Jedem seine Euro-Kapitale

■ Straßburg und Brüssel streiten um Europaparlament

Berlin (taz) — Mit immer härteren Bandagen kämpfen Brüssel und Straßburg um den Standort des Europaparlaments. Nachdem der belgische Premierminister Martens vor einigen Tagen ankündigte, sein Land werde Veto im Ministerrat einlegen, falls die Europarlamentarier nach Straßburg zögen, meldete sich gestern der französische Außenminister Dumas zu Wort: „Jede Verlegung des Parlamentes nach Brüssel werten wir als feindliche Handlung gegen Frankreich.“

Derartig nationalstaatliche Töne auf dem Weg ins einige Europa reichen zurück ins Jahr 1957, als der EWG-Vertrag in Rom unterzeichnet wurde. Der enthält die schwammige Bestimmung, daß die Regierungen der Mitgliedsländer über die Standorte der EG-Gremien entscheiden müssen — und zwar einstimmig.

Damit war der Streit vorprogrammiert, denn immerhin geht es um inzwischen 518 ParlamentarierInnen und ihre weit über 3.000 Mitarbeiter nnen, die derzeit wie ein Wanderzirkus zwischen Straßburg (Plenartagungen), Brüssel (Ausschuß- und Franktionssitzungen) und Luxemburg (Verwaltung) pendeln.

Kein Wunder, daß sowohl Straßburg als auch Brüssel versuchen, die seit 33 Jahren verzögerte Entscheidung zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Zur Taktik gehört auch, daß in Brüssel die Bauarbeiten an den insgesamt 30 Versammlungsräumen, 2.600 Büros und einem Plenarsaal mit 750 Plätzen bereits begonnen haben. In Straßburg liegen bereits Pläne für ein Gebäude mit eben diesen Einrichtungen vor. Nach vorsichtigen Schätzungen müßte das Europaparlament für die neuen Gebäude in Straßburg rund 60 Millionen DM und in Brüssel circa 110 Millionen DM Miete im Jahr zahlen. Derzeit kostet der Unterhalt der drei Standorte jährlich 97 Millionen DM.

Es sieht ganz danach aus, daß die Regierungen sich auch weiterhin vor der kniffeligen Standortentscheidung drücken werden. Den Preis für ihre Unentschiedenheit werden die SteuerzahlerInnen tragen müssen. Und der wird sich, sollten beide Städte ihre Parlamentsgebäude vollenden, in absehbarer Zeit verdoppeln. dora