: Matthäus‘ große Inspiration von San Siro
Inter Mailand gewinnt, von einigen bundesdeutschen Gastspielern brav unterstützt, zu Hause gegen Jugoslawien mit 4:1 Auch notorische taz-Nörgler müssen Kapitän Lothar M. und seinen Kompagnons allerhöchste Achtung zollen ■ Aus Mailand Matti Lieske
Bereits in der zweiten Minute des Spieles BRD-Jugoslawien dürfte der deutschen Abwehr ein riesengroßer Stein vom Herzen gefallen sein. Uwe Bein fuhr Dragan Stojkovic, dem jugoslawischen Spielmacher - der somit einer Spezies angehört, die von der FIFA unter Naturschutz gestellt wurde
-mit Macht von hinten in die Waden, Schiedsricher Mikkelsen aber, mit 30 Jahren der jüngste seiner Zunft in Italien, gab lediglich einen simplen Freistoß. Damit war klar, daß der dänische Referee kein Anhänger der vom Weltfußballverband geforderten harten Linie war. Dem von Franz Beckenbauer verlangten „konsequenten Spiel“ stand nichts mehr im Wege.
Die deutschen Abwehrspieler foulten fürderhin immer ungezwungener und herzhafter, vorzugsweise den geplagten Stojkovic, und angesichts solch unhöflicher Behandlung gaben die jugoslawischen Feintechniker ihre anfänglich recht nett anzusehenden Angriffsversuche bald beleidigt auf. Eigentlich wollten sie ja sowieso bloß Unentschieden spielen, hatten sie vorher gesagt, ein Ergebnis, das auch den meisten BRD -Spielern nach eigenem Bekunden völlig gereicht hätte.
Als die jedoch plötzlich, ohne recht zu wissen wieso, immer feldüberlegener wurden, während die Jugoslawen im Angriff eine geradezu schamlose Harmlosigkeit an den Tag legten, dachte sich Lothar Matthäus, daß ein Sieg ja vielleicht auch ganz schön wäre.
Besonders wertvolle Abwehrarbeit hatte Jugoslawiens Trainer Ivica Osim von dem in Udine spielenden Davor Jozic erwartet, da dieser Matthäus und die anderen in Italien tätigen Deutschen am besten kenne. Allzuviele Inter Mailand-Spiele kann Jozic jedoch nicht gesehen haben, sonst hätte er sich wohl kaum derart gröblich hinters Licht führen lassen, wie bei den beiden Toren des BRD-Kapitäns in der 28. Und 65. Minute. Jedesmal ließ Matthäus seinen Gegenspieler schnöde stehen, legte sich den Ball sorgsam und gründlich zurecht und schoß ihn dann flach ins linke Eck.
Das 1:0 geriet kurz in Gefahr, als im Strafraum Vujovic bei seiner einzigen guten Szene ausgiebig und selbst vom Hubschrauber aus noch deutlich sichtbar am Trikot festgehalten wurde. Doch Herr Mikkelsen, der zehn Meter entfernt stand, war gerade mal wieder mit Blindheit geschlagen und ließ weiterspielen.
Alles schien entschieden, als Klinsmann, der vorher nur durch seine perfekte Beherrschung italienischer Unmutsgesten aufgefallen war, in der 39. Minute in eine raffinierte Brehme-Flanke hechtete und das Leder leicht mit dem Kopf streifte. Danach lag er einige Momente am Boden und schaute neugierig umher, wo denn wohl der Ball geblieben sei. Zu seiner großen Überraschung entdeckte er ihn schließlich im Tor, sah noch einmal genau nach, ob es auch wirklich keine Halluzination sei, sprang dann wie vom Affen gebissen auf und vollführte leicht verspätet seine obligatorische Jubelkür.
Angesichts der jämmerlichen Vorstellung der Jugoslawen war das Spiel im Grunde gelaufen, doch in der 55. Minute zeigte Klinsmann, daß er seinerseits nicht sehr viele Spiele von Udine gesehen haben kann. Bei einem Stojkovic-Freistoß bewachte er Jozic zu lax, der köpfte den Anschlußtreffer, machte Klinsmanns Fehler aber wenig später selber wieder gut, indem er Matthäus sein zweites Tor gestattete.
Nachdem Torwart Ivkovic den Ball nach einem Brehme-Schuß zum 4:1 ins eigene Netz gepatscht hatte (71.), weil er Rudi Völler, der unglücklich spielte und vom vielen fruchtlosen Herumrennen sogar noch einen Wadenkrampf bekam, keinen Torerfolg gönnte, war nur noch die Frage interessant, ob der reizbare Stojkovic die Partie ohne Platzverweis überstehen würde.
„Er ist leicht zu provozieren“, hatte Thomas Häßler vorher gesagt, und in der letzen Viertelstunde trottete der Neueinkauf von Olympique Marseille nur noch zornig grummelnd an der rechten Außenlinie entlang, trat ab und zu lustlos nach dem Ball, lustvoller nach den Deutschen, und schimpfte zwischendrin wie ein Rohrspatz auf seine minderbemittelten Kollegen. Erst, als ihn schließlich doch noch ein halbwegs gelungener Paß erreichte und ihm ein nettes Dribbling glückte, war er halbwegs versöhnt, und am Schluß tauschte er sogar das Trikot mit seinem Peiniger Brehme.
Franz Beckenbauer war selbstredend sehr zufrieden mit diesem soliden WM-Auftakt, ließ es sich aber nicht nehmen, sogleich vor den Emiraten und den Kolumbiern zu warnen, „die beide einen ganz anderen Fußball spielen, an den wir uns erst gewöhnen müssen.“ Auch Lothar Matthäus, den das Stadion von San Siro, ebenso wie Brehme, zu einem erstaunlich guten Spiel inspirierte, warnte vor einem eventuellen „blauen Wunder“, und er tat recht daran. Schließlich strahlt allein Kolumbiens Keeper Higuita mehr Torgefährlichkeit aus als das gesamte jugoslawische Team zusammen.
BR DEUTSCHLAND: 1 Bodo Illgner - 5 Klaus Augenthaler - 14 Thomas Berthold, 6 Guido Buchwald - 2 Stefan Reuter, 8 Thomas Häßler (75./7 Littbarski), 10 Lothar Matthäus, 15 Uwe Bein (75./17 Andreas Möller, 3 Andreas Brehme - 9 Rudi Völler, 18 Jürgen Klinsmann
JUGOSLAWIEN: 1 Ivkovic - 6 Jozic - 3 Spasic, 5 Hadzibegic 4 Vulic, 10 Stojkovic, 8 Susic (57./7 Brnovic), 19 Savicevic (57./15 Prosinecki), 13 Katanec, 18 Baljic - 11 Vujovic
Schiedsrichter: Peter Mikkelsen (Dänemark)
Zuschauer: 74.567
Tore: 1:0 Matthäus (29.), 2:0 Klinsmann (40.), 2:1 Jozic (55.), 3:1 Matthäus (63.), 4:1 Brehme (71.)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen