: Praxis Dr. med. Fischdick: „sozial geführt“
■ Arzthelferinnen in Bremerhaven wagten es, einen Betriebsrat zu gründen / Chef schrieb Kündigungen
Dr. med. Gerhard Fischdick hat eine Praxis als Orthopäde in Bremerhaven. Der junge Kleinbetrieb floriert. 150 bis 200 PatientInnen laufen pro Tag durch. Fünf Arzthelferinnen und eine Reinigungskraft haben gut zu tun. Und Dr. Fischdicks Frau, die in der Praxis „jeden Nagel kennt“, ist davon überzeugt: „Wir sind eine sozial geführte Praxis.“ Der Beweis, den sie gleich zweimal anführt: „Wir haben einen Betriebsaussflug zu Cats nach Hamburg gemacht. Das hat mit Abendessen, Übernachtung und Frühstück im Hotel Elysee 3.500 Mark gekostet.“
Doch in dem Kleinbetrieb ist der Arbeitsfrieden dahin. Der Anlaß: Die fünf Arzthelferinnen hatten beschlossen, einen Betriebsrat zu wählen. Sie waren es leid gewesen, ihr Gehalt (1.200 Mark netto im ersten Jahr) nie pünktlich zu bekommen. Sie wollten sich dagegen wehren, sich den für sie ungünstigen Praxisurlaub vom Doktor vorschreiben lassen zu müssen. Sie wollten sich das Recht erhalten, ihre monatlichen Überstunden abzufeiern.
Als der Chef es Anfang des Jahres einer Arzthelferin strikt untersagte, ihren Urlaub durch einen Abfeiertag zu verlängern, stand die Entscheidung der Kolleginnen fest. Die Frauen bildeten einen Wahlvorstand. Sie wollten von dem ArbeitnehmerInnen-Recht Gebrauch machen, das es gestattet, in Betrieben mit mindestens fünf Beschäftigten einen Betriebsrat zu wählen. Ein Novum in Bremerhaven. Eine der fünf: „Wir wollten uns absichern. Wir wollten keinen Aufstand in der Praxis machen.“ Den Aufstand probte jedoch der Chef. ÖTV-Sekretärin Karin Schwendler: „Die Beschäftigten wurden einzeln zum Arbeitgeber hereingerufen, und es wurde mit Kündigung gedroht.“ Bald erhielt die erste Kollegin die angedrohte Kündigung. Fristlos. Da sie als Mitglied des Wahlvorstandes Kündigungsschutz genoß, ging sie mit Hilfe der Gewerkschaft ÖTV (Öffentlicher Dienst, Transport, Verkehr) vors Arbeitsgericht. Zwei weitere Kolleginnen, darunter die Reinigungskraft, ließen sich dagegen auf einen Handel mit dem Herrn Doktor ein. Sie erschienen nicht mehr in der Praxis, hatten jedoch, so die ÖTV-Sekretärin, die Zusage bekommen, nach Beendigung der Streitigkeiten zurückkommen zu können. Die ÖTV-Sekretärin in ihrer Pressemitteilung: „Hiermit wollte der Arbeitgeber erreichen, daß die Zahl der Beschäftigten auf unter fünf Personen sinkt, denn dann kann kein Betriebsrat gewählt werden. Es handelt sich hierbei eindeutig um den Versuch der Wahlbehinderung.“
Inzwischen hatte Dr. med Fischdick nur noch drei Arzthelferinnen, die aber ihr Vorhaben „durchzogen“ und Ende Juni eine aus ihrem Kreis zur Betriebsrätin machten. Doch zehn Minuten nach der Bekanntgabe des Ergebnisses hatten zwei der drei verbliebenen Arzthelferinnen, darunter die frisch gekürte Betriebsrätin, ebenfalls die Kündigung in Händen. Die dritte und bis dato ungekündigte Kollegin beschloß inzwischen, von selbst zu gehen.
Bis zum 30.9. dauern die Arbeitsverhältnisse in jedem Fall an. Über alles weitere entscheidet das Arbeitsgericht. Das Arbeitsklima bei Dr. Fischdick beschreibt eine Kollegin so: „Er macht für jeden Kram Terror.“ Dr. Fischdick habe einer Kollegin angedroht, sie vor den Patienten anzuschreien, wenn sie nicht nachgebe. Er kontrolliere ständig die Diagnoseblätter auf Fehler hin. Habe eine Kollegin die Schreibarbeit unterbrechen müssen, deute er ein halb ausgefülltes Diagnoseblatt als Versagen und kopiere das vermeintliche Beweisstück. Sein Anwalt habe ihnen dringend geraten, Abfindungen zu akzeptieren. „Er sagte, es wäre besser, wenn wir alle gehen würden.“
Dr. Gerhard Fischbach will sich zu diesen unschönen Dingen nicht äußern. Er verweist auf seine Frau. Und die beteuert mit sanfter Stimme: „Wir sind eine sozial geführte Praxis. Wir haben die Betriebsratswahl nicht behindert. Wir fechten die Wahl gerichtlich an, weil zu wenige gewählt haben.“
Barbara Debus
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