: Giftige Abgase — Rätselhafte Krankheiten
■ Verdacht gegen kunststoffverarbeitenden Betrieb in Oldenburg erhärtet sich
In der Schule fehlt sie die Hälfte der gesamten Unterrichtszeit. Und das seit mehreren Monaten. Was die zehnjährige Mirja Militzer aus dem Oldenburger Stadtteil Donnerschwee vom Lernen fernhält, ist nicht ihre Unlust, sondern rätselhafte Krankheitssymptome. Ihre Mutter faßt die Beschwerden zusammen: Kopfschmerzen, Übelkeit, Gleichgewichtsstörungen, Schmerzen im Unterbauch, Benommenheit, Ödeme und Kältegefühle am ganzen Körper. An manchen Tagen sei Mirja kaum wachzubekommen, dann leide sie an zunehmenden allergischen Reaktionen. Seit mehr als zwei Jahren ist sie in ärztlicher Behandlung, hat mehrere Antibiotika- Kuren und diverse medizinische Diagnosen hinter sich. Ohne Aussicht auf Besserung.
Mirjas Krankheitsbild ist kein Einzelfall. Das stellt sich seit zwei Tagen immer drastischer heraus. Über hundert Fälle von Kindern mit ähnlichen Symptomen sind mittlerweile öffentlich bekannt, die Dunkelziffer ist vermutlich weit höher. Bislang wurden solche Krankheitsgeschichten als Einzelfälle behandelt. Nun aber scheint sich der Verdacht, den Eltern und ErzieherInnen eines Kindergartens öffentlich geäußert hatten, zu bestätigen. Ihnen war der enge zeitliche Zusammenhang zwischen dem Auftreten eines ganz eigenartigen Gestanks und dem Ausbrechen der Krankheitssymptome aufgefallen. Als Quelle des üblen Geruchs machten sie die beiden Schornsteine der kunststoffverarbeitenden Firma Peguform aus.
Und gestern, nach einer Pressekonferenz der Firma, die hauptsächlich Kunststoff-Stoßstangen für das VW-Werk in Emden produziert, erhärtete sich die Vermutung. Der eigens aus der Freiburger Konzernzentrale angereiste Geschäftsführer Günter Burghoff räumte vor den JournalistInnen ein, „daß es in der letzten Zeit zu Geruchsbelästigungen gekommen sei“, deren Ursache in bakteriologischen Prozessen im Klärwasser der Lackiererei liege.
Burghoff gestand auch ein, daß Peguform und andere Unternehmer aus der Automobilzuliefererbranche seit Jahren mit diesem Geruchsproblemen, dem sogenannten „Katzengeruch“, zu kämpfen haben. Eine ursächliche Verbindung zwischen den aufgetretenen Geruchsemissionen der eigenen Firma und den aufgetretenen Krankheitssymptomen der AnwohnerInnen aber wollte Burghoff nicht sehen.
Zur Seite standen ihm dabei gestern Gesundheitsbehörde und Gewerbeaufsichtsamt in Oldenburg. Sie hatten erst kürzlich die vorgeschriebenen Kontrolluntersuchungen durchgeführt und der Firma attestiert, daß alle Grenzwerte eingehalten worden seien. Kein Trost für die 114 Kinder der nahegelegenen AWO-Kindertagesstätte, die seit Monaten von plötzlich auftretendem Durchfall und Fieber, von chronischen Bindehautentzündungen und Atemwegserkrankungen geplagt werden. Was aus den beiden Schornsteinen von Peguform in die Luft geblasen wird und sich bei entsprechender Wind-und Wetterlage über bestimmte Oldenburger Straßenzüge legt, kann niemand sagen. Und will auch nicht, wie die Grünen gestern vermuteten. Schließlich ist Peguform erst vor drei Jahren mit hohen Subventionen und 700 Arbeitsplätzen angesiedelt worden und gehört zu den besten Gewerbesteuerzahlern vor Ort. Gödeke M.
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