»Wie Ron und Tanja«

■ Die taz-Lokalredaktion verteilte sich auf die aufregendsten Silvesterfeten des letzten Jahres

Mit der professionellen Verächtlichkeit des Feuilletonisten behandelte Kulturredakteur André Meier die erste gesamtdeutsche Endjahresfeierlichkeit. Tief im Westen, nämlich im Zugabteil irgendwo zwischen Hamm und Bielefeld, prostete er unter Mißachtung aller Reinheits- und Einheitsgebote mit holländischem Flaschenbier einem ebenfalls ostdeutschen Schicksalsgefährten zu.

Reporterin Ute Scheub langweilte sich auf hohem Niveau und bei untanzbarer Musik im »Quartier« in der Potsdamer Straße. Das einzige, was sie dort vom Schemel riß, war das zu später Stunde begonnene Gesellschaftsspiel »Reise nach Jerusalem«, das sie wie erwartet als Reaktionsschnellste gewann.

Das schönste am letzten Tag des Jahres war für Hochschulredakteurin Anja Baum die anderthalbstündige S-Bahnfahrt Richtung Erkner zu einer privaten Silvesterparty. Weil sie von Sorgen um ihren zu Hause allein zurückgelassenen Kater Erich gequält wurde, wäre sie beinahe auf halber Strecke umgekehrt. Als sie schließlich recht früh wieder nach Hause zurückkam, traf sie auf ein verstörtes Haustier, dessen Nachholbedarf in Kanonenschlag und Chinaböller mehr als übererfüllt worden war.

Andrea Böhm, Fachredakteurin für Multikultur und ImmigrantInnen, begab sich nach einem Kirchenkonzert (von Bach bis Gershwin) zusammen mit ihrem Lebensabschnittsbegleiter (LAB) ins Schöneberger Café Minsky. Dort genoß sie die familiäre Innerlichkeit: »Insgesamt war es aufregender als Ron und Tanja.«

Tommy Winkler von La Vie hielt's noch häuslicher. Immerhin schaffte er es um zwölf für ein paar Minuten, aufs Dach zu steigen, um das Feuerwerk zu beobachten. Dann wechselte er ins Kabel zur Klamotte Drei Amigos mit Steve Martin.

Layouterin Gesine Jochems zog es auch nicht in die Ferne. »1989 war ich am Brandenburger Tor, das reicht für fünf Jahre.«

Säzzer Uli Küsters war »auf mindestens zehn Feten und schon um halb zehn wieder zu Hause und um halb elf im Bett«, während Kollege und Projektveteran Georg Schmitz sich im UFA-Zirkus über die rasant gewachsene »Professionalität der Jongleure« freute. Begeistern konnte er sich über das morgendliche Einkaufschaos: »Konsumtrottel aller Bezirke — bildet eine Warteschlange.«

Die Redaktionspraktikantinnen Thekla Dannenberg und Anja Seeliger lernten auf 1 Feier 1 Familienvater und 1 Verfahrenstechniker kennen. Ihr Gastkommentar: »Kein schlechtes Ergebnis.«

Besinnlich und halbvegetarisch beging der Dienstpflicht- und Medienredakteur Hans-Hermann Kotte das Fest in einem schwulen Feierabendheim in Friedenau. Dort gaben ein halbes Dutzend ältere Herren das Beste aus bewegten Jahren zum besten: Tuntenaufstände, therapeutische Matratzenlager, Schwierigkeiten beim Coming-out im öffentlichen Dienst. Die Dillsoße soll ausgezeichnet gewesen sein.

Kulturautor Detlef Kuhlbrodt verschlief zu seiner großen Enttäuschung seine ganz persönlichen drei K (Kreuzbergerkleinkrawalle) in der polnischen Kneipe »Jägerstübchen« in der Schlesischen Straße.

Fotograf Christian S. hingegen hatte einen sehr bösen Rutsch. Während eines nächtlichen Spazierganges auf der Oranienstraße geriet er mittenhinein in polizeiliche Greiftruppaktivitäten. Ein Polizist warf ihn von hinten zu Boden, als S. gerade vorsichtshalber seinen Presseausweis zücken wollte. S. wurde an Hüfte und Arm verletzt. Der Polizist und seine Kollegen fuhren ohne Nennung ihrer Dienstnummern und heftig pöbelnd ab.

Wie Gustav Gans fühlt sich Fotografen-Kollege Herr Stefan. Er hatte um 23 Uhr 45 in einer Kreuzberger Kneipe einem Bettler 5 Mark gegeben, worauf er prompt am Neujahrsmorgen 20 Mark vor der eigenen Haustür fand. »Ein gutes Herz zahlt sich eben aus«.

Am besinnlichsten erwischte es die Lokalchefin Nana Brink. Sie durfte um Mitternacht von einem 780 Meter hohen Gipfel am Chiemsee aus einen Heuschober abbrennen sehen. Besonders beeindrukkend sei das Bild der mit Blaulicht heranrasenden Freiwilligen Feuerwehren aus den Ortschaften Marquardstein, Piesenhausen und Grassau gewesen, gestand sie ein. M. Graeter-Almquist