: Nationale Front spielt Hausmusik
■ Werk-Art — ein soziokulturelles Zentrum in Weißensee
Berlin, die Hauptstadt, war gebaut, für sich und ganz zu sein. Konzentrisch umkreisen Ringstraßen das Zentrum, damals noch verschwenderisch breite Straßen führen hinaus ins Irgendwo. Vor dem Irgendwo liegt Weißensee, und die Zeichen an den Wänden sind schon andere: Rechtsradikale Parolen künden vom Deutschtum: »Weißensee — ausländerfrei«, »Rote raus«. »Jede Einrichtung, die hier auch nur irgendwie links oder intellektuell riecht, muß mit rechtsradikalen Überfällen rechnen«, erzählt ein junger Mann in den Räumen des »soziokulturellen« Zentrums Werk- Art in der Lindenallee.
Im April hatten Beate Lau, Oliver Schulz, Waltraud Hoteschek und Sabine Rocktäschel die ehemaligen Räume der Nationalen Front vom Runden Tisch zugesprochen bekommen. Mit der Vereinigten Linken und dem Neuen Forum hätte man die Räume durchgekämpft, erzählt Oliver Schulz, der unter dem Brookschen Titel Der leere Raum hier Theaterkurse anbietet.
Bei Werk-Art will man den bildnerisch-künstlerischen Bereich besetzen, der von der Volkshochschule außer acht gelassen wird. Unterstützt von Honorarkräften, werden neben Englisch, Französisch, Italienisch und Spanisch Kurse in Malerei, Aktzeichnen, Druckgraphik, Keramik, Textildruck und -gestaltung, Theaterseminare und Literaturzirkel angeboten. Zusätzlich will man die Räume interessierten Gruppen zur Verfügung stellen. Mit verschiedenen anderen Einrichtungen in Weißensee ist man vernetzt; so macht Oliver Schulz seine Theaterarbeit auch in Schulen, geht in Altersheime und Behindertentagesstätten.
Vor Werk-Art steht ein Versicherungsberatungswohnwagen. Daneben malen Kinder oder bauen eine ziemlich dünne Werk-Art-Familie: Vater, Mutter, Kind. Später verlegen sie sich aufs Pflaster. (»Ihr macht ja alles grün — das sieht ja gar nicht gut aus.«) Wenn alles mögliche angemalt ist, kommt der Trabi eines Mitarbeiters dran. Und drinnen wird eröffnet. »Alles Lebendige ist im Werden ...«, zitiert der Theaterpädagoge Schulz Hermann Hesse. Dann spielt eine Geige Bach, ein rotes Kleid tanzt im Sonnenlicht, und es sieht merkwürdig aus, wenn man sich auf die Staubkörnchen in der Luft konzentriert und die Tänzerin, die meist zur Geige — Bach — und manchmal auch ganz lautlos tanzt, beobachtet: Die konzentrierten Gesichter der beiden Mädchen rücken in den Hintergrund, und dahinter, hinter dem Parterrefenster, erscheint ein bebrilltes Lausbubengesicht, das anfangs noch 20 Pfennig für seine Alf-Abziehbildchen haben wollte und sie später umsonst verteilt. Kleinstädtische Ruhe, nur ein paar Meter von der Clement- Gottwald-Allee. Familie Gremda, Oboe, Gitarre, Geige, Bratsche, macht Hausmusik.
Der Bezirksrat für Bildung und Kultur, Klaus Frommknecht, kommt vorbei. Er erzählt, daß 450 in Weißensee im Kulturbereich hauptamtlich beschäftigt sind und daß, wie gewöhnlich, der Personalbestand gekürzt werden müsse: durch »Überleitung« einiger Beschäftigter in die Bereiche Jugend-Familie-Sport oder Soziales oder durch »Überleitung« in den Vorruhestand. Er erzählt, daß tagtäglich Leute kämen, die das Kulturhaus Peter Edel kaufen wollten — das gäbe man nicht her, auch wenn die finanzielle Basis kommunaler Kulturarbeit zumindest ab 1991 nicht gesichert ist. Kultureinrichtungen, die kaum frequentiert würden, werde man schließen müssen. Künstlern oder Kultureinrichtungen rät man, sich nach Sponsoren umzuschauen. Kultursponsoring ist ein Zauberwort, daß einem im Ostteil häufiger begegnet, als wenn sich im Westen Kultur in erster Linie aus dem Sponsorentum finanzieren würde. Es seien jedoch gerade lächerliche zwei Prozent, weiß ein Bildhauer.
Im Osten zumindest sind Eröffnungen, Vernissagen auch Geschichtenbörse. Während Jens mit seiner Band den »Erwachsenen« aufspielt, erzählt ein Ingenieur von Veränderungen: Während man früher bei Vorstellungsgesprächen als Hippie aufkreuzen konnte und nur die Arbeit zählte, so meint er, müsse man sich jetzt fein machen, um überhaupt eine Chance zu haben. Er erzählt auch von der Umsetzung westlicher Prinzipien: So habe der Fabrikleiter irgendwo (wahrscheinlich in 'Konkret‘) gelesen, daß man im Westen zuerst die Frauen mit Kindern, danach die, die bei Versammlungen »das Maul aufreißen«, danach die älteren Arbeiter entlassen würde, und verfährt genauso. Detlef Kuhlbrodt
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