piwik no script img

Auf Zirkus-Rädern zum ABC

■ Artistenkinder lernen bei Siemoneit-Barum in einer rollenden Zirkusschule für dieManege

Osterferien haben sie nicht gehabt, die fünf Kinder der Zirkusschule Siemoneit-Barum, denn ihr Schuljahr hat gerade erst begonnen: Von März bis Dezember müssen die Zirkus-Kids „ran“. Während ihre Eltern als Artisten, Komiker oder Dompteure durch halb Europa ziehen, steht ihnen ein extra eingerichteter Zirkuswagen für den alltäglichen Kleinkrieg mit dem Alphabet und den Grundrechenarten, aber auch für Biologie, Englisch und Musik zur Verfügung. Ausgestattet mit dem typischen Inventar einer Schule, aber eben alles in Miniformat und urgemütlich eingerichtet, finden die Kinder hier Lernbedingungen vor, die so manchen gestandenen Regelschulpädagogen vor Neid erblassen lassen.

Von der ersten Klasse bis zum Hauptschulabschluß unterrichtet hier die Lehrerin Frauke Winterfeld nach geltenden Lehrplänen. Viel Zeit kann sich die Pädagogin für jedeN einzelneN SchülerIn nehmen, sei es der sechsjährige Pole Michael, der erst noch die deutsche Sprache lernen muß, bevor er im nächsten Jahr einge

schult wird oder die 13-jährige Sarah, die zweisprachig englisch-französisch aufgewachsen ist, Deutsch als dritte Sprache bereits blendend beherrscht und die sechste Klasse besucht. Seit dem letzten Jahr findet die rollende Zirkusschule endlich auch kultusministerielle Unterstützung aus Hannover: 3.000 Mark stellt die niedersächsische Bildungsbehörde pro Kind und Jahr für das einzigartige Projekt zur Verfügung. Was fehlt, zahlt der Zirkus.

Angefangen hatte alles mit einer Initiative von Zirkusdirektor Gerd Siemoneit-Barum, als dessen Kinder schulpflichtig wurden: Weder sollten sie im Internat erzogen werden, noch wollte er ihnen einen wöchentlichen Schulwechsel entsprechend den Zirkusstandorten zumuten. Also machte er 1984 eine eigene Privatschule auf, suchte eine Lehrerin und überzeugte in langjähriger Kleinarbeit auch die Bildungsbürokraten von der pädagogischen Notwendigkeit einer regelmäßigen und konstanten Betreuung.

Für die Artistenkinder ist der Schulbesuch kostenlos. Sarah Houke (13) beispielsweise ist seit ihrer Einschulung in der rollenden Schule, Shirley, die Tochter von Don Martinez, der erst in dieser Saison beim Zirkus verpflichtet wurde, ist neu. Der „Bildungsstand“ der Zirkuskinder ist auf dem Niveau entsprechender Regelschulen. Ferien gibt es nicht, der Unterrichtsausfall an Aufbau

tagen wird gnadenlos am Wochenende nachgeholt. Von acht bis eins läuten die Zirkusschulglocken während der Saison, und während der Wintermonate gehen die meisten Kinder noch in die Schulen ihrer Heimatstädte. Tauschen mit Regelschulkindern möchte von den Kindern der Zirkusschule keines, denn alle haben - natürlich - Zirkusblut in ihren Adern. Markus Daschne

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen