: Klinken putzen für das „Projekt Deutschland“
■ Nach seinem Triumph bei den Wahlen in der DDR will Kanzler Kohl die EG für seine Deutschlandpläne gewinnen
Wenn der Bundeskohl heute in Brüssel mit EG-Chef Delors zusammentrifft, geht es nicht nur um das Placet der EG zur Vergrößerung der BRD, sondern auch darum, aus wessen Topf eine EG-Integration der DDR finanziert werden soll. Kohls Mann in Brüssel, Martin Bangemann, will die EG auf Subventionskurs einschwören. Europas Süden dagegen meint, den Löwenanteil müßte schon die BRD tragen.
Im Europäischen Ring in Brüssel treffen heute zwei ungleiche Kontrahenten aufeinander - der eine eher klein im Wuchs aber als Taktiker gewieft, der andere von mächtiger Statur aber vom Siegestaumel in heimischen Gefilden noch recht mitgenommen. Beiden Politringern geht es um die Neuordnung Europas. Entschieden werden soll jetzt die Frage der Vorzeichen - deutsch oder EG. Delors kämpft dabei nicht nur gegen Kohls Traum vom „Vierten Reich„; es geht dem Präsidenten der EG-Kommission auch darum, Gorbatschow aus dem Europäischen Haus herauszuhalten. Denn beide Alternativvisionen bedrohen sein Ziehkind, die politische Union der EG-Staaten. Allerdings hat er gute Voraussetzungen, zu gewinnen: Schließlich führt er Kohorten von Eurokraten an, die ein gewichtiges Wörtchen mitzureden haben, sowohl beim Ausschluß Resteuropas aus der EG, als auch bei der anstehenden Ausdehnung des Partners im Herzen Europas. Deswegen findet heute der Schaukampf in Brüssel so kurz nach der Volkskammerwahl in der DDR statt. Kohl muß dem Präsidenten der EG-Kommissions seine Zustimmung zum deutschen Vereinigungsprojekt abringen - und die finanzielle Unterstützung.
Denn die EG-Staaten haben mit den Römischen Gründungsverträgen einen Teil ihrer Souveränität an die Zentrale in Brüssel abgetreten. Deshalb bedarf es bei so gravierenden Änderungen wie der Vergrößerung des Territoriums eines Mitgliedsstaates der Zustimmung der anderen Partner und im Prinzip auch der Veränderung der EWG -Verträge. Um den deutschen Einigungsprozeß zu kontrollieren, hatte Mitterrand seinen Mann in der EG -Kommission schon im Februar aktiviert. Delors machte dann auch am Mittwoch noch einmal deutlich, daß ein DDR-Anschluß an die BRD einen Anschluß an die EG impliziert. Das bedeutet, daß alle Aspekte vom Außenhandel bis zur Landwirtschaft, von der Struktur- und Forschungspolitik bis hin zur Umwelt analysiert werden müssen. Bei Spanien und Portugal hat dies sieben Jahre gedauert. Im Falle der DDR könnte sich dies mindestens ebensolange hinziehen, besonders wenn sich Delors mit seiner Position durchsetzt, daß die Erweiterung des EG-Gebiets durch das DDR-Territorium eine Änderung der römischen Gründungsverträge der EG nötig mache.
Territoriumserweiterung
nicht vorgesehen
Dabei ist es für Delors unerheblich, ob die DDR nach Artikel 23 angeschlossen wird oder nach 146 beitritt. Denn generell ist in den Römischen Verträgen der Fall nicht vorgesehen, daß ein Mitgliedsstaat sein Territorium erweitert. Artikel 146 würde die Dinge zwar noch stärker verkomplizieren, weil dann der neue deutsche Staat als Rechtsnachfolger beider deutschen Staaten Mitglied sowohl der östlichen als auch der westlichen Wirtschafts- und Militärbündnisse wäre. Die Anwendung von Artikel 23 hätte andererseits zur Folge, daß auch ein vereintes Deutschland im Ministerrat, im Europaparlament und in den anderen EG-Gremien nicht mehr Gewicht hätte als bislang die Bundesrepublik. Konsequenz: Die Westdeutschen müßten zugunsten der Ostdeutschen etwa ein Drittel ihrer Plätze räumen. Dessen ungeachtet gibt Kohls Mann in Brüssel, Binnenmarktkommissar Martin Bangemann, seit Wochen die Parole aus, daß auch in Brüssel einem Anschluß der DDR an die BRD über Artikel 23 der Vorzug gegeben werde, weil dadurch vermieden werden könnte, daß die EG -Mitgliedschaft des entstehenden Großdeutschlands neu ausgehandelt werden muß.
Daß sich die Deutschen an ihre eingegangenen Verpflichtungen halten, darum sorgen sich die anderen Mitgliedsstaaten, allen voran der französische Präsident Mitterrand. Aber auch die Politiker der kleineren EG-Länder sind beunruhigt: Paradox sei es, wie schnell sich die Deutschen für die deutsch-deutsche Währungsunion entschieden hätten, während sie die sehr viel leichter durchsetzbare Europäische Währungsunion hinauszögern, erklärte der belgische Premierminister Wilfried Martens am Mittwoch. „Es besteht die Gefahr, daß die Gemeinschaft zu einer pan -europäischen Organisation verkommt.“ Die Dänen sehen es ähnlich, und die Länder Südeuropas haben Angst, durch die deutsch-deutschen Planspiele vom erwarteten Entwicklungsboom der EG nach 1992 abgehängt zu werden. Deshalb, so wird allenthalben gefordert, ist bei der Lösung der deutschen Frage eine enge Zusammenarbeit zwischen den deutschen und den EG-Behörden dringend geboten.
Die Regierungen der südlichen EG-Länder wie Griechenland, Spanien und Portugal wollen verhindern, daß die Bonner Regierung die Struktur- und Sozialfonds der EG zugunsten der Sanierung der DDR plündert. Deswegen fordern sie, daß die BRD den Löwenanteil der Kosten für den Anschluß bezahlt. Bangemann hingegen will die EG auf Subventionskurs einschwören: Bis zu 30 Prozent der Kosten solle die EG übernehmen. Schützenhilfe erhielt er am Dienstag vom Präsidenten des Europäischen Rechnungshofs, dem langjährigen CDU-Haushaltsexperten Bernhard Friedmann. Acht Milliarden DM jährlich soll die EG der DDR im Falle der deutschen Einheit an Finanzhilfen zur Verfügung stellen. Damit würde das künftige Deutschland ebensoviel von der EG ausbezahlt bekommen, wie es einzahlt. Delors hatte letzte Woche drei bis vier Milliarden DM jährlich ins Gespräch gebracht. Die EG-Hilfen für den Rest Osteuropas - dieses Jahr eine Milliarde DM und nächstes Jahr 1,6 Mrd. - nehmen sich dagegen kärglich aus. Schon fordern die Südländer, den erst vor zwei Jahren auf 28 Mrd. DM verdoppelten Strukturfonds für die Entwicklung armer Regionen in der EG weiter aufzustocken.
Probleme bereitet auch die Frage der Übergangsfristen für die DDR. Schließlich kann die DDR die vielen EG-Gesetze, die in den letzten 33 Jahren beschlossen wurden, nicht von heute auf morgen übernehmen. Neben den Vorschriften über die Qualität des Trinkwasser, über die Apfelmindestgröße oder Milchquoten bereiten vor allem die Lieferverpflichtungen der DDR an die Sowjetunion Kopfzerbrechen. 40 Prozent der ostdeutschen Exporte gehen in die zerbröselnde Supermacht. Nach einem Zusammengehen der beiden deutschen Staaten wäre Deutschland der wichtigste Handelspartner der Sowjetunion in den Augen der EG-Partner eine unmögliche Bevorzugung der deutschen Industrie.
Angst vor der Deutschmark
Angst befällt auch die Währungsexperten, wenn sie an die Auswirkungen der innerdeutschen Währungsunion auf das Europäische Währungssystem und dessen Integration denken. Und die Londoner Börsianer sehen sich schon nach Frankfurt umziehen: Denn die deutsche Einigung, so befürchten sie, kommt der DM über deren traditionelle Einflußgebiete hinaus zu Gute. Das aber würde die Bundesbank und den Finanzplatz Frankfurt weiter stärken.
Das Europaparlament will am 4.April in einer ganztägigen Plenardebatte seine Position für den EG-Sondergipfel zur deutschen Frage am 28. April in Dublin festlegen. Am 18. April will die Kommission ihre Stellungsnahme zur möglichen Eingliederung der DDR in die EG vorlegen, die dann Grundlage für die Sondersitzung der Außenminister am 21. April sein wird. Bereits letzte Woche hatte der Labour-Abgeordnete Allan John Donnelly, der das eigens eingerichtete DDR -Komitee des Parlaments leitet, einen ersten Zwischenbericht veröffentlicht. Änderung der EG-Gründungsverträge sind danach „technisch gesehen“ wahrscheinlich nicht nötig.
Michael Bullard, Brüssel
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