Pinsel sucht Frischfleisch

■ »Weiße Hochzeit« von Jean Claude Brisseau — noch ein französischer Jungmädchen-Altherren-Film

Nein, nein, nein. Es reicht. Nie wieder französische Filme. Schluß, aus, basta. Ich kann diesen Jungmädchenstuß nicht mehr ertragen. Mag ja sein, daß es den Herren Regisseuren in Frankreich eine Herzens- und Schwanzangelegenheit ist, das Jungmädchenthema vom ersten Schamhaarkringel bis in die letzte seelische Verästelung ausführlich zu behandeln. Mag ja sein, daß sie alle (Blier, Brasseur, Brisseau, Doillon, Miller, Rohmer, etc.) Tag und Nacht an junge Mädchen denken und nur drei Dinge vor der Kamera haben wollen: unverbrauchte Möpse, Frischfleisch und kindliche Unschuld.

Mag alles sein. Aber wen um Himmels willen interessiert das eigentlich alles außer zum Beispiel Jacques Doillon, der die begehrte Portion Frischfleisch nicht nur nackt vor die Kamera legte, sondern sich selbst als Hauptdarsteller gleich noch obendrüber. Das ganze heißt Eine Frau mit 15, und es geht darin um eine verführerische Kindsfrau (15), die ihre Reize kalkuliert einsetzt, um den Vater (ca. 45) ihres Freundes zu verführen, damit die sexuelle Liebe zum Sohnemann gefestigt wird. Zu hoffen, diese äußerst schwachsinnige Geschichte wäre Höhe- und Endpunkt der Jungmädchenserie gewesen, war zweifellos absolut wirklichkeitsfremd. Doillon selbst hat noch einmal nachgestoßen. Die Rache einer Frau, sein jüngstes Redewerk, handelt von zwei Frauen, die 133 Minuten lang über einen toten Mann (Ende 40) brabbeln. Ehefrau (Mitte 40) die eine, Geliebte (Mitte 20) die andere. Die Affäre liegt einige Jahre zurück und dürfte damit bestimmt noch die Jungmädchenthematik streifen, von der Doillon aufrichtig besessen ist. So galt in Das kleine Luder seine ganze Aufmerksamkeit einer Elfjährigen.

Natürlich war auch Eine Frau mit 15 nicht das Ende. Danach kam Stille Tage in Clichy, und auch Claude Chabrol mochte nicht auf zwei Beiträge zum Thema verzichten. Zwei Minderjährige posieren erst ausgiebig im Fotoatelier (siehe Filmplakat) und dann im Bett. Das Neueste hat allerdings Jean Claude Brisseau mit Weiße Hochzeit beigesteuert. Matilde (17) ist Schülerin von Fran¿ois (49). Nachdem sie zweimal unbekleidet sein Blickfeld durchquert und der Kamera geschickt ihre Schenkel gezeigt hat, weiß sich der Lehrer nicht anders zu helfen, als sie zu besteigen, was er im Gegensatz zur untenliegenden Matilde prinzipiell in voller Montur erledigt. Die Liebe endet übrigens mit Matildes Selbstmord. Nachdem das Lehrer-Schülerin-Verhältnis aufgeflogen ist und eine Trennung zur Folge hat, mag Matilde nicht mehr weiterleben, wofür sie den »César 1990« als beste Nachwuchsschauspielerin und den »Prix Romy Schneider« einheimste.

Begonnen hatte die Jungmädchenflut irgendwann in den Siebzigern. 1971 drehte Loius Malle sein Mutter- Sohn-Inzestdrama Herzflimmern. Kurze Zeit später sang Peter Maffay in der BRD: »Ich war 16, und sie war 31.« Sowohl Malle als auch Maffay waren mit ihrem gemeinsamen Anliegen singuläre Erscheinungen. Peter Maffays Entjungferungsgeschichte wurde niedergewalzt von den Schulmädchenreports, der kommerziell erfolgreichsten Kinoserie der BRD. Dem ersten Teil von 1970 Was Eltern nicht für möglich halten folgten bis 1980 zwölf weitere Reports. Danach traute sich hierzulande niemand mehr an das Thema heran. Dafür muß man den Schulmädchenreports noch heute von Herzen dankbar sein.

In Frankreich sah die Sache anders aus. Ungefähr vier Jahre nach Herzflimmern hatten sie auch dort kapiert, daß man mit Mädchenbeinen Geld verdient und nicht mit Jungenbeinen. Innerhalb kurzer Zeit (1975-77) entstanden Her mit den kleinen Engländerinnen, Die kleinen englischen Girls · Tun wir's doch und Die kleinen Pariserinnen. Keiner dieser Filme erreichte allerdings nur annäherend die penetrierende Dämlichkeit der Schulmädchenreports und deren Anzahl schon gar nicht. Was in der BRD bis zum Abwinken immer wieder auf die Leinwand gebracht wurde, war in Frankreich nur ansatzweise behandelt worden. In der Folge wurde die Jungmädchenproblematik wie unter Zwang immer wieder aufgerollt. Das französische Kino war entschlossen, sich an ihr abzuarbeiten. Die Arbeiten dauern bis heute an.

Am nachhaltigsten griff Eric Rohmer das auf, was die kleinen Engländerinnen und Pariserinnen vorbereitet hatten. Spätestens seit 1981 verschrieb er sich mit Die schönste Hochzeit für den Rest seines Lebens dem ätherischen Wesen. Es folgten Pauline am Strand, Vollmondnächte, Vier Abenteuer von Reinette und Mirabelle, Der Freund meiner Freundin und Frühlingserzählung. Alles Filme, die ähnlich wie Her mit den kleinen Engländerinnen oder Die kleinen Pariserinnen von Mädchen erzählen, die an der Schwelle zum Erwachsensein stehen bzw. volljährig sind, aber ihre Natürlichkeit bewahrt haben. In ihrer zierlichen Unbekümmertheit sind sie vollauf damit beschäftigt, dem Publikum Gedanken über die Welt, die Menschen, die Liebe und die Lust mitzuteilen. Rohmer, dessen Filme ungefähr die gleiche Wirkung haben wie eine Familienpackung Valium, hat mittels dieser Betäubungsstrategie die Altersgrenze der Mädchenhaftigkeit immer weiter hinausgeschoben. Alle Nichtmänner sind bei ihm reduziert auf natürliche Anmut, nettes Salongeplauder und immerwährende Halbwüchsigkeit.

Im französischen Mädchendiskurs nimmt Sophie Marceau eine hervorragende Stellung ein. Sie begann 1980 als 13jährige in der Pubertätskomödie La Boum · Die Fete — Eltern unerwünscht und avancierte zum Knuddelliebling der Nation. Darum durfte sie zwei Jahre später für La Boum II · Die Fete geht weiter noch mal vor die Kamera. Damit hatte sich Sophie Marceau endgültig qualifiziert, um die Fickphantasien der französischen Altherrenriege zu bedienen. 1984 half sie Jean-Paul Belmondo (55) in Fröhliche Ostern beim Eiersuchen, 1985 rief sie in Der Bulle von Paris Gérard Depardieus Onkelliebe wach, und 1986 macht sie mit Claude Brasseur den Abstieg zur Hölle. Der letztgenannte Besteiger war übrigens der Regisseur von La Boum I und II, mithin Marceaus Filmvater, was der ganzen Angelegenheit quasi inzestuöse Züge verlieh.

Fünf Jahre zuvor war ein Enddreißiger hingegen seiner 14jährigen Stieftochter Marion verfallen (Ausgerechnet ihr Stiefvater von Bertrand Blier). Die ebenfalls 14jährige Isabelle hatte schon 1980 beschlossen, einen Automechaniker (40) rumzukriegen, weswegen das Procedere mit Kleine Verführerin betitelt wurde bzw. La Petite Sirene. Auch Michel Deville kommt in seinem ansonsten gar nicht so schlechten Krimi Gefahr im Verzug nicht umhin, am Ende eine halbwüchsige Halbnackte zu postieren, damit der Held durchbrennen kann. Nicht so sehr auf Möpse und Schenkel schielend, sondern mit einem sublimierenden Drehbuch, das die Nöte des Erwachsenwerdens behandelt, geht Claude Miller vor. Sowohl Das freche Mädchen (1985) als auch Die kleine Diebin (1988) hat er mit Charlotte Gainsbourg besetzt, um ein weiteres Mal die Geschichte von dem anmutigen Backfisch zu erzählen, der erst liebenswert ist und dann zunehmend betörend. Wohin man schaut: unschuldig-laszive Kindsfrauen und fickrige ältere Herren (vor und/oder hinter der Kamera) — zum Beispiel Juliette Binoche an der Seite von Michel Piccoli in Die Nacht ist jung.

Verunsicherte Männlichkeit, Beschützerinstinkt, Inzestwünsche, Entjungferungsbegierden, Frischfleischverlangen oder der Pinsel, der in einen Jungbrunnen gesteckt werden möchte — was auch immer die Gründe für die Dauerpräsenz blutjunger Mädchen im französischen Kino sein mögen, die Franzosen haben jedenfalls ein ziemlich großes Lolita- Problem. Volker Gunske

Weiße Hochzeit. Frankreich 1990, 92 Minuten. Regie: Jean-Claude Brisseau. Darsteller: Vanessa Paradis, Bruno Cremer. Zu sehen im Klick, Windscheidstraße 9, Berlin 19.