: „Fehler gemacht, aber immer im Volk verankert“
■ Die SPD-Basis in Prenzlauer Berg / Widersprüchliche Lebenswege / Willy Brandt ist „Leitbild“ und „Vaterfigur“ / Mitgliederzahlen sinken
Prenzlauer Berg. Der klobige Thälmann-Kopf starrt finster wie vor einem Jahr auf die abendlich leere Dimitroffstraße. Schräg gegenüber in einer Seitenstraße versammelt sich im „Klub der Werktätigen“ die SPD -Basisgruppe 13 aus Prenzlauer Berg. 15 von ihnen sind heute gekommen. Der Ton ist hier freundlich, die Tagesordnung nicht sonderlich spektakulär: „U-Bahn-Aktion“ zum Wahlkampf, Neues aus dem Stadtbezirks- und dem Stadtparlament, Arbeiterwohlfahrt, Ostberliner Schulverfassung.
Anke Reuther, die Kreisvorsitzende, kommt eine Stunde später aus dem SPD-Büro und schwingt verheißungsvoll einen weißen Regenschirm mit einer kleinen roten Rose am Rand. „Wir haben eine sozialdemokratische Partnerabteilung in Kopenhagen“, freut sie sich. Begeistert berichtet sie von der sozialen Fürsorge, von einem Alterszentrum, „nicht so steril wie bei uns“, von einem Wohngebiet, das bevorzugt Familien mit Kindern aufnehme und altersgerechten Wohnraum anbiete.
An diesem Abend merkt man der 49jährigen Kreisvorsitzenden nicht an, daß sie zur Zeit „von früh um sieben bis abends um elf“ für die SPD auf den Beinen ist, als Ehrenamtliche unbezahlt, im übrigen arbeitslos. Im Januar sind sie und ihr Mann in die SPD eingetreten. Nur das sei nach all den Jahren für sie in Frage gekommen, mit dem Zwiespalt zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten schon in der Familie aufgewachsen.
Forscht man hier nach den Motiven für den Eintritt in die SPD, hat man es sogleich mit den widersprüchlichen Lebenswegen dieser Menschen zu tun. „Ich habe immer versucht, die Dinge zu glauben und die Schwierigkeiten hier als Kinderkrankheiten zu sehen“, gibt Peter Reuther, einer der Kreisschulräte im Stadtbezirk, zu. Als Lehrer für Kunsterziehung und Geschichte habe seine „Lösung von dem Ganzen“ vor zwei Jahren begonnen, als er nach dem Sputnik -Verbot seinen Geschichtsunterricht aufkündigte. Wenn von der DDR überhaupt etwas aufhebenswert sei, dann nur „der soziale Gedanke“.
Marianne Battke, 49 Jahre alt, erinnert sich ihrer Ratlosigkeit, als die erwachsenen Söhne fragten: „Warum wehrt ihr euch nicht?“ Früher Architektin beim Büro für Städtebau, arbeitete sie unter anderem am - damals über Wochen in der Presse bejubelten - Wohngebiet „Ernst-Thälmann-Park“ mit. Die Umstrukturierung brauche jetzt besonders „diejenigen mit Erfahrung“.
Viele betonen die Rolle der SPD als Volkspartei, die, so Reuther, „viele Chancen verpaßt hat, Fehler gemacht hat, die aber immer im Volk verankert war“. Und außer Willy Brandt, „Leitbild“ oder gar „Vaterfigur“, kommen bei dieser Frage immer wieder die Bürgerbewegungen ins Spiel. In Prenzlauer Berg wäre nach den Kommunalwahlen wegen eines Ressortstreits beinahe die geplante Koalition SPD/Bündnis90 geplatzt. Daran, daß sie dennoch zustande kam, hatte - laut der damaligen Aussage der Kreisvorsitzenden - die Parteibasis wesentlichen Anteil. Trotzdem, die SPD sei „die seriösere Partei“, meint der Sprecher Reuthers. Man könne „nicht ewig den Amateurstatus kultivieren“, während PDS und CDU „nicht schlafen“.
Zwei Tage später ist Kreisparteitag im Bezirksamt zunächst geradezu befremdlich diszipliniert, Kandidatennamen werden diktiert, Kreuzchen am Platz gemacht, gezählt wird draußen, während man im Saal zum nächsten Tagesordnungspunkt übergeht. Kontrovers wird es erst, als Giesbert Kühne, Abgeordneter im Bezirksparlament, die Beschlußfähigkeit des Gremiums in Frage stellt. Schließlich seien nur 105 von den 275 Mitgliedern des Stadtbezirks anwesend. Das Präsidium benennt den Kreisparteitag flugs in Kreisdelegiertenkonferenz um, Kühne spricht von „Mauschelei“, was ihm in der Pause schwer vorgeworfen wird, und die Kreisvorsitzende greift ihn wegen seiner „rhetorischen Oppositionshaltung“ an. Die Wogen glätten sich, als Schatzmeister Kurt Lange die Versammelten zur Mehrheit aller Mitglieder erklärt, da „zur Zeit nur 173 bezahlt haben“.
Der Sturm im Wasserglas macht dennoch das Problem deutlich. Auch die Kreisvorsitzende Reuther hat vorhin von der „Mühe“ gesprochen, „die Mitgliederzahl zu halten“. Einige Basisgruppen hätten „große Schwierigkeiten, den Zusammenhalt nicht zu verlieren“. Der aufmüpfige Kühne sieht durchaus einen Zusammenhang zur derzeit praktizierten „großen“ Politik. „Ich sehe nicht, daß die Sozialdemokratie ihre Grundwerte, mit denen wir ja noch vor der Volkskammerwahl angetreten sind, wirklich konsequent vertritt.“ Angegriffen würden doch gerade die Verteidiger dieser Werte, wie die SPD -MinisterInnen Romberg und Hildebrandt. „Und warum gehen wir so auf Distanz zu den Bürgerbewegungen, die doch im wahrsten Sinne des Wortes Volksbewegungen sind?“ Trotzdem bleibe er in der SPD - „weil ich die Grundwerte vertrete“ und weil politische Wirksamkeit nur über parlamentarische Demokratie erreichbar sei.
Anke Reuther sieht das Mitgliederproblem eher durch die Urlaubszeit bedingt. Und auch die Veränderungen in den Betrieben wirken sich aus. „Einerseits müssen wir jetzt den Wahlkampf bewältigen, und andererseits werden viele Leute arbeitslos und haben mit ihren Gängen zum Arbeitsamt zu tun. Im Januar war eine Zettelaktion natürlich etwas anderes als jetzt.“
Susanne Steffen
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