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Die zeitverz zögerte Eleganz

■ Kaum ist die neueste Kollektion im Angebot, sind die Läden auch schon leergekauft. Und dennoch ist auf den römischen Straßen die neueste Mode selten zu sehen. Fast ist zu vermuten, daß die Mode wie der Wein durch Lagerung erst an Reiz gewinnt.

Aus Rom berichtet

XENIA RAITH.

ie Frage ist: Wo verstecken Roms vielgerühmte elegante Frauen all die mehr oder weniger teuren, doch meist in Rekordzeit - sowohl aus den preiswerten Läden der Via del Corso und der Via Nazionale als auch aus den Nobel-Boutiquen der Via Condotti, Via Frattina oder Via Veneto weggekauften Kleider, Schuhe, Handtaschen und Hüte der neuesten Creation? Zumindest wer sich in Normalgröße einkleiden will, steht oft schon wenige Stunden, nachdem die Dekorateure die jeweils gerade angekommene Kollektion ins Schaufenster gehängt haben, vor einem bedauernden „No, no, non c'e piu la sua misura„. Wohin also verschwinden all die neuen Dinger?

Denn so schnell und umsichtig die Auslagen auf die neuesten Trends aus den Modehäusern in Paris, Mailand und natürlich auch Rom selbst reagieren, so wenig scheint sich die tatsächlich getragene Mode danach zu richten. Auf der Straße sieht die erstaunte Beobachterin allenfalls Gestriges, wenn nicht Vorgestriges, auf Parties und Besuchen ist ebenfalls nur in Ausnahmefällen der Zeitgeist angesagt.

Die Schaufenster von Vievienne, Energie, von Fiorucci, Mimosa oder Max Mara zeigen, wie derzeit a la mode, vor allem zarte, fließende Grau- und Grüntöne - macht nix, die Straße ist geprägt von Rosa und Pink, Jeansblau und Orange - Farben, die man allerdings, als sie vor drei, zwei oder einem Jahr in der vetrine trendsetteten, kaum einmal auf der Straße sah.

Der Gedanke, daß die Läden an den Einkaufszeilen vorwiegend von Touristinnen oder zumindest Rom-Fremden leergekauft werden, zieht nicht - Nachfragen in den Geschäften ergeben, daß die Verkäuferinnen gut zwei Drittel bis drei Viertel an genuine Römerinnen absetzen, zum großen Teil ihnen persönlich bekannte. „Doch außer uns selbst“, sagt eine der Ladenfrauen im Uragano, „trägt wirklich kaum jemand das Zeug, das wir verkaufen, auch tatsächlich in der Saison, in der wir es anbieten“.

asselbe Lamento bei den Schuhen („Grauenhaft, was die durch die Straßen tragen“, so ein Fußbekleider von Casadei), den Handtaschen, den Hüten: „Wenn ich mir Kleidung und Accessoires anschaue, mit denen die hier hereinkommen“, sagt der Kassierer im Taschenfachgeschäft Saif, „dann überkommt mich manchmal das Gefühl, in einer Mode-Diaspora zu leben; selbst wenn sie einmal mit einem modischen Rock oder einer aktuellen Bluse auftauchen - unweigerlich tragen sie dann drüber einen dieser unkleidsamen Paletots, und ganz bestimmt in unpassender Länge“.

Stapeln die Einkaufsfreudigen unter den Römerinnen etwa die Kleider im Schrank, um sie erst dann anzuziehen, wenn sie unmodern sind - oder dient das Überstreifen des Überholten vor allem dazu, sich selbst oder dem Herrn Gemahl den Beweis für die Notwendigkeit neuer Einkäufe vorzuführen? Die Freude, die unsereins im baldigen Hineinschlüpfen ins Neuerworbene verspürt, sie scheint den Römerinnen völlig fremd.

Ein Stück feministischer Verweigerung des Schönseinmüssens? Wohl nicht: Modeschöpfer, vom staatlichen Fernsehen RAI zur Begutachtung des Modebewußtseins italienischer Frauen vor die Kamera geholt, haben zum Beispiel bei den Grünen Parlamentarierinnen - sie stellen die Hälfte der Fraktion „ein durchschnittlich deutlich höheres Modebewußtsein“ gefunden als in den Managerparteien der Republikaner oder der Sozialisten, die immerhin einige Filmgrößen in ihren Reihen vorweisen. Auch bei feministischen Tagungen, so einer der Bewerter, „sehen wir, jedenfalls soweit wir von den Fernsehübertragungen erkennen können, nicht wenige Frauen, die sich an unseren aktuellen Vorschlägen orientieren“.

rstaunlicherweise findet man die neuen Röcke und Blusen, die eleganten Schuhe mit dem letzten Chic dann bei einer Gelegenheit, wo man sie ganz bestimmt nicht erwartet: beim sonntäglichen Spaziergang - am Strand, und zwar vor allem dort, wo es besonders sandig und klumpig ist, wo der Wind die Knöpfe abzureißen droht und die Salzluft die Farben bleicht. Von einem anscheinend unwiderstehlichen Drang getrieben, müssen in Ostia und am Strand von Anzio, an der Nobel-Spiaggia von San Felice Circeo oder am Notabeln-Lido von Sabaudia die neuesten, teuersten Stoffe und empfindlichsten Dessins auf den Leib; mit der Konsequenz, daß die so Ausstaffierte vor Angst um die Wertgegenstände an ihrem Körper kaum zu gehen wagt, wie eine Salzsäure oft eine halbe Stunde steht, bis der männliche Anhang vom Strandfußball, Angeln oder dem Politisieren zurückkehrt und man wieder ins sichere Auto schlüpfen kann.

Der Eindruck trügt wohl nicht, daß dieser Zwang zum Ausführen des Neuen gerade am sonntäglichen Strand allenfalls eine Konzession an den Mann oder Freund ist, den man sonst kaum zu sehen bekommt und dem man die Freude am Zugekauften auch mal zeigen will - oder muß. Dann wird aber alles schnell wieder weggesperrt.

ennoch - in ihren meist ausgetretenen alten Schuhen, in der beliebig zusammengewürfelten Garderobe wirken die Römerinnen alleweil noch elegant und schön. Ich kenne kaum eine Ausländerin, die sich nicht selbst den einfachsten Frauen Roms an Ausstrahlung, Auftreten, Wirkung unterlegen fühlen würde - selbst jenen oft, die man in Deutschland aufgrund ihrer Figur oder der Zusammenstellung ihrer Gewandung mit allerlei despektierlichen Vokabeln belegen würde. „Es liegt“, sagt Gerti, in Italien lebende Kosmetikerin aus München, „eindeutig am Gesicht, dem Blick, den Haaren“.

So wenig Wert die meisten Römerinnen auf stimmige und aktuelle Kleidung legen, soviel bedeutet ihnen ein aufwendiges und in der Regel auch keineswegs dilettantisches Make-up und eine zu ihrem Typ passende (oder diesen erst schaffende) Frisur.

Die Kosmetik-Industrie weiß sie zu nutzen, diese Gesichtspräferenz: Kaum ein Tante-Emma-Laden, kaum ein Zeitungskiosk, keine Tankstelle und kein Supermarkt ohne ein geradezu augenbetäubendes Angebot an Schminkpaletten, Lippenstift- und Pudersortimenten, manche in Abschattierungspackungen zu zehn oder fünfzehn Tönungen derselben Farbe, manche als Tutti-colori-Set, manche in Form eines Schwans, manche als Lilie. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt.

Traurig sehen dabei die Mode-Designer zu - „Wenn es uns gelingen würde, die Schminkfreude von da oben aufs Anziehen umzulenken“, sagte bei der Fernsehsendung über die Parlamentsfrauen einer der Designer, „nicht auszudenken, was wir da verdienen könnten.“

Mag sein. Aber was ginge dann „da oben“, im Gesicht, im Blick alles an Ausstrahlung und wohl auch Selbstbewußtsein verloren.

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