: „Akute Übergangsprobleme“
■ DDR: Regierung demonstriert, daß sie den Zusammenbruch des Agrarmarkts voll im Griff hat / DDR-Waren sollen wieder in die Regale, Landwirte enger mit dem Handel zusammenarbeiten
Erfurt/Berlin (taz) - Die Fleischberge der EG drohen abzugleiten, seitdem sie durch die Überschüsse aus dem DDR -Agrarmarkt in schwindelerregende Höhen wachsen. Aus Protest gegen den Verfall der Fleischpreise haben französische Bauern kurzerhand einen aus der DDR kommenden Viehtransporter gestoppt und Horden von DDR-Rindern vor das Rathaus von Tonnelle, der Heimatstadt des französischen Landwirtschaftsministers Henri Nallet getrieben.
Die DDR-Regierung bemüht sich indessen zu demonstrieren, daß sie den Zusammenbruch der heimischen Landwirtschaft voll im Griff hat - dank des bewährten EG-Krisenmanagements: „Übergangsprobleme“, stellt der Staatssekretär im Landwirtschaftsministerium, Michael Heinemann (CDU), fest. „Akute Anpassungsprobleme“ der DDR-Landwirtschaft diagnostiziert sein Kollege im Bundesministerium, Walter Kittel. Durch den Ruf der deutschen Bauernverbände nach staatlichen Schutzmaßnahmen gegen die „Dumpingpreise“ der DDR-Landwirte fühlt sich die Bundesregierung genötigt, etwas für die Ordnung des DDR-Binnenmarkts zu tun.
Der Lebensmittelhandel in der DDR ist nunmehr fest im Griff von bundesdeutschen Konzernen. Die Spar-Kette kontrolliert laut einer Marktstudie der Frankfurter Unternehmensberater „M+M Eurodata“ ein Drittel des DDR-Marktes, auf Asko -Interbuy und coop entfallen jeweils 15 Prozent. Im DDR -Großhandel beherrschen Spar, Rewe und coop jeweils ein Viertel des Marktes. Dementsprechend wird das Angebot im Osten des Landes zu drei Vierteln von Westimporten bestimmt. Die DDR-Landwirte beginnen Amok zu laufen und verkaufen ihr Vieh zu jedem Preis. Zum Teil wird das Vieh sogar ohne die geforderten veterinäramtlichen Papiere über die Grenze geschafft. Vom niedersächsischen Landwirtschaftsministerium wurde der illegale Import virusverseuchter DDR-Kühe gemeldet
Marktordnung ist also dringend angezeigt. Beliebtes Kriseninstrument für den EG-Agrarmarkt ist der Verkauf von Überschüssen in „Drittländer“. Die großen bundesdeutschen Vieh- und Fleischvermarkter verhandeln vor allem mit der Sowjetunion, Rumänien, der Türkei und dem Orient. Weil aber nicht alles auf den Weltmarkt gekippt werden kann, sollen die verschmähten DDR-Produkte jetzt auch wieder ins Sortiment des DDR-Einzelhandels. Aber als angepaßt an die bewährten Verkaufsstrategien des West-Einzelhandels.
Was das heißt, wurde den Nahrungsmittelherstellern der DDR durch eine „Warenausstellung“ in Erfurt vor Augen geführt. Die Centrale Marketinggesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft (CMA) führte auf einer Messe für den Handel und die Ernährungswirtschaft vor, wie sie das Image der unscheinbaren DDR-Produkte aufpolieren will, so daß sie schließlich ins Blickfeld der marktforschungsermittelten „Hausfrau“ gelangen. Die CMA betreibt auf Basis des Absatzförderungsfond-Gesetzes von 1969 die Vermarktung westdeutscher Agrarprodukte in Konkurrenz zu den klassischen Agrarländern in der EG. Mit dem Werbeslogan „Essen aus Deutschland“, mit dem die CMA versucht zu suggerieren, man könne in deutschen Landen essen wie Gott in Frankreich, wurde in der Ausstellung den Produkten von 130 Betrieben der DDR-Ernährungsindustrie ein liebenswert regionaler, bäuerlicher Touch verliehen: „Spezialitäten aus den Ländern der DDR“.
Die CMA sieht ihre Aufgabe vor allem darin, die Qualitäts und Hygienestandards der BRD auch für DDR-Nahrungsmittel durchzusetzen. Als eine mögliche Form der Qualitätssicherung sieht CMA-Geschäftsführer Antonius Nienhaus die unmittelbare Zusammenarbeit von Handel und Herstellern - aber nicht durch Kapitalbeteiligungen, sondern durch Vertragsanbau. Formell bleiben die landwirtschaftlichen Betriebe dabei selbständig, real verwandeln sie sich Zuliefererbetriebe, denen alle Produktionsbedingungen vorgegeben werden, angefangen bei den Rohstoffen über Anbau- oder Füttungsweise bis hin zur Qualität des Endprodukts.
Die DDR-Ernährungsindustrie hofft ihrerseits auf Kooperationen mit West-Partnern. Auf die Verpackung komme es an, meint der Vorsitzende des neugegründeten Verbandes der DDR-Ernährungsindustrie Hering. Die DDR-Verbraucherin greife dann zu, wenn die Margarine „Rama“ heiße, hoffte der Unternehmer aus der Öl- und Fett-Branche und zeigte sich befriedigt darüber, daß Markenfirmen wie Unilever DDR -Betriebe unter ihre Fittiche nehmen wollen. Denn die rund 3.000 Unternehmen der Ernährungsmittelindustrie setzen heute nur etwa halb soviel um wie vor der Währungsunion. Nach der Einschätzung Herings sind nur etwa 500 bis 600 Betriebe unmittelbar im EG-Markt überlebensfähig. Ungefähr 20 Prozent der Betriebe haben inzwischen feste Westkontakte, im Bereich Öl/Margarine kooperieren schon rund 50 Prozent der Unternehmen mit West-Partnern. Langfristig sind Fusionen geplant, zunächst beschränkt sich die Zusammenarbeit nach Aussage Herings meist darauf, daß die Westpartner den DDR -Unternehmen gebrauchte Maschinen ausleihen.
Das Landwirtschaftsministerium der DDR geht davon aus, daß mittelfristig etwa die Hälfte der 860.000 Beschäftigten in den LPGs ihren Arbeitsplatz verlieren werden. Langfristig sollen nur noch drei Prozent der Erwerbstätigen in der Landwirtschaft beschäftigt sein - heute sind es noch rund zehn Prozent. Alle Hebel der EG-Marktordnungspolitik sollen nun in Bewegung gesetzt werden, um die landwirtschaftliche Produktion herunterzufahren. Durch Vorruhestandsregelungen soll der Abfluß von Arbeitskräften beschleunigt werden, Ackerflächen sollen stillgelegt und aufgeforstet werden, die Aufteilung und Neuordnung der Betriebe soll nicht pauschal unterstützt werden, kündigte Bundeslandwirtschaftsminister Kiechle an, sondern nur wenn die Produktion eingeschränkt wird.
ew
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