: Giftgasvariante ad acta
■ Krankheiten im Thüringischen: Altlast der faschistischen Wehrmacht oder Neulast
Von Antje Kring
Das Rätselraten hält an. Das Gruselstück, das gegenwärtig begleitet von Blitzlicht und Mikrofongerangel deutsch -deutscher Journaillen - im thüringschen Klängeler Forst gegeben wird, erhält seinen Titel erst im letzten Akt.
Und dessen Ansetzung steht noch aus. Zunächst tastete man sich am Dienstag dieser Woche an das heikelste Kapitel der Umweltstory heran. Die Vermutung, die geheimnisvollen Krankheitsbilder in den Gemeinden Serba/Trotz und Klängel seien gar auf Altbestände vergrabenen Kampfgases zurückzuführen, steigerte das Medieninteresse und ließ nun eine Untersuchungskommission des Abrüstungs- und Verteidigungsminsteriums anrücken.
Im Autotroß fahren auch wir erneut in den Forst (taz berichtete bereits von den Geschehnissen am Montag). Hier liegt in stiller Abgeschiedenheit ein Rennrundkurs, auf dem noch jüngst DDR-Radsportler trainierten. In unmittelbarer Nähe befinden sich aber ebenso die Überreste einer Munitionsfabrik der faschistischen Wehrmacht. Selbige „Muna“ wurde am Ende des Zweiten Weltkrieges von den Amerikanern gesprengt. Im Zusammenhang mit den seit Jahren in dieser Gegend auftretenden Hauterkrankungen befruchtete die „Muna“ die Vision einer unterirdischen Gasdeponie. Bekannt ist, daß die faschistische Wehrmacht Kampfstoffe produzierte, zu denen das gefährliche Sarin, das Nervengas Tabun und verschiedene hautschädigende Stickstoff- und Schwefelloste zählen.
Wo diese Produktionsstätten waren, sei, wie Oberst Büttner beim Lokaltermin im Klängeler Forst versichert, „im großen und ganzen“ bekannt. Er räumt ein, „daß es nicht auszuschließen ist, daß immer wieder irgendwo Stätten auftauchen, wo in letzter Hektik eine solche Produktion vergraben wurde.“ Diese Eventualität hat die Bürger im Thüringischen an die Schmerzgrenze der Angst und das Neue Forum Jena mit NVA-Experten an den vermeintlichen Tatort geführt.
Die Wahrheit sickert tröpfchenweise, und der Beobachter wird den Eindruck nicht los, daß sich die Hainspitzer Umweltgeschichte zur Never-Ending-Story mausert. Die Akteure liefern sich heftiges Pro und Kontra. Christine Rudolph, SPD -Volkskammerabgeordnete, ist eilens aus Berlin angereist und übt sich im Bagatellisieren. „Wenn eine Umweltkatastrophe zur Debatte stünde, würden Umweltschützer das längst festgestellt haben. Sie jedoch sprechen von einem außerordentlich ökologisch gesunden Gebiet.“ Hick-Hack um den Stein der Erkenntnis. Eine glückliche Froschpopulation steht im Widerstreit zu Menschen mit Hautexzemen und Übelkeitsanfällen. Fakt ist, bei allem Wenn und Aber, daß von 1.500 Einwohnern des Gebietes bei Jena mehr als 20 Personen über Beschwerden klagen und das seit Jahren. Sicher kann man nicht vorbehaltlos von Massenerscheinungen sprechen, aber wohl von einer ernstzunehmenden Größe.
Vehemente Unterstützungen finden die Anhänger der „alles ist nicht so schlimm„-These durch Erhard Wöllecke, seines Zeichens Geschäftsführer der Thüringer Geflügelhof-GmbH. Sein Betrieb ist als Verwender von Formaldehyd zur Desinfektion sowie als Tarnobjekt für die angenommenen Giftgasbunker in die Schlagzeilen geraten. Die ökonomischen Folgen: Kaufhallen in Gera und Jena stornierten die Abnahme der im KIM produzierten Broiler. „Wir waren gerade dabei, ein neues Marketing zu machen... und dann diese Geschichte“, seufzt der frischgekürte Unternehmer. Umweltsünden fragen halt nicht nach Marktstrategien. Was wirklich hinter den Hainspitzer Vergiftungserscheinungen steckt, wird als schlüssige Antwort erst in Wochen oder Monaten auf dem Tisch liegen. Doch nach Jahren erfolglosen Kampfes der Bürger um die Aufdeckung der Krankheitsursachen ist jetzt endlich Bewegung ins Klängeler Mysterium gekommen. Lawinenartig. Sensationshungrige Journalisten im Gefolge. Vor deren Augen und Kameras an diesem Vormittag zunächst sechs Wasser-, sieben Boden-, zwei Luft- und eine Schlammprobe entlang des Rundkurses entnommen werden. Die Prozedur dauert Stunden. Im mobilen Armeelabor wird eine Wasserprobe im Schnellverfahren analysiert. Hierbei können Giftkonzentrationen nur in äußerst gefährlichen Mengen nachgewiesen werden. Mit jenen war ohnedies nicht zu rechnen. Sonst hätten zweifelsohne die KIM-Hühner längst die Flügel hängen lassen. Nach angespanntem Warten kommt an diesem Dienstag die Entwarnung. Die untersuchte Wasserprobe weist keine erhöhten Giftkonzentrationen auf. Glückliche Fehlanzeige. Die Giftgasversion kann ad acta gelegt werden.
Was sich jedoch an Umweltcocktails in Jahrzehnten auf die Felder und Wiesen der Umgebung ergoß, wird in aufwendigen Feinanalysen jetzt ermittelt. Dabei forscht man nach phosphor-organischen Verbindungen, auch nach DDT. Die entnommenen Proben werden unabhängig voneinander in stationären NVA-Laboren und im Institut für Toxikologie in Leipzig auf umweltbelastende Stoffe untersucht. Die Spurenfahndung nach dem Verursacherprinzip dauert an. Bis in frühestens einer Woche tiefergehende Ergebnisse parat sind, bleibt das Geheimnis um den Klängeler Forst ungeklärt.
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