: Gentechnologie und Ethik
■ Vortragsreihe der Behindertenverbände gegen die „Qualitätskontrolle menschlichen Lebens“
„Die Anwendung der Gentechnologie in Medizin und Arbeitswelt sind keine Zukunftsmusik, sondern schon Realität“, so Anne Stein vom Paritätischen Wohlfahrtsverband und: „Wir sind alle potentiell Betroffene.“ Auf der gestrigen Pressekonferenz beim Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband wurde eine elfteilige Vortragsreihe vorgestellt. Sie soll die Gefahren des technisch Machbaren und in der Praxis längst Üblichen für Fachleute, Betroffene und Interessierte transparent machen und ein Forum zur Diskussion bieten.
In den letzten Jahren wird immer häufiger über Sterbehilfe bei Alten, Kranken und Unfallopfern diskutiert und Einzelfälle in den Medien sensationslüstern verbraten. Ärzte lassen schwerstbehinderte Säuglinge sterben, Abtreibungen bei zu erwartenden Schädigungen des Embryos werden empfohlen und bis zur 22. Woche durchgeführt. Nobelpreisträger
Samenbanken versprechen die Zucht von Genies, und Arbeitgeber testen die genetische Widerstandskraft gegen unmenschliche Arbeitsbedingungen. Ärzte und Wissenschaftler geben vor, im Sinne der Selbstbestimmung und Lebensqualität zu handeln. Aber wo sind die Grenzen? Ist nicht das Lebensglück des Individuums abhängig von den Bedingungen, die die Gesellschaft für sie bereithält? Solchen Fragen will sich die Veranstaltungsreihe widmen.
Anlaß für dieses Forum ReferentInnen aus der ganzen Republik zu laden, war für den Paritätischen Wohlfahrtsverband, die Lebenshilfe für Geistig Behinderte, die Landesarbeitsgemeinschaft „Hilfe für Behinderte“ und das Paritätische Bildungswerk der Besuch des australischen Ethik -Professors Peter Singer in der Bundesrepublik im letzen Jahr. Singer vertritt in seinem Buch „Praktische Ethik“ die Auffassung, „daß es möglich und not
wendig sei, lebenswertes und lebensunwertes Leben zu unterscheiden und das lebensunwerte zu vernichten.“ Eingeladen hatte die Bundesvereinigung der Lebenshilfe in Marburg. Aufgrund bundesweiter Proteste wurde Singer schließlich ausgeladen und die Veranstaltung abgesagt.
Die Vortragenden aus Medizin und Sozialwissenschaft wenden sich einmütig gegen den Zwang zur Gesundheit und Vollkommenheit und die Bewertung von Menschen nach einer Kosten-Nutzen-Analyse. Die VeranstalterInnen gehen davon aus, daß es gesellschaftliche und politische Aufgabe sein muß, für alle Menschen angemessene Lebensbedigungen zu schaffen. Im ersten Teil der Veranstaltungseihe geht es um die historischen und philosophischen Aspekte. Stichworte aus dem Programm: „Für Lebensrecht und soziale Integration“, „Vom Sozialdarwinismus zur modernen Reproduktionsme
dizin“, „Tödlicher Liberalismus“. Im zweiten Teil der Reihe geht es um die Anwendungsbereiche heute: „Humangenetische Beratung“, „Sterbehilfe“, „Gen-und Reproduktionstechnologien“, „Arbeitswelt“. Anne Stein: „Wir wollen klar machen, daß Eugenik nicht Geschichte ist. Im Faschismus hatte sie eine bestimmte Ausprägung. Tendenzen in Richtung Zucht und Ausmerzung haben durch die neuen Technologien ein anderes Gesicht erhalten.“ Die ReferentInnen sind von den VeranstalterInnen übrigens gebeten worden, kein Fach-Chinesisch zu reden. Für Gehörlose ist ein Gebärden-Dolmetscher engagiert worden. bea
Die Programme liegen in Bibliotheken und Bürgerhäusern aus. Erster Vortrag: Am 19. April um 19.30 Uhr im Bürgerhaus Weserterrassen, Prof. Dr. Georg Feuser: „Für Lebensrecht und soziale Integration - wider die Unvernunft der Euthanasie“.
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