„Warum sollen Frauen die Einheit bezahlen?“

■ Fraueninteressen kommen auch im zweiten Staatsvertrag zu kurz / SPD-Politikerinnen versuchen halbherzig, mehr an sozialer Absicherung festzuschreiben / Ein Gespräch mit der schleswig-holsteinischen Frauenministerin Gisela Böhrk

INTERVIEW

taz:Im ersten Staatsvertrag mit der DDR wurden die Interessen der Frauen kein Stück weit berücksichtigt. Für den zweiten Staatsvertrag sieht es nicht besser aus, wenn es nach den Vorstellungen der Bonner Regierung geht. Was wollen die SPD-Frauen jetzt tun?

Gisela Böhrk: Für die SPD-Frauen sind zwei Punkte von vorrangiger Bedeutung. Das eine ist die Regelung zum Paragraphen 218 beziehungsweise seine Abschaffung. Wir müssen den Weg freimachen für eine gemeinsame, gesamtdeutsche Regelung, die den Schwangerschaftsabbruch nicht mehr unter Strafe stellt und ein Angebot zur Beratung und ein Recht auf Hilfen festschreibt.

Der 218 ist sehr stark in der Diskussion. Aber es gibt ja auch noch andere Punkte. Vor allem die Frage: Was tun gegen die Erwerbslosigkeit von Frauen in der DDR und für ihren Wiedereinstieg?

So wie es aussieht, wird der Staatsvertrag ja eine minimale Lösung sein, um ihn überhaupt in der Kürze der Zeit durchzubringen. Alles was an sozialer Absicherung für Frauen nicht unterzubringen sein wird, muß dann für die gesamtdeutsche Wahl auf die Tagesordnung. Das ist für mich in erster Linie die Notwendigkeit der Abschaffung des 470 -Mark-Gesetzes für Gesamtdeutschland. Die Staatsverträge haben nur solange Geltung, wie es zwei deutsche Staaten gibt. Von daher ist es notwendig, diese Kampagne für die soziale Absicherung von Frauen insbesondere in der DDR jetzt zu führen.

Aber ist es nicht zu wenig? Müssen nicht jetzt schon die Weichen gestellt werden, zum Beispiel mit einer Art frauenpolitischen Präambel, die die Unterstützung und Förderung von Frauen gewährleistet?

Das ist eine rhetorische Frage. Wir SPD-Politikerinnen haben ja über den offenen Brief an die Bundesregierung und über die Möglichkeiten, die wir als Ministerinnen haben, diese Punkte auch so eingebracht. Nur die Mehrheiten sind im Moment so, wie sie sind. Deswegen sage ich, der nächste Schritt wird sein, die soziale Absicherung zum Thema der gesamtdeutschen Wahlen zu machen. Anders wird es nicht gehen, weil die CDU keinerlei Neigung zeigt, die Rechte von Frauen in irgendeiner Weise abzusichern.

Sie haben nun in Ihrem offenen Brief eine sehr pflaumenweiche Formulierung benutzt und lediglich Ihre Mitwirkung bei frauenpolitischen Belangen angeboten. Muß da nicht mehr passieren? Die SPD hat ja die Mehrheit im Bundesrat. Können da nicht die vielen Frauenpolitikerinnen der SPD massiv Druck machen?

Das tun wir auch. Wir haben eine Reihe von gemeinsamen Sitzungen, um das hinzubekommen. Es gibt eine gemeinsame Initiative der Arbeitsminister aus dem Saarland, Hamburg, Schleswig-Holstein, um die geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse insgesamt abzuschaffen. Das läuft in den entsprechenden Länderausschüssen. Nur die Konstruktion des Staatsvertrages wird so sein, daß auf Grund der jetzt eingeleiteten Problempunkte - Stichwort „Fünf Prozent“ und „Beitritt vor oder nach der Wahl“, diese sozialen Belange wieder in den Hintergrund geraten. Das bedaure ich sehr. Aber ich nehme das auch nicht so hin. Wir wollen das Mögliche tun, um die drei Punkte, die wir auch in dem offenen Brief hervorgehoben haben, festzuschreiben: also 470-Mark-Gesetz, Sicherung der Kindergärten und anteilige beziehungsweise totale Beteiligung von Frauen an den Qualifizierungsmaßnahmen. Das haben wir auch anhand unserer Beteiligungsmöglichkeit über die Staatskanzleien bereits eingebracht.

Jetzt wird aber natürlich gerade bei der Frage der Kinderbetreuungsmöglichkeiten ein Aufschrei kommen: Wieviel das kosten wird! Wie sind Sie darauf vorbereitet?

Die deutsche Einigung kostet. Und die Kosten der deutschen Einigung dürfen nicht dort halt machen, wo es um Frauen geht. Frauen sind mehr als die Hälfte der Bevölkerung, und sie haben ein Recht auf ein selbstgestaltetes Leben mit Erwerbstätigkeit und mit vernünftigen Kinderbetreuungseinrichtungen. Und es ist überhaupt nicht einsehbar, daß die deutsche Einheit von den Frauen bezahlt werden soll.

Interview: Helga Lukoschat