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FLEXIBLER SINNSPENDER

■ Bertoluccis „Die Strategie der Spinne“ im Moviemento

Bevor Bernardo Bertolucci den 165minütigen Monumentallangweiler Der letzte Kaiser drehte, hat er auch mal andere Filme gemacht. Ein selten aufgeführter Bertolucci-Film stammt aus dem internationalen Vatermordjahr 1969. Neben den ödipalen Aspekten behandelt Die Strategie der Spinne die Produktion und Funktion von politischen Märtyrern.

Jede Bewegung braucht ihre Märtyrer. Erst ein totes Mitglied der Bewegung verleiht der Sache die höheren Weihen und die praktische Anschubkraft. Die Christen haben Jesus Christus. Die Nationalsozialisten haben Horst Wessel. Die Anarchisten haben Saccho und Vanzetti. Die APO hat Benno Ohnesorg. Die radikale Linke hat Ulrike Meinhof. Die deutschen Arbeitgeber haben Hans-Martin Schleyer. Die Hausbesetzer haben Klaus-Jürgen Rattay. Nur die neuen BRD -Faschisten haben noch keinen, der für die Sache gestorben ist, weil der Staat sie im großen und ganzen recht pfleglich behandelt. Eventuell kann sich der Brandstifter von Schwandorf jetzt Chancen ausrechnen, zum Märtyrer aller anständigen Deutschen zu werden. Wenn's keine Toten gibt, tut's zur Not auch ein langjähriger Gefängnisaufenthalt.

In Italien haben die toten Kraft- und Sinnspender der jeweiligen Bewegung noch größere Bedeutung als hier. In Rom z.B., wo bis Ende der Siebziger blutige Hau-, Stech- und Schießereien zwischen faschistischen und linksradikalen Gruppen stattfanden, stehen die Namen der auf dem „Feld der Ehre“ gefallenen überall an den Häuserwänden. In den faschistischen Vierteln lebt Kamerad Paolo in den Kämpfen weiter. In den roten Vierteln lebt Genosse Pietro in den Kämpfen weiter. Die Legende wird zur historisch gültigen Wahrheit, und der Tote ist eine permanente Verpflichtung zum Weitermachen. Märtyrer sind ein prima Schmiermittel für die Bewegung.

Dem verehrten Märtyrer steht der verachtete Verräter gegenüber. Es gibt die schlichten Verräter: ideologisch Abtrünnige, die den trauten Kreis verlassen, eher ein Fall für Familienpsychologen (vergleiche Joschka Fischer), und es gibt die realen Schwerstverräter, die Attentatsvorhaben und andere Geheimoperationen ausplaudern. Auch Verräter sind unverzichtbar, denn sie halten die Bewegung zur Wachsamkeit an und festigen den Glauben der Zurückbleibenden. In der Strategie der Spinne geht es um eine Attentatsplanung, einen Verrat, die Aufdeckung des Verrats, die Hinrichtung des Verräters und die Geburt eines Volkshelden.

Die ganze Angelegenheit spielt in Tara, einer kleinen Stadt in Norditalien. Tara ist überzogen mit dem Namen des antifaschistischen Märtyrers Athos Magnani. Es gibt eine Athos-Magnani-Straße, ein Athos-Magnani-Jugendzentrum und einen Athos-Magnani-Platz, auf dem eine Athos-Magnani-Büste steht. Der Sohn des Helden (er heißt wie sein Vater, was sowohl auf die ödipalen Aspekte als auch auf den Wiederholungszwang der Geschichte verweist) kommt in die Stadt und deckt als Geschichtsdetektiv die wahren Ereignisse auf: Zu viert wollte die antifaschistische Zelle von Tara während eines Theaterbesuchs ein Attentat auf den Duce Mussolini verüben (wir befinden uns im Jahr 1936). Doch der spätere Held und Märtyrer verrät den Plan an den Staatsschutz, woraufhin Mussolini den Kulturtermin abbläst. Die anderen drei Genossen der antifaschistischen Zelle entdecken den Verrat und beschließen die Hinrichtung des Abtrünnigen. Doch der will nicht so einfach sterben, sondern stellt sich als funktionsfähiger Märtyrer zur Verfügung. Die Genossen sollen ihn töten, aber so, daß die Faschisten der Tat verdächtigt werden. So wird der Mussolini zugedachte Mordplan am Verräter/Märtyrer erfolgreich ausgetestet. Die Strategie der Spinne kann demnach folgende Resultate vorweisen: Das Attentat wurde ausgeführt, der Verrat gesühnt, dem Volk ein Held geschenkt. Die multifunktionale Strategie wirkt noch über den Tod hinaus. Als der Märtyrersohn alles herausgefunden hat, kapituliert er vor dem toten Vater und verzichtet im objektiven Bewegungsinteresse darauf, die Wahrheit publik zu machen. Das Volk soll seinen Märtyrer behalten.

Dralle

„Strategie der Spinne“ bis 23.Mai um 20 Uhr 45 und vom 24. bis 27.Mai um 21 Uhr 30 im Moviemento.

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