische Bedingungen stellt, statt beim Aufbau funktionaler Strukturen zu helfen -, dann wird der zuerst graue, dann schwarze und dann durchorganisiert kriminelle Markt nicht lange auf sich warten lassen: Wenn die Gelder über offizielle Kanäle nicht genügend fließen, wenn Konsumgüter nicht auf legale Weise beschafft werden können, wenn die Ausfuhr nationaler Produkte durch illegale Händler profitabel wird, weil der Westen zu hohe Zölle drauflegt, dann kommen die Unterweltprofis zum Zug, und sonst niemand. Sie haben ihre Topfinanzexperten, besitzen effiziente Schmuggelerfahrungen und wissen, wie man Politiker und Administratoren korrumpiert.“
Tatsächlich ist z.B. der Berlin-Reiseverkehr camorristischer und mafioser Zuarbeiter nach Erkenntnis des „Hochkommissariats für den Kampf gegen die organisierte Kriminalität“ in den letzten drei Monaten sprunghaft gestiegen: Die wiedervereinte ehemalige Reichshauptstadt hat seit einigen Wochen dem bisherigen Einfallstor Triest (ebenfalls geteilt, aber früher durchlässiger als Berlin) deutlich den Rang abgelaufen.
„Der Rauschgiftsektor
ist zu heiß geworden“
Zugute kommt den expansionswilligen Organisierten und Dunkelmännern, daß viele Staaten des Westens bis heute der Ausbreitung hochentwickelter krimineller Organisationen relativ untätig zusehen. „Gegen die Wäsche schmutzigen Geldes z.B.“, hatte bereits Anfang 1989 Italiens Notenbankchef Azeglio Ciampi gewarnt, „haben wichtige Länder wie die Bundesrepublik Deutschland und Frankreich noch keinerlei Maßnahmen ergriffen.“ Und selbst wenn sie einmal aufwachen, kommt es nirgendwo zu einer aussichtsreichen Abwehrgesetzgebung gegen die Organisierten als solche. So konzentrieren sich die westlichen Staaten derzeit auf den Kampf gegen Drogen - als vermeintlich umfangreichsten Geschäftsbereich der großen Clans und Gruppen. „Doch genau das genügt nicht“, vermerkt der PCI-Abgeordnete Luciano Violante von der italienischen Antimafiakommission: „Die großen internationalen Clans sind längst dabei, den langsam 'heiß‘ werdenden Sektor Rauschgift anderen Gruppen zu überlassen, speziell solchen aus Südamerika und dem Fernen Osten, und statt dessen andere Profitquellen zügig auszubauen oder neu zu erschließen - so neben dem Subventionsschwindel und dem Bausektor (gerade angesichts der riesigen Ost-West-Bewegungen) auch die Schieberei mit gestohlenen Luxuswaren und Kunstgegenständen.“ Violante tritt daher für eine europaweit abgestimmte Gesetzgebung gegen die organisierte Kriminalität ein.
Die Regierungen sind
anderweitig beschäftigt
Das wird nach den derzeit enorm divergierenden Interessen der europäischen Staaten kaum möglich sein. Großbritannien z.B. will ebenso wie die BRD nur Drogentäter bestrafen, aber kein eigenes Gesetz gegen die organisierte Kriminalität schlechthin und schon gar nicht gegen mitkungelnde Beamte und Politiker erlassen; Italien widmet sich derzeit vor allem der Plage der großen Entführungsbanden, kündigt eine „harte gesetzgeberische Linie“ auf diesem Gebiet an, ohne sie wirklich zu realisieren, und läßt dabei den Kampf gegen die Mafia weitgehend schleifen.
Frankreich hat seine früheren Maßnahmen gegen Großbanken faktisch anulliert; und Österreich „kandidiert offen als Nachfolger für die Schweiz als verschwiegener Bankensitz“ (so der ehemalige Staatsanwalt Paolo Bernasconi aus Lugano, Entdecker der Recycling-Plätze der „Pizza connection“). Dazu kommen die vielen Vorbehalte, die speziell die Linke in verschiedenen Ländern neuen und besonders internationalen Strafnormen entgegenbringt.
Merkwürdigerweise hofft Violante jedoch just hier auf baldige Hilfe: „Es mag paradox klingen. Doch die Linke wird hier sicher noch umdenken - wenn ihr nämlich klar wird, daß bei fehlender gemeinsamer Gesetzgebung am Ende der ganze Kampf in der Grauzone rein operativer und mitunter sogar geheimer Absprachen der Innenminister vollzogen wird - und damit ohne hinreichende öffentliche Kontrolle. Und daß dann genau jener Bereich nicht mit dem Strafgesetz verfolgt wird, der den Organisierten den stärksten Schutz gibt, nämlich der von ihnen dominierte Teil der öffentlichen Verwaltung und der Politiker.“
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