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Dessauer Visionen

Die ehemalige Residenzstadt will ein industrielles Gartenreich gestalten Ökologischer Umbau/ Doch die Planungsrealität sieht ganz anders aus  ■ Von Thomas Bittner

Prinz Eduard von Anhalt, der in München aufgewachsene blaublütige Sprößling der askanischen Herzogsfamilie, kandidiert in Sachsen- Anhalt als Spitzenkandidat der DSU. Die Schwesterpartei der CSU setzt damit zwar etwas plump, aber wahrscheinlich nicht ganz erfolglos auf das Anhaltische im Herzen der WählerInnen zwischen Ballenstedt und Wittenberg.

Die Blütezeit des Musterstaates

Im synthetischen Bundesland Sachsen-Anhalt kann tatsächlich nur das Stammland Anhalt mit seiner Hauptstadt Dessau auf historische Eigenständigkeit verweisen. Das jahrzehntelang verschüttete Bewußtsein, Anhalter zu sein, bricht wieder hervor und treibt nicht selten erstaunliche Blüten. Im Frühjahr kämpften nostalgiebesessene Bürgerinitiativen allen Ernstes mit einer Unterschriftensammlung für die Bildung eines Freistaates Anhalt. Auch der Vorstoß der Dessauer Stadtverwaltung in der Hauptstadtfrage setzt neue Hoffnung für eine Wiederbelebung der Region. Zumindest eins dürfte der Modestadt damit gelungen sein: Der Nachweis, daß die fast vergessene Großstadt ihren Anspruch auf eigenständige Entwicklung mit Selbstbewußtsein einklagen wird. Darin zumindest hat sie eine Tradition, die inzwischen längst verschüttet schien.

Jahrhundertelang trotzte das winzige Herzogtum Anhalt mit seiner Residenzhauptstadt Dessau den Vereinnahmungsversuchen der umliegenden Mächte. In Erinnerung geblieben ist vor allem Fürst Leopold Friedrich Franz, der Ende des 18. Jahrhunderts mit der an Preußen orientierten militaristischen Tradition seines Ländchens brach. Der kunstsinnige Regent holte die Aufklärung nach Anhalt, scharte Landschaftsgestalter und Architekten, Reformpädagogen und Gelehrte um sich. Von den innovativen Ausbrüchen sind heute allein die zweihundert Jahre alten Schlösser und Parks geblieben: der Frühklassizismus des Wörlitzer Schlosses, die englischen Gärten in der Elbaue.

Der Blütezeit des »Musterstaates« folgte im 19. Jahrhundert der Niedergang in die Provinzialität. Von der Geschichte ständig überrollt zu werden, scheint das Schicksal der Dessauer Region zu sein. Der Landstrich krankt an den immer wieder gekappten Traditionslinien. Dem geistigen Verfall folgte in der Gründerzeit des ausgehenden 19. Jahrhunderts zwar ein ökonomischer Aufschwung, der Mitte des 20. Jahrhundert in den weltweit erfolgreichen Dessauer Junkers-Flugzeugbau mündete, doch durch die Perversion der Nazi-Aufrüstung sank dieser Zweig im Frühjahr 1945 in Schutt und Asche. Selbst das Bauhaus, als experimentierfreudige Gestaltungsschule hochgeachtet, konnte nur kurze Zeit mit seiner Weltgeltung der Stadt helfen, weil die 1932 erfolgte Auflösung durch die Faschisten und die sich anschließende Ablehnung durch die Stalinisten für jahrzehntelange Stille sorgten.

Die anhaltische Region ist aus einer idyllischen Flußlandschaft zu einem Industriestandort geworden, der, ökonomisch wenig zukunftsorientiert und ökologisch nicht unbelastet, viel an einstiger Lebensqualität eingebüßt hat. Dessau lebt heute nicht nur geographisch zwischen Extremen, die sich mit Begriffen wie Wörlitzer Park einerseits und Bitterfeld-Wolfen andererseits verbinden.

Dessaus Oberbürgermeister Dr. Jürgen Neubert, einer der Gründer der einstigen DDR-SPD, sieht sich in der Tradition des liberalen Bürgermeisters Fritz Hesse, der in den zwanziger Jahren mit der Einladung des Bauhauses Weimar nach Dessau für neue Impulse in der Stadtentwicklung sorgte. Die drei für die Geschichte der Stadt markanten Entwicklungslinien. — Das Gartenreich der Aufklärung, der Industrieboom des beginnenden 20. Jahrhunderts und die gestalterischen Innovationen des Bauhauses — sollen in einer neuen Synthese zusammengeführt werden: Ein „industrielles Gartenreich“ könnte entstehen.

Autofahren soll nicht gerade verboten werden

Der Begriff und die Idee stammen aus dem Bauhaus, heute „Zentrum für Gestaltung“. Urbanisten, Städtebausoziologen, Architekten und Landschaftsgestalter haben sich im Lauf des vergangenen Jahres eine Vision erarbeitet, die nun in die Köpfe der AnhaltinerInnen getragen werden soll: „Das industrielle Gartenreich ist eine ökologisch umgebaute Industrieregion, die vielfältige Arbeitsplätze in Industrie und Landwirtschaft, Kultur, Bildung und Wissenschaft, Handwerk und Gewerbe bietet, ohne den Reichtum an Natur und Gartenkunst zu gefährden. Das industrielle Gartenreich bietet viele Möglichkeiten für Erholung und sanften Tourismus in historischen Parkanlagen und geschützten Auenlandschaften, in wiedereröffneten Flußbädern und sanierten Seen, in städtischen und wohnungsnahen Freiräumen und vielseitigen Kultureinrichtungen. Das industrielle Gartenreich ist keine Autolandschaft. Autofahren ist erlaubt. Fahrrad-, Bus- beziehungsweise Straßenbahnbenutzung geht jedoch schneller und macht mehr Spaß. Das industrielle Gartenreich ist kein Müllexporteur, sondern ein Pilotprojekt für regionale Recycling-Strategien.“ Der Leitspruch des zweihundert Jahre alten Gartenreiches wird erneut zum Motto eines Strukturwandels: „Das Nützliche mit dem Schönen verbinden.“

Doch schon mehren sich die Anzeichen, daß die Stadtentwicklung nicht dieser schönen Vision einer Kulturlandschaft mit umweltfreundlichen Verkehrskonzept folgt, sondern ganz andere Bahnen nimmt.

So besitzt die ökologisch belastete Stadt kein Umweltdezernat. Der Umweltschutz wird in die Bereiche Wirtschaftsförderung und Kommunalplanung integriert. Nach dem Motto „Ohne Moos nichts los“ kommen die alten Strickmuster zu neuen Ehren. Schon entsteht an der Osteinfahrt Dessaus eine riesige Tankstelle, machen Pläne für eine großzügige Umgehungsstraße durch ein altes Wohngebiet die Runde.

In Vockerode an der Elbe, einem sensiblen Bindeglied zwischen den Parks von Dessau und Wörlitz, drohen neue Gefahren. Hier riß 1936 das Braunkohlenkraftwerk „Elbe“ mit seinen gewaltigen vier Schornsteinen ein Loch in die Kulturlandschaft. Das 400-MW-Kraftwerk pustet jährlich 193.000 Tonnen SO2 in die Umwelt, eine gigantische Zahl, die nicht einmal von den Leuna-Werken überboten wird. Der Stromvertrag des ehemaligen Ministers Steinberg wurde der Westkonzern PreussenElektra AG zu mehr als zwei Dritteln Anteilseigner. Der Stromriese verbindet mit der Ablösung des verschlissenen Kraftwerks gewaltige Pläne. In unmittelbarer Nähe soll ein neues 1.000-MW-Steinkohlekraftwerk die Kulturlandschaft vollends ruinieren.

UmweltschützerInnen gegen Energiegiganten

Petra Stolze, Gemeindevertreterin in Vockerode, macht sich stark gegen den Energiegiganten. Sie will verhindern, daß über 140 Meter hohe Kühltürme mit Durchmessern von 100 Metern die Umgebung dominieren, umgeben von Kohlehalden für 600.000 Tonnen Steinkohle und einem Schüttguthafen, der sich in die unter Naturschutz stehende Flußaue der Elbe fressen soll. Die Hoffnungen der rund 1.000 Beschäftigten des alten Kraftwerks schwinden spätestens mit Blick auf vergleichbare Stromwerke im Westen. Kaum mehr als 200 Angestellte wird PreussenElektra zum Betrieb der Anlage brauchen.

Mit dem Argument Arbeitskräfte will sich ein paar Kilometer weiter ein anderes Projekt beliebt machen. Die „Dessora AG“ will auf dem 4.800 Hektar großen Gelände eines Truppenübungsplatzes der Sowjetarmee bei Oranienbaum einen Industrie-, Gewerbe-, und Freizeitpark errichten. 200 Hektar eines angrenzenden Chemiewerkes sind über die Treuhand bereits zum Quadratmeterpreis von zehn D-Mark an die Aktiengesellschaft verscherbelt worden. Erst versprach man 50.000 Arbeitsplätze, inzwischen ist nur noch von 5.000 die Rede.

Als UmweltschützerInnen von dem Industriegelände und dem Disneyland Wind bekamen, schlugen sie Alarm. Wie wird mit dem angrenzenden Unesco-Biosphärenreservat Mittelelbe umgegangen? Was wird mit den 1.800 Hektar Auenurwald auf dem Gelände? Das Wort „Freizeitpark“ führt zudem in die Irre, idyllisch sind lediglich die Bedingungen für die Investoren: Er würde selbst als Naturgelände in der Größenordnung des bekannten Soltauer Heideparks nur knapp zwei Prozent des Industriegeländes beanspruchen.

Hier wie bei vielen ähnlichen Fällen läuft nichts ohne regionale Zusammenarbeit. Ein Regionalverband wie ihn die Initiatoren des „industriellen Gartenreiches“ anregen, wäre der erste Schritt gegen die sich anbahnende Autarkie der Nachbarkreise. Strukturwandel geht nur gemeinsam oder gar nicht.

Vorbild für die Dessauer Region ist dabei das Ruhrgebiet. Mit der Internationalen Bauaustellung Emscher-Park, einem Projekt der dortigen Landesregierung, haben die Enthusiasten des „industriellen Gartenreiches“ ein Parallelprojekt gefunden. Dort sollen die zum Abwasserkanal verkommene Emscher und deren Uferzone zu neuem Leben erweckt werden. Diese Erfahrungen wollen die Dessauer nutzen. Doch den DessauerInnen fehlt, was in Dortmund und Düsseldorf üblich ist: finanzielle und organisatorische Hilfe. Was den DessauerInnen bleibt, ist ihre selbstformulierte Vision. Und wie bei jeder Vision: am Anfang war das Wort: industrielles Gartenreich.

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