: Anmache mit „Läscheln und Zwinggern“
■ „Doppelpunkt...“, Sonntag, 26.August, ZDF, um 21.45 Uhr
Besonders reizvoll wird das bundesdeutsche Fernsehen, wenn es sich den kleinen Freuden und großen Problemen unserer Jugend annimmt. Dann liegt der Finger am Puls der Zeit, die Kamera hält voll drauf, und im Mainzer Studio sitzt zu später Stunde eine Handvoll repräsentativer junger Menschen, die ganz locker über ihre Urlaubserlebnisse plaudern.
Ein Hauch von den Diskonächten auf Teneriffa weht über den Bildschirm, und da es um den Zauber zwischenmenschlicher Begegnungen geht, brandet immer wieder jenes verklemmte Gelächter längst vergessener Klassenfeten auf. Der junge deutsche Urlaub ist ein handliches Sixpack aus Sonne, Meer, Einkaufen, Disko, gudder Laune und eben Liebe und so. Da müssen wir gar nichts beschönigen, das sagen wir mal ganz deutlich.
Zum Beispiel der Peter, als cooler Playboy in der Runde breitbeinig hingelümmelt, sein Dialekt eine unwiderstehliche Mischung aus Helmut Kohl und Boris Becker, also der Peter ist „einem Flört nicht abgeneigt“. Na, beugt sich der Moderator lechzend vor, „erzähl‘ doch mal, wie du das machst.“ - „Also, mit Läscheln und Zwinggern.“ Für die Andrea jedoch „ist das 'ne Art von Anmache, auf die ich echt keinen Bock hab‘, ey. Es gab da nämlich eine schwere Enttäuschung in ihrem Leben: Eine Urlaubsbekanntschaft, in die sie wahnsinnig verknallt war und die sie dann auch geheiratet hat. Nun ist sie geschieden und gereift. Das ist ihre wahre Geschichte.
Im Studio wird es plötzlich ganz still, und auch die blonde Schönheit, die hinter dem Moderator hingegossen ist, schaut nun total betroffen drein. Die Isabell findet das auch irgendwie echt schrecklich, „von einem Bett ins andere zu hüpfen, ich meine, da ist doch kein Gefühl mehr dabei“. Ist dem Peter aber ganz egal, der zieht seinen Stiefel jetzt eiskalt durch, also auch mal provokativ formuliert: „Du hast Sonne, Urlaub, Meer, du siehst Fleisch, da kriegste eben Lust.“ Verständnisinniges Gekicher in der Runde. Stimmt eigentlich, muß auch die Isabell zugeben, „im Urlaub schalte ich total ab, da bin ich logger, hab‘ gudde Laune, geh einkaufen..., is ja auch so 'ne Art Flucht aus dem Alltag.“ Und das ist das Stichwort für den Joachim, mit Stirnglatze und Nickelbrille der Intellektuelle des Abends, und der hinterfragt nun mal ganz kritisch: „Was für'n Alltag ist das eigentlich, aus dem wir fliehen müssen?“ Aber den Moderator interessieren mehr die richtigen Bettgeschichten, „wie weit geht so ein Flört eigentlich, so bis zum Knutschen oder wie?“ (hihihihi). Die Flirtprofis halten sich in dieser Frage jedoch vornehm zurück, lassen aber durchblicken, daß schlechterdings alles möglich sei.
Ach ja, „und wie is‘ das denn mit sich Infizieren? Und schreibt ihr euch danach?“ Nö. Wieso auch? Die hingegossene Blondine beginnt allmählich zu gähnen, und der problembewußte Jugendforscher am Bildschirm flippt rüber ins Erste, wo das Drama der jugendlichen Drogensucht am Beispiel der Kinder vom Bahnhof Zoo geschildert wird. Das fängt nämlich auch mit Disko und Flörts an und endet in der minutenlangen Nahaufnahme der geschminkten Junkies. „Du, Detlef, morgen hören wir auf zu drücken.“ Und morgen höre ich auf fernzusehen.
Olga O'Groschen
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